von Bernhard Romeike
Wer kurz vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern umherfuhr, sah befremdliche Wahlplakate. Erwin Sellering, der bisherige und wohl auch künftige Ministerpräsident, war zusammen mit Roland Kaiser zu sehen. Der kandidierte zwar nicht, kam aber, um für die Sozialdemokraten zu singen. Die Linkspartei warb mit dem Spruch: „Aus Liebe zu Mecklenburg-Vorpommern“. Dazu kamen Chancengleichheit und ähnliches. Das ist aber kein wirkliches Programm. Es gab auch fast identisch gestaltete Plakate der Linken und der CDU: Ein schwarzes Plakat mit weißer Schrift, nur von Nahem konnte man das jeweilige Logo entziffern, und die Stichworte unterschieden sich, Sicherheit versus Gerechtigkeit.
Mehrere Linken-Kandidaten waren als Portrait mit dem Hinterkopf zu sehen. Solche Bilder hatte zuletzt Franz Müntefering als Wahlleiter der SPD zum Bundestagswahlkampf 1998 benutzt, mit Helmut Kohl von hinten. Das sollte sagen: Der soll endlich gehen. Meinte die Linke jetzt: Wir gehen nun von selbst? Oder hatte sie bloß eine inkompetente Werbeagentur? Spitzenkandidat Helmut Holter warb mit dem Spruch: „Wie wir heute wählen, werden wir morgen leben.“ Das ist wieder eine in der Sache unpolitische Aussage. Sie kann auch verstanden werden als: Wer heute AfD wählt, hat morgen weniger Muslime im Land.
Die AfD warb unter anderem mit der Forderung nach Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Das hat in Rostock und Umgebung einen konkreten Bezug. Nach den Sanktionen waren die russischen Werfteigner, die zuvor ein längerfristiges Konzept zur Entwicklung des Unternehmens am Standort Rostock entwickelt hatten, am normalen Geschäftsbetrieb gehindert; deutsche Technologie-Unternehmen wie Siemens durften mit der „russischen“ Werft nicht mehr zusammenarbeiten. Am Ende wurde die Werft an ein malaysisch-chinesisches Konsortium verkauft. Das hat zwar Investitionen und neue Aufträge angekündigt. In der Region wird jedoch davon ausgegangen, dass eigentlich nur das Know how gekauft werden sollte und der Standort am Ende geschlossen wird. Insofern hatte „Aufhebung der Russland-Sanktionen“ in Rostock einen konkreten Inhalt. Dass die Parteien, deren Bundesregierung diese Sanktionen zu verantworten hat, eine solche Forderung nicht aufstellen, versteht sich von selbst. Aber auch die Linke hatte sich das nicht getraut. Offenbar aus Angst, als „Putin-Partei“ beschimpft zu werden. Am Ende haben alle Parteien, die auch im Bundestag sitzen, bei den Wahlen im Nordosten verloren; die Grünen flogen gleich ganz aus dem Landtag. Während die AfD auf über zwanzig Prozent kam.
In Berlin geben die Plakate auch nicht mehr her. Die SPD hängte den Regierenden Bürgermeister Müller und eine Frau Müller aus, die nicht Bürgermeisterin werden will. Die beiden „Müller. Berlin“ stehen scheinbar witzig für die Stadt. Was aber haben die Sozialdemokraten politisch zu bieten? Vor allem suggerieren sie, alles solle bleiben, wie es ist. Aber wäre denn das so gut? Die zugehörigen Sprüche heißen dann: „Berlin bleibt weltoffen“ oder „menschlich“ oder „bezahlbar“. Als hätte die verfehlte Wohnungspolitik, die die drastischen Mietsteigerungen in Berlin erst möglich machte, nicht bereits in der rot-roten Rathauskoalition von 2002 bis 2011 begonnen.
Dafür wirbt die Linke jetzt mit: „Wachsende Stadt – richtig investieren“. Was ist jetzt richtig, und wer bestimmt das? Dazu der schöne Spruch: „Die Stadt den Alten, den Jungen, den Großen und den Kleinen“. Und was heißt das nun politisch?
Die Grünen haben vielerorts nur eine Gegenposition anzubieten: „Klare Kante zeigen gegen Rechts“.
Häufig stehen die Großplakate von SPD und Linker nebeneinander. Michael Müller hatte bereits durchblicken lassen, er wolle die Koalition mit der Henkel-CDU nicht fortsetzen. Wahrscheinlich reicht es aber für eine Zweierkoalition ohnehin nicht mehr. Aus Insider-Kreisen war zu hören, die rot-rot-grünen Parteien hätten bereits verabredet, in eine gemeinsame Koalition zu gehen, auch als „Zeichen für den Bund“. Reichen würde dies nach menschlichem Ermessen auf jeden Fall. Vom Wahlergebnis hängen nur noch das innere Kräfteverhältnis und die Ressortverteilung ab.
