19. Jahrgang | Nummer 21 | 10. Oktober 2016

Ardenne kein Akademik – war das gerecht?

von Dieter B. Herrmann

Wer in der Sowjetunion als Wissenschaftler zur Elite zählte, war „Akademik“ – Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Und jeder wusste, das war der höchste nationale Ritterschlag für Wissenschaftler. Akademiks gehörten einem traditionsreichen Kreis von gelehrten Personen an, die sich zum Zwecke der Förderung der Wissenschaften in prestigeträchtiger Runde vereint hatten. Nach alter Sitte konnte man einer solchen Vereinigung nicht einfach beitreten – man musste aus dem Kreis ihrer Mitglieder vorgeschlagen und hinzugewählt werden. Dabei wurden strenge wissenschaftliche Kriterien angelegt. Auch in Deutschland gab es seit 1700 eine solche Gelehrtengesellschaft, die sich bei ihrer Gründung „Kurfürstlich Brandenburgische Societät der Wissenschaften“ nannte und deren Initiator und erster Präsident Gottfried Wilhelm Leibniz gewesen ist. Aus ihr ging später in ununterbrochener Folge von geheimen Zuwahlen die „Preußische Akademie der Wissenschaften“ und schließlich nach dem II. Weltkrieg die „Deutsche Akademie der Wissenschaften“ hervor, die ab 1972 unter dem Namen „Akademie der Wissenschaften der DDR“ firmierte. Im Unterschied zu anderen Akademien stellte sie jedoch in der DDR nicht allein eine Gelehrtengesellschaft dar, sondern fungierte, wie auch die sowjetische Akademie, zugleich als Trägerorganisation außeruniversitärer Forschungsinstitute. Die Direktoren dieser Akademieinstitute – aber keineswegs nur diese – waren Akademiemitglieder. Im Sprachgebrauch der DDR nannten viele auch sie „Akademiks“. Einer von ihnen, so die verbreitete Erwartung, hätte eigentlich auch Manfred von Ardenne sein müssen. Doch das ist nie geschehen.
Als Ardenne am 23. März 1955 von Suchumi kommend auf dem Grenzbahnhof Frankfurt/O. eintraf, wurde er nicht nur von einem persönlichen Beauftragten Walter Ulbrichts, sondern auch von dem Physiker Hans Wittbrodt begrüßt, der damals seit zwei Jahren der wissenschaftliche Direktor der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) gewesen ist. Wittbrodt war ein Schüler des Nobelpreisträgers Gustav Hertz, der – wie Ardenne – ebenfalls von 1945 bis 1954 in der Sowjetunion gearbeitet hatte. Die Akademie hatte sich also gleichsam bereits zum Empfang von Ardenne eingefunden. Bereits kurze Zeit später konnte Ardenne feststellen: „Schon wenige Monate nach der Rückkehr aus der Sowjetunion hatte ich die Freude, in die Sektion Physik der Deutschen Akademie der Wissenschaften gewählt zu werden.“
Mit Ardenne waren auch der Chemiker Peter Adolph Thiessen und der Physiker Max Steenbeck in der Sowjetunion gewesen, formal sogar als seine Untergebenen, denn Ardenne war – zumindest nominell – der Chef. Sie alle erhielten die Gelegenheit, ihre künftigen wissenschaftlichen Karrieren in der DDR schon in der Sowjetunion vorzubereiten. Und in diesem Punkt unterschieden sich die beiden – Thiessen und Steenbeck – erheblich von Ardenne.
Er wollte wieder ein privates Forschungsinstitut, wie er es nach dem Kriegsende in Berlin-Lichterfelde verlassen hatte, die beiden anderen verbanden ihren künftigen Weg mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Steenbeck wurde Direktor des Instituts für magnetische Werkstoffe der DAW in Jena und zugleich Ordentliches Mitglied der Akademie; Thiessen wurde Direktor des Instituts für Physikalische Chemie und ebenfalls wieder Akademiemitglied. Ein privates Forschungsinstitut – das konnte Ardenne bei seiner Rückkehr noch gar nicht wissen – passte eigentlich nicht in die Forschungslandschaft der DDR und blieb ja auch weitgehend eine singuläre Erscheinung. Hubert Laitko, ein exzellenter Kenner der Akademiegeschichte, schreibt, dass trotz Ulbrichts Zusage für Ardennes Pläne „im Staatsapparat der DDR […] Überlegungen darüber angestellt worden seien, ob und wie dieses Institut in ein staatliches umgewandelt werden könnte bzw. ob von Ardenne nicht neben seinem Privatinstitut auch noch die Leitung eines staatlichen oder universitären Instituts angetragen werden sollte.“
Da der Aufbau des Dresdner Institutes – wie Ardenne selbst schreibt – durch tausende Briefe „ferngesteuert“ aus der Sowjetunion bereits ab dem Frühjahr 1952 erfolgte, benötigte Ardenne eine Vertrauensperson, die sich vor Ort um alles kümmerte. Für diese Aufgabe hatte Ardennes Schwager Johannes Richter gewonnen. Dieser erhielt interessanterweise einen Brief des Präsidenten der Akademie, Walter Friedrich, der mit dem 26. Februar 1954 datiert ist. Darin heißt es, das Präsidium der Akademie befürworte dringend, „dass die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik Herrn von Ardenne beim Aufbau seines Dresdener Instituts unterstützt.“ Ardenne selbst erwähnt den von Walter Friedrich erwirkten Beschluss des Akademie-Präsidiums ausdrücklich und mit Dankbarkeit in seinem Buch „Ein glückliches Leben für Technik und Forschung.“ Doch gerade Walter Friedrich, Schüler von Wilhelm Conrad Röntgen und bedeutender Biophysiker, hätte eigentlich schon aus fachlichen Gründen daran interessiert sein müssen, das neue Institut in die Akademie einzugliedern. Davon ist aber keine Rede. Auch später nicht, als Friedrich das Ardenne-Institut im April 1955 besuchte.
