von Jerry Sommer
Der Parteitag Anfang Mai in Pjöngjang hat die Position des jungen Diktators Kim Jong-un weiter gestärkt. Bekräftigt wurde die grundsätzliche Haltung der nordkoreanischen Führung, die Entwicklung von Atomwaffen und Raketen voranzutreiben. Die Gründe dafür sind vielfältig. So kann das Regime innenpolitisch auf technische Errungenschaften verweisen, aber auch darauf, dass es in der Lage ist, die Bevölkerung vor der angenommenen Bedrohung durch die USA und Südkorea zu schützen. Ein weiterer Grund ist, dass die nordkoreanische Führung meint, durch Atomwaffen ihre Sicherheit kostengünstiger gewährleisten zu können als durch eine konventionelle Bewaffnung. Bisher verschlingen die Militärausgaben rund ein Viertel des Bruttoinlandprodukts. Davon wolle Pjöngjang wegkommen, meint der Nordkorea-Experte Bernt Berger, der unter anderem für das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI gearbeitet hat: „Die nukleare Abschreckung und das Nuklearprogramm dienen letztendlich dazu, die Ressourcen vom Militär abzuziehen, um die wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen.“
Zu einer generellen Aufgabe seines Atomwaffenpotenzials ist Nordkorea weiterhin nicht bereit, obwohl die internationale Staatengemeinschaft das fordert. Der Parteitag bekräftigte, das Land werde an der Atombombe festhalten. Gleichzeitig waren auf der Veranstaltung aber auch versöhnliche Töne zu hören. So sagte Kim Jong-un in seiner Rede: „Als ein verantwortungsbewusster Nuklearwaffenstaat wird unsere Republik keine Atomwaffen einsetzen, außer wenn unsere Souveränität durch feindliche Streitkräfte mit Atomwaffen in Frage gestellt wird. Und wir werden unsere Verpflichtungen zur Nichtweiterverbreitung gewissenhaft erfüllen und für eine globale Denuklearisierung eintreten.“
Für den Nordkoreaexperten Leon Sigal vom Social Science Research Council in New York ist das ein weiteres Signal, dass Pjöngjang Willens ist, mit den USA zu verhandeln: „Nordkorea erklärt zwar ständig, dass es niemals bereit sein wird, seine vorhandenen Waffen aufzugeben. Aber es hat zugleich auch seine Bereitschaft erklärt, gegebenenfalls nicht mehr Atombomben zu bauen, Atom- und Raketentests einzustellen und Inspektoren ins Land zu lassen, um diese Schritte zu überprüfen.“
Allerdings ist Nordkorea nicht zu einseitigen Maßnahmen bereit. Es fordert einen Friedensvertrag oder zumindest einen Friedensprozess. Denn seit dem Koreakrieg in den 1950er Jahren gibt es nur einen Waffenstillstand, formal befinden sich Nordkorea und die USA sowie Südkorea nach wie vor im Kriegszustand. Sigal geht davon aus, dass selbst eine Verkleinerung der jährlichen Militärübungen, die die USA zusammen mit Südkorea regelmäßig durchführen, als mögliche Gegenleistung für einen Atomteststopp für Nordkorea akzeptabel wäre. Allerdings müssten die USA, um überhaupt Fortschritte zu erzielen, ihre bisherige harte Haltung aufgeben: „Bevor man sich an einen Verhandlungstisch setzt, verlangen die USA, dass Nordkorea einseitige Schritte unternimmt und beispielweise den Bau von Atomwaffen einstellt, um deutlich zu machen, dass es zu einer Denuklearisierung bereit ist. Der einzige Weg für erfolgreiche Verhandlungen ist aber, wechselseitige Schritte zu unternehmen.“
Nur – auf Gespräche ohne Vorbedingungen möchte sich die Obama-Administration nicht einlassen. Das hat auch mit dem innenpolitischen Kräfteverhältnissen in den USA tun, wo insbesondere die Republikaner im Kongress eine Abneigung gegen jegliche Verhandlungen oder gar Zugeständnisse an Nordkorea hegen.
Im Atomkonflikt mit dem Iran hat Obama sich allerdings gegen die republikanische Mehrheit im Kongress und auch gegen die Meinung der Bündnispartner Israel und Saudi-Arabien durchgesetzt. Gegenüber Nordkorea wird jedoch ein anderer Kurs verfolgt: Mehr Sanktionen und mehr militärische Abschreckung ohne Verhandlungsangebote. Doch diese Mittel werden nicht ausreichen, meinen viele Experten.
