von Ulrich Busch
Mit den Büchern „Der größte Raubzug der Geschichte“ (2014) und „Der Crash ist die Lösung“ (2015) legten die beiden Autoren Matthias Weik und Marc Friedrich bereits zwei Bestseller vor. Mit ihrem neuesten Titel „Kapitalfehler“ gelingt ihnen dies vielleicht zum dritten Mal. Freilich sind nicht alle Bestseller wirklich gute Bücher und der Verkaufserfolg entscheidet mitnichten über die inhaltliche Qualität. Das Gegenteil gilt aber auch nicht unbedingt: Es soll auch Ladenhüter geben, die wirklich nichts taugen. – Sollen die Leser darüber entscheiden!
Was sich aus fachlicher Sicht aber schon jetzt über das Buch von Weik und Friedrich sagen lässt, ist, dass es aktuelle Probleme aufgreift, diese verständlich und unter weitgehender Aussparung fachspezifischer Termini und komplizierter theoretischer Erörterungen abhandelt und dass am Ende radikale Forderungen formuliert werden. Nicht ganz klar wird jedoch, von welcher theoretischen und politischen Position aus die Autoren ihr Thema angehen, welche Ziele sie mit ihrer deutlichen Kritik verfolgen und an wen sich ihre Forderungen letztlich eigentlich richten. Ihre Argumentation changiert ständig zwischen einem eher volks- und einem eher betriebswirtschaftlichen Herangehen, was wahrlich sehr verschiedene „Dinge“ sind. Daneben finden sich soziologische, ethnologische, juristische, moralische und andere Aussagen, politische Statements und allgemein-verständliche Erklärungen, witzige Anmerkungen, Anekdoten und lange Zitate. Ein derartiges „Sampling“ mag als Methode für populärwissenschaftliche Vorträge eine gewisse Berechtigung haben, in einem ökonomischen Fachbuch dagegen wirkt es eher irritierend, manchmal sogar störend. Mitunter entsteht dadurch der Eindruck von Zufälligkeit, Oberflächlichkeit und argumentativer Willkür: So ist die Palette der angerissenen Fragen sehr groß, ohne aber dass hier immer ein innerer Zusammenhang erkennbar wäre. Auch sollen offenbar alle im Netz vertretenen Mainstream-Positionen im Buch vorkommen und alle Autoren zitiert werden, die gerade in Mode sind. Dass es dabei zu Widersprüchen und Ungereimtheiten kommt, wird von den Autoren jedoch geflissentlich übersehen. Da das Ganze aber flott formuliert ist und gut lesbar daherkommt, nimmt man es hin, selbst da, wo es inhaltlich nicht unbedingt überzeugt.
Hauptanliegen der Autoren ist es, „gut lesbar verständlich zu machen, wie die Markwirtschaft und der Kapitalismus […] tatsächlich funktionieren“. Dabei legen sie größten Wert auf die Feststellung, dass beide Termini, Markwirtschaft und Kapitalismus, „keineswegs dasselbe“ bezeichnen. Der springende Punkt ist hier aber gerade darin zu sehen, dass zwischen beiden Phänomenen ein logischer innerer Zusammenhang besteht. Wird dieser nicht aufgezeigt, so bleibt die Feststellung ihrer Nichtidentität eine bloße Phrase. Weiter hinten präzisieren die Autoren dann ihr Anliegen, indem sie dieses als „Bemühen“ charakterisieren, „ein paar Defizite des eigenen Studiums zu beheben“. Na ja, vielleicht sollten sie dies tun. Bisher scheint ihnen das aber noch nicht ganz gelungen zu sein. Sonst wäre ihnen aufgefallen, dass sich die Marxsche Arbeitswerttheorie nicht mit der bürgerlichen Produktionsfaktorentheorie kombinieren lässt. Auch hätten sie dann womöglich nicht den fraglichen Versuch unternommen, so verschiedene ökonomische Theorien wie die von Say, Marx, Schumpeter, Polanyi, Graeber und Piketty in eins zu setzen. Als wenig seriös mutet auch ihre Abgrenzung gegenüber der vermeintlich „komischen Ausdrucksweise“ marxistischer Ökonomen an, welche zwischen „Arbeit“ und „Arbeitskraft“ unterscheiden. Unsere Autoren setzen dem entgegen, dass „ausnahmslos jede Art von Einkommen […] nur aus dem Verkauf von irgendetwas entspringen (kann)“. Da fragt man sich, was zum Beispiel die Bezieher von Dividenden oder Renten verkaufen?! Eine Bezugnahme auf die Eigentumsverhältnisse hätte dies besser erklären können.