Dem wahren Grund dafür, dass es niemals auch nur zu dem Vorschlag einer Aufnahme Ardennes in die Akademie gekommen ist, dürften die beiden Historiker Burghard Ciesla und Dieter Hoffmann sehr nahe gekommen sein, wenn sie schreiben: „…die Wahl zum ordentlichen Akademiemitglied wussten […] einflussreiche Akademiemitglieder bis zu seinem Tode zu verhindern.“ Da die beiden Autoren es ohne weitere Quellenangaben bei dieser Andeutung beließen, nahm ich Kontakt zu Dieter Hoffmann auf. Er teilte mir daraufhin mit, dass Gustav Richter, der ebenfalls in der Sowjetunion gewirkt hatte und nach seiner Rückkehr eng mit Nobelpreisträger Gustav Hertz zusammen arbeitete, einen Ausspruch von Hertz kolportiert habe des Inhalts, wenn Ardenne in die Akademie aufgenommen werde, würde er – Hertz – austreten. Das deckt sich auch mit einer Vermutung von Klaus Thiessen, „dass die ‚echten‘ Wissenschaftler, wie Max Steenbeck, Gustav Hertz, Max Volmer, Robert Rompe, ihn als Autodidakten und ‚Geschäftsmann‘ nicht für würdig erachteten“, Mitglied der Akademie zu werden. In dem von Egon Krenz herausgegebenen Buch über Walter Ulbricht, äußerte sich auch Gerhard Weiz, der ab 1974 Minister für Wissenschaft und Technik der DDR gewesen ist, zu dem Problem: „Unter den Forschungsratsmitgliedern lehnten nicht wenige Ardenne ab. Steenbeck sagte: Ja, er ist ein guter Techniker, hat auch Ideen, aber er ist kein Wissenschaftler. (Wegen dieser Einwände wurde Ardenne auch nicht als Mitglied in die Akademie gewählt).“
Natürlich konnte man sich bei Ardenne auch auf Formalien berufen, wie zum Beispiel die fehlenden akademischen Voraussetzungen. Laitko schreibt: „Einer wie von Ardenne, der seinen Aufstieg an allen üblichen akademischen Karrierestandards vorbei gemacht hatte, musste für alle diejenigen, die sich der normalen Ochsentour […] unterzogen hatten, als eine permanente Provokation erscheinen. Man würde ihm das vielleicht noch verziehen haben, wenn er sich mit einer bescheidenen Stellung begnügt hätte. Aber mit seinem Institut auf dem Weißen Hirsch genoss von Ardenne Privilegien und Freiheiten, die eigentlich noch über das Maximum des in der DDR Erreichbaren hinausgingen und von denen ein Institutsdirektor an der Akademie mit seinen vielen Auflagen und Berichtspflichten nur träumen konnte; zudem war das Institut keine kleine Enklave in einem verwunschenen Winkel, sondern hatte zehn Jahre nach seiner Gründung schon 300 und am Ende der DDR 500 Mitarbeiter. Da wäre es ein Wunder an Selbstlosigkeit gewesen, wenn sich die Akademiephysiker um von Ardenne bemüht hätten.“
Dass es sich offenbar ausschließlich um eine innere Angelegenheit der Akademie gehandelt hat und keineswegs um politische Einwirkungen von außen, ersieht man nicht zuletzt an den hohen staatlichen Auszeichnungen, die Ardenne zuteilwurden – vom mehrfachen Nationalpreis bis zum „Hervorragenden Wissenschaftler des Volkes“ im Jahre 1987. Gerade mit der zuletzt genannten Auszeichnung befand er sich in der Gesellschaft zahlreicher Mitglieder der Akademie, darunter auch jener, die seine Aufnahme in die Akademie nicht wollten.
Vielleicht ist Ardennes Bezugnahme auf die DDR-Akademie in einem Interview für die ARD im Jahre 1987 auch genau in diesem Sinne zu verstehen. Er hat dort (wohl mit Blick auf die von ihm erkämpfte und verteidigte privilegierte Sonderstellung) gesagt, dass er „die Ehre“ habe, „nicht Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu sein.“ Während er in diesem Interview monierte, dass die Akademie keine hinreichend effektive Zusammenarbeit zwischen ihren Instituten und der Industrie zustande gebracht hätte, erklärte er im Nachgang zugleich, dass er hohen Respekt vor Wissenschaftlern wie „Rompe, Treder, Thiessen, Jung, Rapoport, Pasternak, Lohs, Lanius, Alexander und anderen“ habe. Deren Leistungen könnten jedoch den Schaden nicht aufwiegen, der durch die „Mittelmäßigkeit einiger jüngerer Akademiemitglieder und Institutsleiter dem Fortschritt der Wissenschaft und der Forschung zugefügt wurde.“ Und in der Tat: Von Mittelmäßigkeit konnte bei den Arbeiten des Ardenne-Instituts keine Rede sein und von fehlender Zusammenarbeit mit der Industrie ebenso wenig. Insofern war es wohl eine durchaus kluge politische Entscheidung aus den frühen DDR-Jahren, Ardenne diesen Sonderstatus einzuräumen, denn er hat reiche Früchte getragen.