von Reinhard Wengierek
Zum Todestag von Bertolt Brecht am 16. August 1956 – dazu ist eigentlich längst schon alles geschrieben. Aber es gibt da diesen mir unvergesslichen Film „Abschied“ von Jan Schütte und Klaus Pohl (Kamera: Edward Klosinski). Ich sah ihn vor 16 Jahren – und jetzt nochmals (bei Zweitausendeins Edition Deutscher Film; moviepilot). Und wieder hat’s mich gepackt…
„Ich bin die Hure eines Klassikers.“ Ein Satz wie eine Bombe. Ruth Berlau wirft sie mitten auf den Frühstückstisch. Klassiker-Gattin Helene Weigel, Klassiker-Tochter Barbara, Klassiker-Herausgeberin Elisabeth Hauptmann sind starr vor Entsetzen. Es ist ein sonniger Tag Mitte August 1956 in aller Herrgottsfrühe, an dem Klassiker-Mitarbeiterin Ruth Berlau die allen längst bekannte Wahrheit ausspricht. Auf der Datsche von Bertolt Brecht in Buckow bei Berlin am lieblichen Schermützelsee.
„Machen Sie bitte keinen Ärger. Es ist sein letzter Ferientag. Er braucht Ruhe.“ Die Gattin (Monika Bleibtreu) beschwört die abgelegte, dem Alkohol verfallene Freundin des Gatten (Margit Rogal). Ruth schreit zurück: „Ein ganzes Leben hab ich für ihn aufgegeben. Bin seine Frau so gut wie Sie.“ Die Weigel platzt: „Wie Freundinnen hab ich euch alle behandelt, euch alle in meine Familie aufgenommen.“
Dann schlurft er herein. Der ruhebedürftige Klassiker (Josef Bierbichler) in Jan Schüttes Film „Abschied. Brechts letzter Sommer“. Die Frauen stehen stramm und beißen sich auf die Lippen. Hinzu schweben die mädchenhafte Schauspielerin Käthe Reichel (Jeanette Hain), seine gegenwärtige Muse, sowie Isot Kilian, Assistentin und Liebhaberin (Rena Zednikowa). Dazu deren Mann, der Philosoph Wolfgang Harich (Samuel Fintzi). Familienferien mit Brecht in Buckow.
„[…] und alle erstarren in Unterwürfigkeit. Draußen vor der Regierung, hier vor dem berühmten Autor“, schießt sich Harich, der Philosoph, in die gespannte Frühstückstischstille. „Ihr starrt ihn an wie den Messias.“ Es sei im Großen wie im Kleinen, im Staate Ulbrichts wie im Staate Brechts. – „Ruhe!!“ donnert da der Dichter. Und Waldvögel zwitschern im Morgenrot. Auf einem Zettel steht der Satz: „Wer zum Gott wird / Wird dumm.“
Derweil belichtet die blutrot aufgehende Sonne den bleiern ruhenden See. Eine paradiesische Pastorale im Brandenburgischen, weltentrückt und doch nahe an der geteilten Stadt Berlin. Westnachrichten tropfen aus dem Ostradio wie Salzsäure. Die Regierung Ulbricht plane – Folge des Juni-Aufstands ‑ Hochverratsprozesse. Verhaftungswellen drohten. Und schon summt eine schwarze Tatra-Limousine ins Bild. Wie ein friedliches Ufo im Kiefern-Idyll, wo sich die Stasi-Kutsche diskret einparkt – und Stalin-Preisträger Bertolt Brecht zwei kleine Villen am Wasser hat, sein Fluchtidyll. Wenn ihm denn ein Fluchtort bleibt. Denn der Riss durch die Welt stößt bei einem, der sich verbandelt mit Mächtigen, besonders tief ins Private.