Breiten Raum nimmt die Erörterung der Zyklizität kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung ein. Positiv schlägt hier zu Buche, dass die Autoren Schumpeters Ansatz aufgreifen und die kurzfristigen konjunkturellen Schwankungen mit langfristigen Zyklen, den „langen Wellen“, zu verbinden versuchen. Als problematisch erweist sich dabei jedoch die vorgenommene Klassifizierung kapitalistischer Entwicklung in real- und finanzkapitalistische Phasen. Dazu haben Kondratjew, Keynes, Minsky, Schulmeister und andere bereits Anregungen gegeben, theoretisch befriedigend gelöst wurde dieses Problem bisher aber nicht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass unsere beiden Autoren in diesem Punkte keinen Schritt weiter kommen als ihre Vorgänger. Ähnliches gilt für die Ausführungen zum Thema „Kredit und Geldschöpfung“. Bloß, dass es hierzu bereits bessere und klarere Abhandlungen gibt als die im Buch rezipierten.
Die Stärke der vorliegenden Arbeit besteht zweifelsohne in der Benennung wirtschaftlicher Missstände und Fehlentwicklungen. Deshalb auch der Titel. Ihre Schwäche ist jedoch in der nicht konsistenten theoretischen Erklärung derselben und im Fehlen einer plausiblen Strategie zu deren Überwindung zu sehen. So ist es zum Beispiel richtig, wenn immer wieder darauf verwiesen wird, welche unrühmliche Rolle Banken und andere Finanzinstitutionen im Krisenverlauf zuletzt gespielt haben. Schuldzuweisungen und Erklärungen, wonach „Betrugsskandale von Banken und Versicherungen“ die eigentliche Ursache für Krisen seien, greifen jedoch entschieden zu kurz. Gleiches gilt für einen Teil der unterbreiteten Vorschläge: So gilt es gegenwärtig keineswegs als ausgemacht, dass Griechenland ohne den Euro schneller wieder auf die Beine kommen würde als mit dem Euro. Auch möchte ich die Behauptung anzweifeln, dass Europa als eine reine „Wirtschaftsunion“ eine bessere Zukunft hätte, als unter den Bedingungen einer schrittweisen politischen Integration, wie sie derzeit angestrebt wird. Prinzipielle Zustimmung finden dagegen die vorgeschlagenen Maßnahmen zur strikteren Regulierung der Finanzmärkte. Aber auch hier muss das Maß stimmen. So halte ich den Vorschlag einer Eigenkapitalquote für Banken von 100 Prozent für Nonsens. Dies würde einem „Vollgeldsystem“ entsprechen – ein Konzept das für entwickelte Geld- und Kreditwirtschaften aber kaum realistisch ist. Ähnliches gilt für den Vorschlag, „private Banken gänzlich abzuschaffen“. Auch scheint mir die Idee einer kompletten „Schuldenstreichung“ keine realistische zu sein. Ebenso überzeugt es nicht, wenn behauptet wird, dass sich bestehende Produktionsstrukturen und soziale Ungleichheiten durch Konsumentscheidungen der Verbraucher korrigieren lassen. Derartige Vorschläge mögen in bestimmten Kreisen populär sein, mit Realitätssinn und volkswirtschaftlicher Logik haben sie aber nur bedingt etwas zu tun. Zudem wären sie, wenn sie die Leser überzeugen sollen, qualifizierter zu begründen. Daran aber mangelt es in diesem Buch zuweilen.
Matthias Weik / Marc Friedrich: Kapitalfehler. Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen, Eichborn Verlag, Köln 2016, 350 Seiten, 19,99 Euro.
Schlagwörter: Kapitalismus, Marc Friedrich, Marktwirtschaft, Matthias Weik, Regulierung, Ulrich Busch, Wirtschaftsentwicklung