19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

Antworten

Rupert Neudeck, Retter ohne Furcht und Tadel, Menschenfreund – Ihnen konnte die ärztliche Kunst nicht mehr helfen. Angesichts überbordenden menschlichen Elends haben Sie voller Mut immer und überall geholfen, wo Sie es für nötig hielten. Das nötigt uns großen Respekt ab. Und ein Gedanke, den Sie einmal in einem Interview gegenüber der Zeitung neues deutschland aussprachen, gehört in jedes Schulbuch und in Stein gemeißelt an die Stirnwand eines jeden europäischen Parlamentssaales: „Wir im Westen sind die Schweinehunde. Wir verschleudern Geld und Ressourcen, die uns oft gar nicht oder nicht allein gehören. Wir verdienen und konsumieren mehr als jeder, der uns nährte und sich uns jetzt in seiner Verzweiflung nähert.“

Volker Pispers, Kabarett-Pausierer – „Hach, Siegmar Gabriel. Früher waren Dick und Doof mal zwei“, so stoßseufzten Sie, als Sie noch auf der Bühne standen. Diesen Satz haben wir hier zwar furchtbar aus dem Zusammenhang gerissen, aber nur um deutlich zu machen, dass es solche Sätze sind, derentwegen Sie uns schon jetzt fehlen. Und solche natürlich auch: „Religion ist etwas für Menschen, die wirklich Trost brauchen, aber Alkohol nicht vertragen. Und komm’se jetzt bloß nicht mit ‚Religion ist Opium fürs Volk‘. Das ist Quatsch. Opium ist eine bewusstseinserweiternde Droge.“

Barack Obama, Reisender – Wenn sich Staatschefs für die Einhaltung der universellen Menschenrechte einsetzen, ist das beachtenswert. Wenn der Präsident des mächtigsten Landes dies tut, desto besser. Und würden den Worten des Friedensnobelpreisträgers endlich einmal Menschenleben schützende Taten anstelle von Marschflugkörpern folgen: noch besser. Dass Sie sich aber dazu hinreißen ließen, ausgerechnet in Hanoi die vietnamesische Staatsführung zu belehren, dass die Einhaltung der Menschenrechte „keine Bedrohung der Stabilität“ sei, ließ uns in einem Moment der Sprachlosigkeit erstarren. Wir wollen Ihnen ja nicht permanent die Zustände in Godʼs own country unter die Nase reiben – aber bis heute ist die Zahl der zivilen Toten des von ihrem Lande geführten Krieges gegen Vietnam unklar. Schätzungen gehen von 12 bis 13 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Und da stellen Sie sich hin und erheben den moralischen Zeigefinger… Damit wir uns nicht missverstehen: Wir stellen mitnichten dem staatlichen Umgang mit Oppositionskräften in Vietnam einen Persilschein aus. Aber es gibt Orte, an denen nicht jeder alles sagen sollte.

Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Chef, Religionskämpfer – „Flächendeckenden Islam-Unterricht“ an den deutschen Schulen forderten Sie dieser Tage. Sie möchten, dass junge muslimische Schüler die Möglichkeit erhalten, sich „kritisch mit der Tradition ihrer Religion“ auseinanderzusetzen. Religion ist per se eine Glaubensfrage, aber glauben Sie wirklich, dass muslimischer Religionsunterricht in der Verantwortung der islamischen Verbände – ausgerechnet! – dazu das geeignete Mittel ist? Wie durchschlagend erfolgreich die „kritische Auseinandersetzung mit der Tradition ihrer Religion“ im Falle des christlichen Religionsunterrichtes in der Verantwortung der Kirchen abläuft ist schließlich allgemein bekannt…

Klaus Lederer, yogischer Flugkapitän der Berliner LINKEN – Guru Gysi hielt jüngst seiner Partei einen Spiegel vor: „Saft- und kraftlos“ sei DIE LINKE. Die fand das nicht so schön. Sie schon eher. „Wenn man Gesellschaft verändern will, dann muss man das auch ausstrahlen“, zitierte Sie die Berliner Zeitung. Das hätte auch Obi-Wan Kenobi über die Macht zu seinem Schüler Luke Skywalker in „Krieg der Sterne“ sagen können. Was und wie Sie ausstrahlen wollen, das wird im Gegensatz zum Techno-Schinken allerdings nicht so richtig klar: „Wir sollten kein plumpes Anti-Establishment-Bashing machen und kein instrumentelles Verhältnis zu den Ängsten der Leute entwickeln.“ Logisch, zum Establishment gehören Sie inzwischen selber, den Abwehrreflex verstehen wir. Und zu „den Ängsten der Leute“ hatten Sie bislang eher gar kein Verhältnis, da wäre ein „instrumentelles“ – was auch immer das sein soll – wenigstens etwas. Versuchen wir, Ihr sprachliches Geschwurbel in verständliches Deutsch zu übersetzen: „Ich will regieren, egal wie. Hauptsache, ich werde Minister. Wenn ich meine Wahlversprechen nicht halten kann, sind die anderen schuld. Die haben die Mehrheit. Außerdem ist das ein Kommunikationsproblem.“ Das mit der Mehrheit dürfte nach Ihren wahrhaft yogischen Polit-Flugversuchen jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche sein.