So wird sein letzter Ferientag in seinem letzten Lebensjahr 1956, obgleich von unbeirrbarer Natur hingebungsvoll gefeiert, kein Freudentag. Er schwitzt im Fieber, stürzt in Herzschmerz, wird von Stasi umstellt. Keine Ruhe. Keine Hoffnung. Aber eine Muse, die ihn über alles hinweg lächeln lässt. Und eine Liebhaberin, die er wehmütig im Bett mit ihrem Ehemann beobachtet. „Ich muss wissen, worüber ich schreibe“, sagt er resigniert. Und frech: „Wir Schwaben müssen alles wissen.“
Lange und schwer fasslich lag die Idee auf dem Tisch, einen autobiografischen, gar mehrteiligen Film zu drehen über einen typisch deutschen Dichter, der ertrinkt im Brackwasser aus Idealität und Nüchternheit. Über einen Windbeutel im Schlachtsturm der sich bekriegenden Ideologien – über Brecht. „Jeder ist verliebt in seinen Sozialismus“, kommentiert die Weigel. Harich schimpft: „Ob Sozialismus oder Weltuntergang, das ist ihm scheißegal; Hauptsache, es passt auf seine Bühne.“
Schließlich kam Regisseur Jan Schütte auf die Idee, all das kompliziert Widersprüchliche einfach auf diesen einen Augusttag anno 1956 zu konzentrieren. Klaus Pohl schrieb das Drehbuch, erfand das Authentische. Lakonisch, wesentlich, grandios. Ein letzter Ferientag als Abschiedstag des armen reichen B.B.; diesem „Weltereignis“ (der Germanist Hans Mayer), diesem „chauvinistischen Arschloch“ (die Dramatikerin Dea Loher).
Ein Abschied von viel Lieb‘ und ewiger Treu, von Sucht auf Lust, vom Schmerz verlorner Illusionen, von der Feigheit, die Wahrheit zu sagen, vom Glück der Ruhms, vom Lechzen nach Freundlichkeit, Frieden, Heimat. Vom zwanghaften Ringen um den vollkommenen Text, von der Angst vor düster drohender Ungewissheit des Daseins. Ein Abschied oder eine Erlösung?
Der Schauspieler Sepp Bierbichler massig, verschwitzt, unrasiert zeigt mit großen Augen die Last des welken Fleisches, die Wut über verlorene Leichtigkeit und Herrschaft. Zeigt Erlösungssehnsucht. Ein sabbelnder, todtrauriger Baal, verführerisch, abstoßend. Ein struppiges Raub- und Knuddeltier. Ein sturer Hund, ein müder Gott. Mit der Raserei sich aufbäumender, der Melancholie unaufhaltsam wachsender Ohnmacht. Im Männerleid. Künstlerelend. Scheitern.
„Wo es kein Geheimnis gibt, gibt’s keine Wahrheit“, haucht an seinem herzkranken Ende der gläubige Aufklärer. „Habt ihr das aufgeschrieben?“, zischt er die blassen beflissenen Assistenten an, den Palitzsch (Claudius Freyer), den Weckwerth (Paul Herwig), beide herkommandiert vom Berliner Ensemble zur Arbeit am „Kreidekreis“. „Dunkelgrauheit“, flüstert Brecht.
„Warum sind wir hier, in der DDR. War das ein Fehler?“, fragt Brecht gequält und apathisch nach einem Herzanfall die Weigel. „Weil sie uns woanders nicht haben wollten“, kriegt er nüchtern zurück. ‑ „Ich kann mir nicht täglich einen Knoten in die Zunge machen“, giftet Harich zu Brecht. Die Weigel trocken zu Harich: „Er kann nicht, wie er will.“ Brecht schweigt und schreibt. „Doch was da aus Holz war / Bog sich und blieb.“ Abends fährt ihn sein Chauffeur zurück nach Berlin. Zum Sterben.
Harich landet im Knast, die Weigel wird BE-Intendantin, die Hauptmann BE-Parteisekretärin (Elfriede Irrall), die Tochter Herrin der B.B.-Nachlassverwaltung (Birgit Minichmayr). Die Berlau verreckt in einer Klinik; viel später geschieht das mit der DDR.
Man darf glauben, dass dem Brecht der Film von Pohl und Schütte gefallen würde. Ist er doch groß in seiner Tragik, schön in seiner Wahrhaftigkeit, Wehmut, Liebe, Komik und packend im Schauspielerischen. Die scharfe Zeichnung eines Genies im Gefängnis seiner privaten und politischen Obsessionen. Trotzdem würde Brecht den Film wohl wegschließen lassen. Damit keiner ihn sehe in seinem Schweiß aus Wut und Angst.
Schlagwörter: Bertolt Brecht, DDR, Helene Weigel, Jan Schütte, Käthe Reichel, Klaus Pohl, Reinhard Wengierek, Ruth Berlau, Wolfgang Harich