Zwar hat der UN-Sicherheitsrat Anfang des Jahres nach dem bis dato letzten nordkoreanischen Atomtest die bisher schärfsten Sanktionen gegen das Land verhängt. Auch China, über das 90 Prozent des nordkoreanischen Handels abgewickelt werden, hat zugestimmt. Doch die wichtigste Einnahmequelle Nordkoreas ist der Export von Arbeitskräften vor allem nach China – und dieser wird durch die Sanktionen nicht berührt. Außerdem bleibt der Export von Kohle und Erzen erlaubt, solange diese dem Lebensunterhalt der koreanischen Bevölkerung dienen. Zudem haben die Nordkoreaner umfangreiche Erfahrungen mit der Umgehung von Sanktionen. China wiederum wird bei aller Kritik an Nordkoreas Atomprogramm das Land nicht in die Enge treiben, meint Leon Sigal: „China will nicht riskieren, dass Nordkorea kollabiert, Flüchtlingsströme über die Grenze kommen und die USA und Südkorea dann bis an die chinesische Grenze vorrücken.“
Sanktionen werden Nordkorea also wahrscheinlich nicht zu einer Änderung seiner Positionen bewegen. Die militärische Aufrüstung gegen Nordkorea könnte hingegen sogar kontraproduktiv sein, weil sie die Belagerungsmentalität im Norden stärkt. Im Frühjahr zum Beispiel fanden im Südteil des Landes die bislang größten gemeinsamen Militärmanöver von südkoreanischen und US-Truppen statt. Und dabei wurde anscheinend auch ein Enthauptungsschlag gegen die nordkoreanische Führung geübt. Der Konfliktforscher Bernt Berger: „Die Manöver beinhalteten Landungsmanöver, die so interpretiert werden, dass es um eine Einnahme Pjöngjangs geht. An den Übungen beteiligen sich B-52 Bomber, die nuklearwaffenfähig sind. Damit begründet Nordkorea auch, dass die Halbinsel nicht denuklearisiert ist. Und dementsprechend beansprucht das Land auch für sich das Recht, ein Nuklearwaffenprogramm zu unterhalten.“
Gegenwärtig besitzt Nordkorea vermutlich Nuklearmaterial für etwa ein Dutzend Atombomben. Es wird desweiteren angenommen, dass es inzwischen die Fähigkeit besitzt, Atomsprengköpfe auf Raketen kürzerer Reichweite zu montieren, die Südkorea erreichen könnten. Pjöngjang weitet auch seine Urananreicherung aus. Es versucht zudem, Raketen größerer Reichweite und Nuklearsprengköpfe für solche Raketen zu entwickeln. Das Land braucht nach Expertenmeinung jedoch mindestens noch fünf Jahre, um Langstreckenraketen herzustellen, die auch die USA treffen könnten. Will man diese besorgniserregenden Entwicklungen verhindern, muss man bereits jetzt nach politischen Lösungen suchen. Berger: „Das einzige, was wirklich die Nordkoreaner dazu bewegt, den Forderungen in Richtung Denuklearisierung nachzukommen, ist ein Prozess, der von beiden Seiten Konzessionen auf den Verhandlungstisch bringt.“
Danach sieht es jedoch im Augenblick nicht aus. Nichts deutet darauf hin, dass Obama in seinen letzten Amtsmonaten noch eine Nordkorea-Initiative starten wird. Und ob nach den US-Präsidentschaftswahlen in Washington mehr Bereitschaft besteht, auf die nordkoreanische Diktatur zuzugehen, bleibt abzuwarten, auch wenn sich der voraussichtliche republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump sogar zu einem Gespräch mit Kim Yong-un bereit erklärt hat.
In Südkorea wiederum hat die Partei der gegenwärtigen Präsidentin, die gegenüber Nordkorea sehr kompromisslose Positionen vertritt, bei den Parlamentswahlen im April eine krachende Niederlage erlitten. Wenn dort im nächsten Jahr bei den Präsidentschaftswahlen ein entspannungswilliger Politiker gewählt würde, könnte sich das positiv auf die Verhandlungschancen auswirken. In Nordkorea jedenfalls ist bei dem Parteikongress im Mai der Diplomat Ri Yong-ho zum Außenminister und zum Politbüro-Mitglied der Arbeiterpartei aufgestiegen. Er hat langjährige Erfahrungen mit US-Gesprächspartnern. Das werten manche als ein Zeichen dafür, dass Pjöngjang schon jetzt gesprächsbereit ist.
Der Text ist eine leicht veränderte Version eines Beitrages für „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 4.6.2016).
Schlagwörter: Atomwaffen, Denuklearisierung, Jerry Sommer, Nordkorea, Raketen, UNO, USA