von Dieter Naumann
Endlich war es so weit: Am 19. Juni 1613 verlieh Philipp Julius II. (1584–1625), letzter Herzog von Pommern-Wolgast, das lübische Stadtrecht „auf inständiges Anhalten Unserer gehorsamen Unterthanen in Bergen“, und zwar „dergestalt, daß ihnen die Rechte alle, welche andere Bürger insgemein in Unseren Landen haben, zu geniessen und zu gebrauchen frey stehen solle“. Bis dahin hatte das Kloster das Stadtrecht nach Kräften und lange Zeit erfolgreich hintertrieben, um die damit verbundenen Privilegien, Dienste und Einnahmen nicht zu verlieren. Der finanziell klamme Herzog, der in Bergen ein Jagdschloss besaß, ließ sich das Stadtrecht mit 8000 Mark entgelten. War es nur Zufall, dass ihm gerade um 1613 ein aufwändiger Hofstaat aus 254 Personen, darunter zahlreiche Musiker, zugeschrieben wurde? Übrigens: Laut Rügen-Literatur ergaben die jährlichen Steuererhebungen Bergens 1577 und 1597 jeweils nur um 120 Mark.
Bereits ab 1613 legte Magister Johannes Casparus Rupertus, „dieser Stadt Bergen erster verordneter Burgermeister auch Stadt Secretarius mpp.“ das Stadtbuch an (mpp. – manu propria – eigenhändig). Die Eintragungen selbst nahm wohl Martinus Cracaeus, zunächst „Notarius Pub. und itziger Zeit bestallter Stadtschreiber mpp.“ vor.
Der später Bürgerbuch genannte, in naturfarbenes Schweinsleder gebundene, 547 Seiten umfassende und in drei Bände gegliederte Folioband enthält zu Beginn eine Reihe von Eintragungen, die hier unbeachtet bleiben sollen, ehe ab Seite 300 mit Datum vom 16. Juli 1613 Peter Tetzenfitz als erster Bergener Neubürger und das von ihm gezahlte Bürgergeld in Höhe von 16 Mark vermerkt sind. In der Folge sind „alle hierinnen ufgeschrieben, so vom Erbaren Rathe in die Zahl der Burger ufgenommen“.
Trotz des Stadtbrandes vom 9. März 1690, der das Rathaus samt Archiv vernichtete, existiert das Bürgerbuch heute noch, was der Tatsache geschuldet ist, dass es der Stadtsekretarius zufällig zu Hause aufbewahrte, vielleicht um es zu vervollständigen.
In hauptsächlich auf den ersten Band konzentrierten Auszügen wurde das Buch 1940 durch Dr. Erwin Aßmann im Rahmen der Reihe „Denkmäler der Pommerschen Geschichte“ in Greifswald herausgegeben. Aßmann schreibt selbst: „Ich fand es im Jahre 1935 unter alten Akten des 18. Jahrhunderts, die damals noch nicht geordnet waren. Seine Existenz war damals auch bei der Stadtverwaltung nicht bekannt.“ Und an anderer Stelle: „Eine vollständige Ausgabe des Bürgerbuches konnte nicht in Betracht kommen. Es erschien am geeignetsten, den Einschnitt beim Übergang Rügens aus schwedischer in preußische Hand zu machen.“ Da am 23. Oktober 1815 in Stralsund die Übernahme Rügens durch das Königreich Preußen stattfand, war „Georg Franz Rothsprach, Altenkirchen auf Wittow, welcher als Fischer sich hie zu ernähren gedenket“, am 7. Oktober 1815 der letzte nichtpreußische Neubürger.
