19. Jahrgang | Nummer 13 | 20. Juni 2016

Faschismuskeule

von Erhard Crome

Donald Trumps Zustimmungswerte im Hinblick auf die Präsidentenwahl am 8. November 2016 sorgen bei den Protagonisten der bisherigen US-Außenpolitik für Unruhe. So verstand sich Der Spiegel dazu, einen Text von Robert Kagan abzudrucken, der mit „Herrschaft des Mobs“ überschrieben ist und bereits im Untertitel suggeriert: „Mit Donald Trump kommt der Faschismus nach Amerika“. Dem Leser sollen Schauer über den Rücken laufen, Zähneklappern ist angesagt.
Nun ist Kagan nicht irgendwer. Er gilt als einer der Vordenker des sogenannten Neokonservatismus. Der geht zurück auf ursprünglich linke Positionen aus den 1930er und 1940er Jahren, die nicht nur Roosevelts New Deal, sondern auch die Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg befürworteten. Danach waren sie strikt antikommunistisch und antisowjetisch. Ihr Konservatismus in Sachen Familie, Nation und Staat wurde ergänzt durch die Vorstellung, die Welt aktiv zu verändern. So tauchte auch die Kennzeichnung als „Neue konservative Revolution“ auf.
Nach dem Ende des Kalten Krieges brachte Francis Fukuyama diese Perspektive mit dem Begriff „Ende der Geschichte“ auf den Punkt. Es konnte nur noch den „demokratischen Kapitalismus“ geben, der weltweit durchzusetzen sei. Und die USA seien berufen, dabei die Führerschaft zu übernehmen. Sie seien die Verfechter von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit. Staaten, die sich dem entgegenstellen, sind „Schurkenstaaten“, gegen die gegebenenfalls auch militärisch vorzugehen sei.
Im Jahre 1997 wurde das „Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert“ (PNAC) gegründet – als neokonservative Denkfabrik mit Sitz in Washington D.C., die für eine weltweite Führerschaft der USA werben und Konzepte dafür ausarbeiten sollte. Zu den Mitgliedern gehörten Dick Cheney, der 2001-2009 Vizepräsident unter George W. Bush war, Donald Rumsfeld, 2001-2006 der Verteidigungsminister von Bush, Paul Wolfowitz, 2001-2005 stellvertretender Verteidigungsminister und danach Weltbank-Direktor, Richard Perle, 2001-2003 Präsidentenberater, und Jeb Bush, Bruder des George W. Bush. Richard Perle war Mitbegründer und einer der Vorsteher des PNAC, Robert Kagan bald das öffentlichkeitswirksamste Gesicht.
Der Afghanistankrieg der USA und des Westens nach dem 11. September 2001 und vor allem der Irak-Krieg ab 2003 waren direkter Ausfluss der Vorstellungen dieser Neokonservativen von einer aktiven militärischen Veränderung der Welt durch Kriege der USA, „Regime Change“ im Namen von Demokratie und Menschenrechten als Sinn und Ziel US-amerikanischer Außenpolitik. Dazu gehörten auch die Osterweiterungen der NATO, die Aufkündigung des einst mit der Sowjetuion abgeschlossenen ABM-Vertrages über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme sowie die Politik der Kriegsdrohungen gegen den Iran.
Das PNAC wurde 2006 aufgelöst. Seine Positionen waren als neuer Imperialismus ins Gerede gekommen und die Protagonisten saßen an den Schalthebeln der Macht. Kagan publizierte weiter in einflussreichen Zeitungen und Zeitschriften, 2008 war er außenpolitischer Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, 2012 des ebenfalls gegen Obama glücklosen Kandidaten Mitt Romney. Kagans Frau ist Victoria Nuland, derzeit stellvertretende Außenministerin der USA mit Zuständigkeit für Europa und Eurasien, öffentlich bekannt geworden durch den „Fuck the EU“-Spruch, als gerade der Regimewechsel in der Ukraine auf Hochtouren lief. Sie verkörpert wie kaum jemand anderes die Kontinuität der interventionistischen Linie der Außenpolitik der USA, wie sie der Neokonservatismus erstrebt. Sie war unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton Stabschefin des stellvertretenden Außenministers Strobe Talbott; dem republikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney diente sie als sicherheitspolitische Beraterin; sie war Repräsentantin der USA bei der NATO und dient jetzt Barack Obama.