Monika Grütters, christdemokratische Kreuz-Ritterin im Kanzleramt – Der Wochenschrift DIE ZEIT erklärten Sie, dass das Kreuz ins Kanzleramt gehöre, „denn das Christentum gehört zu unserer Kultur“. Darum hänge auch in Ihrem Büro ein Kreuz. Eine kalligraphische Darstellung des Glaubensbekenntnisses der Muslime hatte die Interviewerin offenbar nicht gesehen. Der Islam gehört schließlich nicht zu unserer Kultur. Sagt Frauke Petry auch. Ein Kopftuch würden Sie als Zeichen der Einschränkung Ihrer Freiheit auch nicht aufsetzen: „Wenn wir weltanschauliche Neutralität wollen, dann gehört das Kopftuch bei Staatsbediensteten nicht in die Schule.“ Wenn es etwas gibt, was Sie mitnichten vorleben, so ist es weltanschauliche Neutralität. Der schönste Beleg dafür ist das erwähnte Interview. Damit befinden Sie sich in der dem Volke allzu vertrauten Tradition deutscher Regierungspolitiker: Was der Herre (hier: die Herrin) tut ist wohlgetan – die Regeln sind für das Personal da.

Alexander Gauland, rechter Empfindungspolitiker – Sie haben ja nur mal so gesagt, was andere möglicherweise empfinden könnten… Gut, wir gestehen: Wir empfinden Leute wie Sie als „fremd“ und können uns auch nur schwer vorstellen, Tür an Tür mit Ihnen zu leben. Das muss Sie jetzt nicht beunruhigen. Wir gehen davon aus, dass auch wir in einem solchen, zugegeben schwer vorstellbarem Fall, ein gewisses zivilisatorisches Level nicht zu unterschreiten haben. Das heißt auch, sich wechselseitig an die anerkannten Regeln des Zusammenlebens halten, wie Hausordnung machen, „Guten Morgen“ auf der Treppe sagen, niemanden mit Müll oder Krach belästigen – und so weiter und so fort. Wer sich nicht daran hält, kann aus jedem ordentlichen Mietvertrag gekündigt werden. Aber Sie haben‘s ja wohl nur so mal gesagt… So als mögliche Annahme einer Empfindung. Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen, in Deutschland! Nichts darf man mehr hier!

Günter Wallraff (73), ab sofort Lukas 6, 27 ff. folgend? – Sie galten jahrzehntelang als der Paradefeind der BILD-Zeitung. Ihr möglicherweise berühmtestes Buch ist 1977 erschienen und hieß „Der Aufmacher: Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“: – ein Report aus dem Herzen der Finsternis und eine empirisch fundierte Bloßstellung der „Philosophie“ und der unsauberen (kloaken-) journalistischen Methoden von Springers Sudelpostille. Sie hatten sich klandestin Zutritt zu einer von deren Redaktionen verschafft und dort fast vier Monate Vivisektion betrieben. Damals fiel Springers Schatten noch so weit, dass der WDR, das „linke“ Flaggschiff der Öffentlich-Rechtlichen, die Ausstrahlung Ihres Filmes zu dieser Story untersagte. Fast 35 Jahre später attestierten Sie dem Blatt unverändert ungeschminkt: „Das sind doch immer noch Triebtäter“.
Dieser Tage nun, und wir wollten unseren Augen und Ohren nicht trauen, empfingen Sie den BILD-Herausgeber Kai Dieckmann in Ihrem Heim zu einem Ping-Pong-Match. Gut, das haben Sie nach 23 Minuten mit 4 : 1 gewonnen, aber Sie haben Dieckmann immerhin undementiert erklären lassen, das Zusammentreffen sei „eine Möglichkeit, diese Gegnerschaft friedlich und sportlich aufzulösen“. Da wir jedoch vor Ihrem Lebenswerk nahezu uneingeschränkt unseren Hut ziehen, wollen wir es an dieser Stelle bei der bestürzenden Diagnose belassen, dass auch ein Günter Wallraff augenscheinlich nicht vor altersmildem Sfumato geschützt ist.