Wer konnte die Bürgerrechte erwerben? Erste Voraussetzung war die persönliche Freiheit, die frühere Stadtbewohner, Domanialbauern und aus der Leibeigenschaft Entlassene durch Geburts- und Lehrbriefe, Zeugnisse oder ehemals Gutsuntertänige durch den „Losbrief“ nachweisen konnten. Wenn Nachweise nicht sofort vorlagen, wurde eine entsprechende Frist gesetzt oder ein Bergener Bürger als Zeuge bestellt. So ist am 13. Dezember 1621 bei Bartelmeus Witte vermerkt: „Weil er keinen E(ntlassungsschein) producieren können, hat er Claus Bornholt zum Bürgen gestellet, selbigen inner Jahresfrist einzubringen oder der Bürgerschaft verlustig (zu) sein.“
Selbstständigkeit als zweite Voraussetzung galt durch Gründung eines Hausstands oder – bei Handwerkern – durch Erwerb des Meisterrechts und Aufnahme in ein Amt (Zunft) als erfüllt. Dem Erwerb des Bürgerrechts gingen deshalb häufig Eheschließungen und Meisterprüfungen voraus. So finden sich Anmerkungen wie „hat sich mit Havischs Witbe eingelassen“, „welcher die Ties Turowsche gefreiet“ oder „hat sich mit Peter Pußesken Tochter befreiet“.
Der Erwerb von Grundbesitz, die dritte Voraussetzung, erfolgte durch Kauf, Erbschaft oder Einheirat. In diesem Zusammenhang finden sich auch die wenigen Eintragungen von Frauen im Bürgerbuch. Hatten sie sonst kaum Rechte, so waren sie als Witwen mit Besitz gut genug, einen Mann zu heiraten, der dann das Bürgerrecht beantragen konnte. Nur 1621 sind einige Frauen, meist Witwen, registriert, zu denen Aßmann jedoch ausdrücklich anmerkt, dass es sich nicht um Bürgerinnen handelt und sie streng genommen gar nicht in das Bürgerbuch gehörten. Einzige Ausnahme könnte die am 14. April 1615 ohne Vornamen vermerkte „Harte´sche“ mit einem Bürgergeld von 8 Mark sein.
Wer die Voraussetzungen erfüllte, meldete sich beim Rat zur „Gewinnung der Bürgerschaft“ – anfangs freiwillig, später zunehmend unwillig, ja, man versuchte bald mit allerlei Ausflüchten den Erwerb des Bürgerrechts zu vermeiden! Wie so oft lag es am Geld. Vor allem der Dreißigjährige Krieg und die Kriege, in die Rügen durch dänische und schwedische Besetzung hineingezogen wurde, hatten das Geld verknappt, so dass man versuchte, sich der finanziellen Seite der Bürgerrechtsverleihung möglichst zu entziehen. Normalerweise war ein Bürgergeld zu zahlen, das sich nach Vermögen und Beruf des Neubürgers staffelte. So zahlten im 18. Jahrhundert Angehörige des Ersten Standes, also Akademiker im städtischen Dienst, größere Kaufleute und Hausbesitzer mit Brauberechtigung 10 Reichstaler (zu dieser Zeit etwa 40 Mark), Handwerker im Zweiten Stand zahlten 5 und Tagelöhner im Dritten Stand 3 Reichstaler. Das nominell höchste Bürgergeld zahlte mit 100 Mark am 15. September 1640 Jacobus Leverus, zu dem weitere Angaben fehlen. Hinzu kam die sogenannte Rekognition, eine Gebühr, die Rat und Sekretär für die Anerkennung der vorgelegten Dokumente erhielten – zunächst 6, später 8 Mark. Damit nicht genug, wurde außerdem das „Eimergeld“ erhoben, eine Gebühr für die Beschaffung von Feuereimern in Höhe von 32 Schillingen (3 Mark). Der Rat nahm durchaus Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse der Neubürger: Reduzierung, Ratenzahlung, Aufschub, Verrechnung gegen Forderungen an die Stadt, sogar „Bezahlung“ durch Leistungen an die Stadt waren möglich. So wurde bei Michel Staneke am 14. September 1621 vermerkt: „weil er ein armer Mann und seithero ein Einlieger g(ewesen), 7 mr.“ (7 Mark). „Hans Peters, ein Schotte, armer Mann“ brauchte nur 8 Schilling (1 Mark) Rekognition zu zahlen und „ist soweit zum B(ürger)recht ufgenommen, daß er dem Rate für andere laufen und für die Gebühre ufwärtig sein“. In Bergen geborene Bürgersöhne zahlten einheitlich einen Reichstaler 16 Schillinge (8 Mark) Bürgergeld. Besitzlose Einlieger waren vom Erwerb des Bürgerrechts befreit, mussten aber ein „Inliggelgelt“ entrichten, um in Bergen wohnen zu dürfen. Das Inliggelgelt lag bei 2 Mark, die beispielsweise Rudolph Moritz zu zahlen hatte, „weil er ein Exulant“ (ein aus Glaubensgründen Ausgewanderter) war.
