von Peter Liebers
Eine erste Begegnung zwischen zwei Menschen bedeutet zunächst nicht viel mehr als Neugier, vielleicht Interesse aneinander. Wenn sie noch dazu Künstler sind und einem eigenen künstlerischen Auftrag folgen, braucht ein aufeinander zugehen einen tiefergreifenden Impuls. Nicht anders war es zwischen dem Schriftsteller Franz Fühmann und dem Bildhauer Wieland Förster.
Als der Dichter Erich Arendt am 15. April 1968 seinen 65. Geburtstag feierte, setzte sich Fühmann – die Stühle waren knapp – auf den Fußboden „neben einen Unbekannten, von dem ich glauben konnte, dass es Förster sei“. Der Bildhauer Wieland Förster bestätigt diese Form des Kennenlernens bei einem Künstlerfest in Arendts Wohnung im Prenzlauer Berg. „Franz sprach mich an“, erinnert er sich. Und Fühmann notiert im Kalender über dieses Zusammentreffen, dass er angetan war von der Person, die ihm begegnete, „ein scharfer Beobachter, unerbittlich, auch spöttisch und so umgänglich wie selbstbewusst. Kein Trinker.“ Letztere Feststellung war für Fühmann offenbar wichtig, weil er selbst Probleme damit hatte.
Die Begegnung der beiden ergab sich nicht zufällig. Bei einem Besuch bei seinem Freund Arendt hatte Fühmann eine Fotografie von Försters Bronzeplastik „Passion“ entdeckt. Eine 1966 entstandene Skulptur, in der Förster seiner Selbsterfahrung, „gefoltert, geschunden und gemartert worden zu sein“, Gestalt gegeben hatte. „Alles war Metapher und Synonym für die Erfahrungen meiner Jugend, was mich bestimmte, worunter ich litt“, heißt es in einer Arbeitsnotiz des Bildhauers. Und Fühmann bekannte, der „Gepfählte“ in seiner Qual „könntest auch du sein, er war das Los. Das allen zuteilwerden kann, wenn die Welt aus den Fugen gerät“.
Dass nun beide Künstler beieinandersaßen, kann man eine schicksalhafte Fügung nennen. Förster, der schon damals biografische Aufzeichnungen und Notate zu seinem Werk niederschrieb, hatte Fühmanns Erzählungsband „Das Judenauto“ (1962) gelesen und war auf den Autor aufmerksam geworden. Ein Anlass, mit ihm bekannt werden zu wollen, war das für den Bildhauer nicht. Überhaupt war damals und ist für Wieland Förster bis heute entscheidend, das Gespräch, der Austausch über eine Gedankenwelt, in der sich Verbindendes erweist.
Wenn es für den in verschiedenen Arbeitsphasen des Dichters im brandenburgischen Märkisch-Buchholz, den immer weniger gern in der Akademie der Künste, in Verlagen und Ämtern in Berlin, aber auch in familiärer Verantwortung wahrgenommenen Aufgaben zu bedrängend wurde, suchte er das Gespräch, die Nähe zu dem acht Jahr jüngeren bildenden Künstler Wieland Förster, der um Worte und bildnerischen Ausdruck für sein schweres Schicksal suchte. In der Begegnung mit Fühmann waren sie nun zu einem unausweichlichen Thema geworden.
Inwieweit Fühmann seinen künstlerischen und auch persönlichen Überlebensversuch auf Kosten der Schaffenskraft und damit das Werk des Bildhauers und des in dieser Zeit beginnenden Erzählers Förster beeinflusst und möglicherweise auch beeinträchtigt hat, bleibt eine offene Frage. Denn für den mehr und mehr im brandenburgischen Wensickendorf arbeitenden Förster, dessen große Steine die Möglichkeiten seines bescheidenen Berliner „Laden-Ateliers“ in Prenzlauer Berg überschritten, war die Verbindung zu seinem Freund Fühmann auch eine existenzielle Herausforderung.
Es war nicht nur der andere Lebensweg der um acht Jahre getrennt aufgewachsenen späten Freunde. Fühmann stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus in Böhmen, erlebte den Jubel „Heim ins Reich“, hatte eine Hauslehrerin – eine Kindheit, die ihm, wie er es selbst nannte, „Vereinzelung brachte“. Förster war das fünfte Kind eines Kraftfahrers, der 1935 an einem Kriegsleiden starb und dessen Mutter es gelang, ihre Kinder „durchzubringen“, auch darin, sie vom Einfluss der Nationalsozialisten fernzuhalten. Während Fühmann im Jahr der Annexion des Sudentenlandes durch das nationalsozialistische Deutschland der Reiter-SA beitrat, verweigerte sich Förster den „Ertüchtigungsdiensten“. Bis 1944 besuchte er die Volksschule, lernte den Beruf eines Rohrlegers und meldete sich als Luftschutzhelfer, um sich jedem weiteren Kriegsdienst zu entziehen. Am 17. September 1946 wurde Förster aus niederträchtigen Gründen wegen angeblichen Waffenbesitzes bei der sowjetischen Militäradministration von einem Nachbarn denunziert.
Der 16-Jährige wurde zu sieben Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt, aber wegen seines von Auszehrung gezeichneten Gesundheitszustandes im sowjetischen Speziallager Bautzen interniert. Auf Intervention des Internationalen Roten Kreuzes konnte Förster im Januar 1950 „begnadigt“ und entlassen werden.