Mit Hillary Clinton ließe sich diese Linie bruchlos fortsetzen. In der Republikanischen Partei jedoch ist Jeb Bush, der der natürliche PNAC-Kandidat wäre, kläglich gescheiterter Präsidentschaftsbewerber. Stattdessen droht Trump, der mit der neokonservativen Linie zu brechen angekündigt hat, worauf ich in der letzten Blättchen-Ausgabe eingegangen bin.
Vor diesem Hintergrund stellt Kagans Text den Versuch dar, Trump möglichst definitiv zu verunmöglichen. Die „Faschismus“-Keule soll es richten.
Kagan beginnt mit einer Geschichtsklitterung. Er erklärt, „die Gründerväter“ der USA hätten die „entfesselten Gefühle der breiten Masse, die Herrschaft des Mobs“ am meisten gefürchtet, und verweist dann auf Alexander Hamilton. Der gilt zwar als einer der Gründerväter, konnte sich aber mit den meisten seiner Forderungen nicht durchsetzen, etwa der Wahl des Präsidenten und der Senatoren auf Lebenszeit. Das wäre ein Staat mit einem Quasi-König und einer Art Aristokratie gewesen. Statt dieser konservativ-aristokratischen Perspektive hatte sich jedoch eine republikanische Position durchgesetzt mit „Checks and Balances“: Präsidentenwahlen alle vier Jahre, ein Parlament mit zwei Kammern und ein unabhängiges Oberstes Gericht, eine Bundesregierung und Einzelstaaten mit eigener Regierung und eigenen Gesetzen.
Anschließend meint Kagan, diese „ungebremsten Leidenschaften der Massen“ würden nicht zu mehr Demokratie, sondern zur Herrschaft eines Tyrannen führen und schlägt den Bogen von der Pöbelherrschaft zum „Faschismus“.
Erinnert sei hier an die vielen, insbesondere in Europa und Deutschland geführten Debatten um Faschismus und Nationalsozialismus, deren historischen Platz und deren machtpolitische Funktion. Das alles wird bei Kagan zielstrebig ausgeblendet. Stattdessen hüpft er geschwind zu Stalin und zum „Putinismus“.
Wenn Trump die Wahl gewinne, würden „seine Legionen“ landesweit die Mehrheit haben, raunt Kagan. Aber hat nicht der Präsident in aller Regel eine Mehrheit, wenn er Glück hat auch im Kongress? „Zusätzlich würden die immensen Befugnisse des amerikanischen Präsidenten unter sein Kommando fallen“, so Kagan weiter. Das soll eine Warnung sein. Aber ist es nicht der Sinn der Präsidentenwahlen seit George Washington, das der Sieger diese Befugnisse haben soll? Am Ende wieder der Satz, der bereits oben drüber steht: „So kommt der Faschismus nach Amerika.“
Der Text beweist dies nicht. Er ist eher Zeugnis von Angst. Angst dieser Neokonservativen, dass Trump die Wahlen tatsächlich gewinnt und dann die Ära des bisherigen interventionistischen Imperialismus mit Regime-Changes und unablässigen Kriegen etwas anderem Platz machen könnte, dass womöglich gar die antirussische Ausrichtung der US-Außenpolitik, wie sie Obama und Clinton sowie Nuland und Kagan selbst vertreten, zur Disposition stehen könnte.
Zeit-Herausgeber Josef Joffe, der sonst keine Gelegenheit auslässt, den nahtlosen Schulterschluss mit den USA zu üben, bezieht sich auf Kagan und titelt: „Fascho-Fantasie“. Dann schreibt er: „Trump ist grob, frech und demagogisch, aber das macht ihn noch lange nicht zum Faschisten.“ Es keimt der Verdacht, Joffes Text soll eine vorsichtige Warnung sein: Deutschland müsste auch mit einem Präsidenten Trump zurechtkommen.