Waren „praestanda praestiert“ (die Pflichtleistungen erbracht), hatten die Neubürger „erectis digitis“ (mit erhobenen Schwurfingern) den Bürgereid zu leisten. Der gesamte Vorgang wurde protokolliert, der Stadtschreiber trug den Namen des Neubürgers und mindestens das Bürgergeld in das Bürgerbuch ein, später wurden die vollständigen Protokolle in Reinschrift in das Buch übertragen.
Zwischen 16. Juli 1613 und 18. Dezember 1815 sind insgesamt 1941 Neubürger registriert, weitere 65 Eintragungen betrafen unentschuldigtes Fehlen, Aufschübe, Einlieger und andere Vorgänge, die nicht zur Vergabe des Bürgerrechts führten. 1815 wurden die meisten Registrierungen vorgenommen. „1628 u. 1629 ist keiner Bürger geworden, weil leider die beschwerliche Einquartierung (wallensteinscher Truppen – d. A.) vorhanden gewesen.” Weitere 15 Jahre ohne Aufnahme neuer Bürger bleiben unkommentiert. Für die Jahre 1637/38 sowie 1644 könnten der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) und die beginnende schwedische Besetzung Rügens ursächlich gewesen sein, für 1659 der Zweite Nordische Krieg (1655–1661), für 1674 bis 1679 die Auseinandersetzungen zwischen Schweden und Brandenburg/Dänemark während des sogenannten Schonischen Krieges …
Die in rund 200 Jahren im Bürgerbuch erfassten Bergener Neubürger stammten aus rund 500 Orten, waren dort gebürtig oder hatten sich dort aufgehalten. Nicht alle waren von vornherein willkommen, wie Aßmann unter Berufung auf das Preußische Staatsarchiv illustriert: Kaufmann Jacob Ciappe aus Mailand beschwerte sich am 29.12.1789 bei der schwedischen Regierung in Stralsund, dass ihn die Stadt Bergen nicht als Bürger annehmen wolle, obwohl er bereits über Jahre rügensche Jahrmärkte bereist habe. Immer wieder sei er vertröstet und aufgefordert worden, ein Haus zu bauen oder zu kaufen. Das habe er sogar zugesagt, dennoch habe der Magistrat geantwortet, er wäre zu oft getäuscht worden und habe deshalb das Bürgerrecht verweigert. Die schwedische Regierung forderte den Magistrat zur Stellungnahme auf. Am 8. Juli 1790 wurde „Jacob Ciappe, * Mailand zu St. Gregori, wo B(ürger) Landmann; Handelsmann. 10 rt.” (10 Reichstaler – 60 Mark) endlich zum Bergener Bürger erklärt.
Das Bürgerbuch bietet Informationen, die nicht nur für die Geschichte Bergens von Interesse sind. Dazu gehören Berufe und Tätigkeiten der Neubürger (darunter Kunstpfeifer, Perlensticker, Schweinschneider und Schwarzfärber), die Familienverhältnisse, die hinzugezogenen Zeugen, die Formen der Entlassung aus der Untertänigkeit, die Vermögensverhältnisse, die Zahlungsmodalitäten beim Bürgergeld … Soweit möglich, dürfte auch ein Vergleich mit Rügens ältester Stadt Garz (Stadt mindestens seit 1319) interessant sein. Dazu fehlt hier jedoch der Platz.
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