von Petra Erler
Wer Hand an sich legt und versucht sich umzubringen, landet – wenn er oder sie den Versuch überlebt – in der Psychiatrie. Weil wir jemanden, der den Tod sucht, für krank halten. Weil wir solchen Menschen helfen wollen, den Weg zurück aus dem Dunkel zu finden. Da gibt es Hotlines, viele ehrenamtliche Helfer. Auch die Medien üben Zurückhaltung, um nicht andere zu ermutigen, es den vielen, allzu vielen Unglücklichen gleichzutun – all jenen, die sich vor Züge werfen, aus Fenstern und von Dächern springen, sich mit Tabletten vergiften oder die Pulsadern aufschneiden. Deshalb schockiert uns, wenn sich Kriegsveteranen umbringen (nach einer umstrittenen Studie in den USA bis zu 22 pro Tag). Deshalb sind wir alarmiert, wenn die Zahl der „einsatzbedingten psychischen Erkrankungen“ in der Bundeswehr ansteigt. Diese Soldaten kriegen das Erlebte nicht wieder aus dem Kopf. Ihre Unterstützung ist eine Frage der politischen Moral.
Nur im Krieg, genauer gesagt, bereits bei der Vorbereitung eines Krieg, ist alles ganz anders. Für Krieg braucht es Leute, die bereit sind, in den Tod zu gehen. Zu allen Zeiten waren diejenigen, die Angst hatten und wegrannten, die also ihr Leben mehr liebten, als die Vorstellung, in der Schlacht vor die Hunde zu gehen, die Entehrten. Die Feigen vor dem Feind. Die man zur Hebung der „Moral“ umbrachte. In „Games of Thrones“ wird zu Beginn der ersten Staffel ein Wächter der Nachtwache umgebracht. Von Eddard Stark, mit nobler Geste. Weil der arme Teufel vor den Weißen Wanderern flüchtete.
Es muss also eine Gefahr geben (in der besagten Serie die Weißen Wanderer), dass wir akzeptieren, dass man sich dem Kampf stellen muss, notfalls unter Preisgabe des Lebens. Dafür muss man möglichst einen edlen Sinn finden. Bei „Games of Thrones“ ist es der Eid der Nachtwache, also die Heimatverteidigung. Doch selbst der edle Anspruch der Verteidigung der Heimat gegen einen Aggressor motiviert heute nicht mehr zwingend zur Kriegsteilnahme. Die vielen jungen Männer unter den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen belegen das weit anschaulicher als alle Umfragen. Deshalb auch die zunehmende Entpersonalisierung der Kriegsführung. Ein Krieg mittels Joystick erscheint nicht so schlimm – jedenfalls nicht gleich.
Wie schafft man es also, Leute auf einen Krieg einzuschwören und vergessen zu lassen, dass sie am Ende draufgehen könnten?
An diesem Punkt kommt der Informationskrieg ins Spiel. Das moderne Konzept dazu stammt aus den USA. Die erste Definition erfolgte im Jahr 1993 und war geheim. Im weitesten Sinne umfasst der Informationskrieg alles, was hilft, die strategischen Interessen eines Landes voranzubringen und zu verwirklichen. Er betrifft deshalb nicht nur die Militärs, sondern auch die Öffentlichkeit.
Im Informationskrieg wird die Öffentlichkeit auf einen kommenden echten Krieg und dessen Legitimierung eingeschworen. Mit allen Mitteln wird um die Lufthoheit über unseren Verstand und unsere Herzen gekämpft. Die weltweit steigenden Rüstungsausgaben zeigen, dass sich das Rad der Kriegsvorbereitungen emsig dreht. Denn egal wie ein Krieg ausgeht, wie viele menschliche Opfer er kostet, die Gewinner sind immer gesetzt: die kriegswichtigen Industrien und ihre Finanziers.
Sie sind diejenigen, die die einseitige Parteinahme brauchen, die Gegnerschaft suchen, deren Profite darauf angewiesen sind, unsere Hemmschwelle vor einem Krieg und unsere mögliche Verwicklung darin niederzureißen. Also muss uns die Notwendigkeit der Verteidigung des Edlen, Guten ins Hirn eingehämmert werden, muss uns gehörig Angst gemacht werden, vor etwas noch Schrecklicherem als dem eigenen Tod.
Man kann diesen Informationskrieg nicht riechen, nicht hören, nicht schmecken. Allenfalls erkennt man hin und wieder aufblitzendes Mündungsfeuer, sofern man hellwach bleibt. Den Strategen des Informationskrieges sind alle diejenigen ein Graus, die den Krieg nicht als eine Fortsetzung der Politik betrachten, nur mit anderen Mitteln, sondern allenfalls als ein allerletztes Mittel, den absoluten Ausnahmefall. Die deshalb immer alles zwei- oder dreimal prüfen, diejenigen, die immer noch mehr wissen wollen oder fragen, wem in einer konkreten Situation was nutzt.
Der Informationskrieg zielt immer auf Eskalation. Was im heutigen Informationskrieg (abseits von Behauptungen, Lügen, Täuschungen, Manipulation und propagandistischer Schwarz-Weiß-Malerei) auffällt, ist, dass wir mit einem Stakkato von immer neuen Meldungen und Bedrohungen bombardiert werden, aber Ursachen, Hintergründe und Erklärungen für aktuelle Geschehnisse in den Hintergrund treten. Dass allein dem Versuch, sich mit Entwicklungslinien zu befassen, mit äußerster Erbittertheit begegnet wird.
Ein zu Unrecht vergessener Amerikaner, Major General Smedley Butler, der seinem Land treu und erfolgreich in der Navy diente, bis er schließlich zum entschiedenen Kriegsgegner wurde, war sich der verhängnisvollen Wirkung von Kriegspropaganda nur zu bewusst. Deshalb schlug er auch vor, die an der Rüstung verdienenden Industrien und Banken ihrer Profite zu berauben. Und er setzte auf die Frauen, darauf, dass diese begreifen würden, dass es keinen größeren Widerspruch gibt, als einem Kind das Leben zu schenken, nur um es achtzehn Jahre später dem Tod im Krieg auszuliefern. Er schlug ebenfalls vor, sich die Kriegsveteranen anzuschauen, all die armen Seelen, die gebrochen zurückkehrten. Er selbst verglich sich mit Al Capone, nur habe er im Unterschied zu diesem nicht in drei Stadtteilen, sondern auf drei Kontinenten agiert (War Is a Racket, 1935).
Wer nicht zum willigen Schlachtbankopfer der Informationskriegsstrategen verkommen will, hat nur eine Chance: kriegsuntauglich zu werden. Aber dazu muss man sich mit den Motiven der Informationskriegsstrategen befassen. Auf beiden Seiten. Eine Partei alleine führt keinen Krieg. Und man sollte erkennen, dass Informationskrieger keine Hotline haben, die uns das Leben retten will.
Schlagwörter: Eskalation, Krieg, Kriegslegitimierung, Kriegsveteranen, Petra Erler, Rüstungsindustrie, strategische Interessen, Tod