19. Jahrgang | Nummer 24 | 21. November 2016

Antworten

Leonard Cohen, überirdisch schon zu Lebzeiten – Ihr Hinscheiden lässt es nun an der Zeit sein, Kelley Lynch, Ihrer weithin unbekannten Vertrauten, Kurzzeitgeliebten und Managerin früherer Jahre, auch öffentlich Dank zu sagen: Sie hatten sich Mitte der 1990er Jahre aus der Öffentlichkeit in ein buddhistisches Kloster bei Los Angeles zurückgezogen. Nicht dass wir Sie hätten vergessen können: „Suzanne“, „So Long, Marianne“ und neben vielen anderen vor allem das unerreichte „Hallelujah“ waren ja in der Welt, respektive auf Tonträgern. Doch dann brannte Kelly mit Ihrem gesamten Vermögen durch und schiere Ebbe in der Kasse schob Sie wieder auf die Bühne – mit einem reifen Alterswerk, das Sie uns noch unvergesslicher gemacht hat.
Dass kein übler Schicksalsschlag Sie nunmehr noch zu treffen vermag, das gönnen wir Ihnen von Herzen.
So long, Leonard!

Martin Luther, falsch Ver- und Geehrter – Natürlich ist nicht zu erwarten, dass ausgerechnet im Vorfeld des nächstjährigen Reformationsrondos ihre Adepten anfangen, mit jenen Schnurren und Legenden, falschen Etiketten sowie vorgeblichen Verdiensten aufzuräumen, mit denen Sie über die Jahrhunderte zur Lichtgestalt ohne Fehl und Tadel hochgehypt worden sind. Im Gegenteil: Jetzt ist Gelegenheit, Ihr so geschaffenes Image für die nächsten 500 Jahre festzuzurren.
Beispiel gefällig?
chrismon. Das evangelische Magazin brach zum Reformationstag am 31. Oktober mit einem „spezial“ über die arglosen Leser herein.
Sitzen Sie, lieber Luther?
Da kommt ein RasenBallsport-Trainer, seines Zeichens auch „Botschafter fürs Reformationsjubiläum“ zu Wort, Klopp heißt der Mann: „Ich mag Luther, weil er für die Unterprivilegierten und Ausgeschlossenen gekämpft hat.“
Kriegen Sie noch Luft vor Lachen?
Da war das Porträt, das Dieter Forte vor Jahrzehnten von Ihnen gezeichnet hat („Martin Luther & Thomas Müntzer oder Die Einführung der Buchhaltung“) um einiges näher an der Realität Ihrer Einstellung zu den Unterprivilegierten dran, wenn er Sie kalauern ließ: „Der Bauer dient an Ochsenstatt, nur dass er keine Hörner hat.“ Oder: „In einen Bauern gehört Haberstroh. Hören sie nicht, so müssen sie die Kugeln hören, und es geschieht ihnen recht.“
Paar Seiten weiter erinnert ein Eduard Kopp „an die großen Geschichten: sein Auftritt vor dem Wormser Reichstag (‚Hier stehe ich, ich kann nicht anders‘)“.
Auch so ein running gag und unausrottbar.
Der Spruch wurde, als Ihre Wormser Rede in Flugschrift-Form Verbreitung fand, hinzugedichet und gehört heute, dem Bonmot eines britischen Historikers zufolge, „zum Bekanntesten, was Luther nicht gesagt hat“.
Dicht gefolgt vom Gleichnis mit dem Apfelbäumchen, auf dessen Wiedergabe die in Rede stehende chrismon-Ausgabe irritierenderweise verzichtet hat.
Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend. chrismon ist schließlich ein Periodikum …