Die Kleinparteien wollen in Berlin natürlich auch wieder auf sich aufmerksam machen. Die NPD hat abermals ihre hetzerischen Plakate aufgehängt, darunter „Gas geben“. Wem eigentlich? Wahrscheinlich lagen diese Plakate noch von der vorigen Wahl herum.
Dann die PSG: „Die deutschen Eliten wollen wieder Krieg. Wir nicht.“ Das klingt entschlossen. Aber welcher Krieg ist gemeint? Entweder gibt es den schon – in Afghanistan, Syrien und so weiter –, dann hinkt das Statement der Wirklichkeit hinterher. Oder es ist ein größerer Krieg gemeint. Aber dieses real-existierende Deutschland, selbst samt NATO, gegen die Atommacht Russland? Welche „Elite“ sollte den wollen? PSG heißt übrigens „Partei für soziale Gerechtigkeit. Sektion der Vierten Internationale“. Bei den üblichen Wahlergebnissen dieser trotzkistischen Sekten, die irgendwo im Promille-Bereich liegen, fragt man sich immer, wo die überhaupt das Geld her haben, sich an Wahlkämpfen zu beteiligen. Schließlich ist ihr Säulenheiliger seit 76 Jahren tot.
Bei der DKP sind das zwar mehrere, dafür aber noch länger verblichen: Die Partei wirbt mit den Schädeln von Marx, Engels und Lenin. Das seien „Unsere Krisenberater“. Der reale Sozialismus lässt grüßen. Die Losung stammt von 1932: „Gegen Krieg und Faschismus“. Stimmt immer.
Die FDP ist auch wieder da. Ein pop-art-mäßig buntes Plakat zeigt Spitzenkandidat Sebastian Czaja als „Fortschrittsbeschleuniger“. Er schaut mit steifem Hals stolz in die Ferne. Auch wenn die schrille Farbgebung an westliche Vorbilder erinnern soll, die Pose steht für sozialistischen Realismus: „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ von 1937. Sebastian Czaja ist der kleine Bruder von Mario Czaja, der als CDU-Sozialsenator in der gegenwärtigen Stadtregierung für die Windungen und Wendungen der Flüchtlingsunterbringung verantwortlich war und ist und seinen Wahlbezirk bisher von entsprechen Unterkünften verschont hat. Beide Czajas waren als junge Männer in der CDU gestartet, doch irgendwann gab’s einen (politischen?) Familienstreit. Da ging der Junior zur FDP. Die kommt nach den Umfragen wieder rein ins Abgeordnetenhaus. Aber für Schwarz-Gelb wird es nicht reichen. Da ist schon die AfD vor.
Die Slogans der Berliner CDU ähneln – wie in Mecklenburg-Vorpommern – der AfD. Bei der CDU heißt das: „Mehr Polizei“ (groß geschrieben) und „mehr Videotechnik“ (etwas kleiner). Bei der AfD „Berlin braucht Sicherheit“ (groß) und „Bürger besser schützen. Kriminalität bekämpfen“ (etwas kleiner). Oder: „Berlin braucht Respekt“ und „Polizei und Justiz stärken gegen Banden und Extremisten“ bei der AfD. Und „Mehr Sicherheit: Polizeiwache in Buch“ bei einem CDU-Kandidaten im hohen Norden Berlins.
Auch in Berlin mühen sich die etablierten Parteien, Wahlkampf gegen die AfD zu machen. Die AfD-Wähler behandeln sie wie Pickel am Körper des Wahlvolkes und meinen, wenn sie nur ein wenig weißen Puder auf die gesellschaftlichen Geschwüre draufstreuen – fünf Euro mehr Hartz IV, ein paar sozialpolitische Zusagen, etwas mehr Gerede gegen Ängste – dann geht das wieder weg.
Alles Interpretieren der vier Wahlverlierer-Parteien in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt dem so gestimmten Wähler aber nur dies: Sie haben immer noch nichts verstanden. Vorneweg die Kanzlerin, die aus dem fernen China zwar murmelte: „Ich bin auch mitverantwortlich“, ansonsten aber den Honecker gab: Unser Kurs ist richtig! Wir lassen uns von ewigen Nörglern und Meckerern nicht unsere gute Politik zerreden!
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