Fühmann hatte einen weiten Weg der Befreiung von der Nazi-Ideologie und den Grauen sowjetischer Kriegsgefangenschaft und kaukasischem Arbeitslager zurückzulegen. Am 24. Dezember 1949 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft mit der Einschätzung entlassen, sich „zu einem klugen Antifaschisten entwickelt“ zu haben, „der die Grundlagen des Marxismus-Leninismus gut beherrscht und ständig bereit zum Kampf um das neue demokratische Deutschland“ sei.
Er trat also nahezu zeitglich mit Förster in ein sich im Osten formierendes neues Deutschland ein. Während Försters Überleben wegen seiner durch die Haft ruinierten Gesundheit buchstäblich am seidenen Faden hing, entschied sich Fühmann für eine „Wiedergutmachung“, indem er sich als Mitglied der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands und im Schriftstellerverband engagierte. In einem 1953 veröffentlichten Text schrieb er eine Hymne auf Stalin, von dem „das schönste, treffendste und verpflichtendste Wort“ stamme, „das jemals über Beruf und Berufung des Schriftstellers gesagt wurde. Stalin nannte die Schriftsteller ,Ingenieure der menschlichen Seele‘.“
Es sind zunächst vor allem romantische und also realitätsferne Vorstellungen gewesen, die Fühmann in seinem Glauben an ein neues Deutschland bestärkt haben. Wieland Förster hatte dagegen mit der Bewältigung seiner schon in der Kindheit bis in die 1970er Jahre als Meister in der Akademie der Künste von Striktion bestimmten Existenz deutlich schwerere innere und äußere Kämpfe zu bestehen. An seinem Weg zu künstlerischer Arbeit lässt sich zeigen, wie Talent und Individualität in diesem neuen Staat unterdrückt und nicht selten deformiert wurden.
Dennoch begann Förster gegen alle Widernisse 1953 ein Studium der Bildhauerei. Mehr behindert als gefördert ging er einen von Enttäuschungen und Rückschlägen reichen eigenen Weg. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Austausch darüber in dem von Roland Berbig herausgegebenen Briefwechsel der Jahre 1968 bis zu Fühmanns Tod im Sommer 1984 selten ein Wort darüber fällt. Es lässt sich ahnen, wie wenig Förster damit einverstanden gewesen sein mag. Wie anders erklärt sich dessen heftige Reaktion auf Fühmanns Idee, Förster solle nach dem plötzlichen Tod des Präsidenten der Akademie der Künste der DDR, Konrad Wolf, dieses Amt übernehmen?
Aus Försters Antwort spricht nicht nur Abwehr, eher Enttäuschung über Fühmanns Zumutung, sich als „Kulturpolitiker“ betätigen zu sollen, noch dazu mit der hoffnungslosen Aufgabe der Akademie, die Regierung der DDR zu beraten. „Deine ,Bitte‘ allerdings macht mich in seiner Verkennung meines Lebens und inneren Auftrags betroffen. Entweder Du hast mich von der Liste der ,Künstler‘ gestrichen, oder hast die Eigenart meines inneren Auftrags vergessen“, schreibt Förster am 28. Mai 1982 an den Freund.
Fühmann hat da laut bald eintreffender Krebsdiagnose nicht mehr lange zu leben. Gut zwei Jahre bleiben ihm, und die nutzen die beiden in zahlreichen Gesprächen und Briefen in mit den Jahren gewachsener Vertrautheit. Oft genügen wenige Worte der Bestätigung, des Hinweisens. Und so ist es eine enorme editorische Leistung, sich Hintergründe und Kontexte über Personen und Zeitereignisse erschließen zu können – dank eines akribisch erarbeiteten Anmerkungsapparates, für den etliche der Weggefährten der Künstler beigetragen haben; allen voran Angelika Förster und Katrin von Boltenstern. Der Leser erfährt von Försters drängendem Wunsch, neben seiner bildkünstlerischen Arbeit sich der Ernsthaftigkeit seiner früh empfundenen Erzähllust zu vergewissern. Dabei erfährt er Ermunterung und Bestätigung des Freundes. Oftmals ergibt sich dabei der Eindruck, dass Fühmann sich bei Förster nicht nur thematisch, sondern auch literarisch Rat und Bestätigung sucht. Dabei hatte sich eigentlich Wieland Förster des Dichters versichern wollen. Aber was kann eine Freundschaft mehr bestätigen als die Versicherung, gebraucht zu werden?
Es ist also keineswegs so, dass der mit Fühmanns Aufforderung „Nun lesen Sie mal schön“ betitelte Band vorrangig auf den Dichter selbst zielt. Die beigegebenen Dokumente sind im Sinne beider Briefeschreiber sorgfältig und ausgewogen gewählt. Nach dem ersten Band, dem Briefwechsel mit Fühmanns langjährigem Hinstorff-Lektor Kurt Batt, verspricht damit die auf sieben Bände ausgelegte Edition eine Dokumentation der besonderen Art literarischer, zeitgeschichtlicher und künstlerischer Auseinandersetzung.
Franz Fühmann / Wieland Förster: „Nun lesen Sie mal schön!“ Briefwechsel 1968-1984. Hrg. Roland Berbig, Hinstorff-Verlag, Rostock 2016, 344 Seiten, 24,00 Euro.
Schlagwörter: Akademie der Künste, Briefwechsel, Franz Fühmann, Peter Liebers, Wieland Förster