Franziskus, commandante en jefe der Katholiken dieser Erde – Sie sind ein ebenso polyglotter wie gebildeter und subversiver Pontifex maximus, wie man bereits im Zuge Ihrer Amtsübernahme nicht nur an Ihrem Schuhwerk erkennen konnte.
Sie haben also das Interview mit La Repubblica vorsätzlich auf den 7. November 2016 vereinbaren lassen, auf den 99. Jahrestag der Oktoberrevolution, um den folgenden Sätzen eine angemessene historische Konnotation zu geben: „Es sind die Kommunisten, die wie die Christen denken. Christus sprach von einer Gesellschaft, in der die Armen, die Schwachen, die Ausgegrenzten entscheiden. Nicht die Demagogen, nicht die Barrabasse, sondern das Volk, die Armen […]. Ihnen müssen wir helfen, damit sie Gleichheit und Freiheit erreichen.“
Sie wollen es allerdings durch die Macht der Liebe und des Glaubens richten, obwohl 2000 Jahre praktizierten Katholizismusʼ wenig Veranlassung zu der Hoffnung geben, dass dies demnächst doch noch klappen könnte.
Andererseits war der Weg des Camilo Torres – Ihre Generation (er Jahrgang 1929, Sie 1936) –, der mit vergleichbarem Impetus in den 1960er Jahren in Kolumbien die Priesterkutte gegen die Uniform der Guerilla tauschte und am 15. Februar 1966 als Mitglied des Ejército de Liberación Nacional, der Nationale Befreiungsarmee, bei seinem ersten Gefecht mit Regierungstruppen getötet wurde, auch kein von Erfolg gekrönter.
Eminenz, vielleicht fällt uns gemeinsam etwas Drittes ein?
Beraumen Sie einfach ein thematisches Konklave ein!

Bernd Scheifele, Chef des Dax-Konzerns HeidelbergCement – Wer, wie Ihr Haus, Zementwerke in Arizona und Texas betreibt, hat gut Frohlocken: Wenn Trump die angekündigte Mauer an der Grenze zu Mexiko hochziehen lässt, werde die „nicht aus Holz gebaut, sondern aus Zement“.
Sie rechnen mit Geschäft, mit Umsatzprosperität.
Das ist OK. Wir haben schließlich Kapitalismus.
In dem muss im Übrigen ein CEO nicht wirklich etwas davon verstehen, womit sein Laden Profit macht.
Trotzdem – eine Mauer „aus Zement“ hinstellen, das würden wir uns schon gern mal vorführen lassen …
Und was das Geschäft anbetrifft: Haben Sie Trump bis zum Schluss zugehört? Der will, dass die Mexikaner die Mauer bezahlen.
Wir sind gespannt, wie die auf Rechnungen aus Arizona und Texas oder selbst aus Deutschland reagieren werden. Falls Sie einen Draht zum Kanzlersamt noch nicht haben sollten, dann wäre ein Nachdenken über Alternativen zu Hermes-Krediten vielleicht nicht verfrüht.

Richard Sennett, Kaffeesatzdeuter mit Horrortouch – Sie sind Soziologe und Hochschullehrer. Die bleiben bekanntlich besonders ungern bei ihren Leisten.
Nach der US-Wahl verglichen Sie Trump mit Mussolini und wussten auf die Frage, ob es im Lande nun zum Bürgerkrieg käme, dieses: „Wir können so etwas in der Art erwarten. Es werden sich 30 Millionen Menschen gegen ihn stellen, das ist die Zahl, die er loswerden will.“
Auch die Folgen dieser Wahl für die Europäer konnten Sie klar benennen: „Sie werden mehr Geld für das Militär ausgeben müssen, um vor Russland sicher zu sein. Auf Amerika können sie sich nicht mehr verlassen.“
Ersteres – mehr Geld fürs Militär – allerdings, werter Mr. Sennett, ist der Rat eines sicherheitspolitischen Vollpfostens für andere Vollpfosten. Vor einer nuklearen Supermacht ist man ja nicht einmal dann sicher, wenn man selbst eine ist – bestenfalls stirbt man als zweiter –, sondern nur, wenn man mit ihr möglichst verbündet, aber auf gar keinen Fall verfeindet ist. Alles andere, so hat der Kalte Krieg hinreichend unter Beweis gestellt, ist Augenwischerei – je teurer, also je mehr Geld fürs Militär, desto sinnloser.
Es steht allerdings zu befürchten, dass es diesseits des Atlantiks genügend entscheidungstragende Vollpfosten gibt, genau diesen Weg trotzdem zu beschreiten. Wenn das System der gegenseitige nuklearen Abschreckung noch einmal vier Jahrzehnte ohne Crash überdauern sollte, besteht also gute Aussicht, dass am Ende die Erkenntnis wieder die nämliche sein wird wie zu Beginn der 1980er Jahre: Unter Atommächten und gegenüber diesen ist Sicherheit nur als gemeinsame Sicherheit zu haben. Bis dahin halten wir schon mal den Bericht der Internationen Palme-Kommission von 1982 trocken, in dem dies hergeleitet worden war …