von Ulrich Kaufmann
Bekannt ist, dass Sigrid Damm 1979 eine Briefauswahl, ergänzt um einen Großessay zu der eng mit ihrer Heimatstadt Gotha verbundenen Caroline Schlegel-Schelling vorlegte. Etwas in Vergessenheit indessen geriet ihre Edition „Märchen der deutschen Romantik“, die 1982 im Berliner Kinderbuchverlag erschien und mehrere Nachauflagen erlebte. Die Herausgeberin wählte den Novalis -Titel „Hyacinth und Rosenblüt“. Friedrich von Hardenberg, der Romantiker schlechthin, steht für das Symbol der Suche nach der blauen Blume.
Verblüffend ist, dass Damm in diesem Buch, an dem sie einige Jahre arbeitete, den wissenschaftlichen Schreibgestus, den „Germanistenton“ vergessen macht. Wie E.T.A. Hoffmann in seinem „Märchen von der harten Nuß“ spricht sie die jungen Leser in ihrem einleitenden Essay „Das Geheimnis“ – den man in ihren publizistischen Sammlungen vergebens sucht – direkt an. Am Ende wird Sigrid Damm persönlich, wenn sie erwähnt, dass in der Auswahl jene Märchen stehen, die sie als Kind besonders mochte oder die sie ihren beiden Söhnen später vorlas.
Mit größter Selbstverständlichkeit, ohne jede Berührungsangst geht die Herausgeberin auf die romantischen Texte zu, ohne ihre Leser davon zu unterrichten, dass man in der DDR lange mit der Romantik auf Kriegsfuß stand, sie (mit Goethe) als das „Kranke“ abtat. Gekonnt beiläufig belehrt die Editorin ihre Leser über die romantischen Dichter, indem sie diese in den konkreten historischen Kontext nach der Französischen Revolution stellt und daran erinnert, welchen Berufen die vermeintlichen „Träumer und Nichtstuer“ nachgingen: „Novalis als Geologe, Chamisso als Botaniker, als Arzt Kerner, als Juristen Eichendorff, Immermann und E.T.A. Hoffmann.“
Nach Erscheinen ihrer Lenz-Biografie „Vögel, die verkünden Land“ (1985) haben einige Kritiker der Autorin zu Unrecht eine Goethe-Feindlichkeit nachgesagt. Nichts davon ist in der Monografie noch hier, in der Märchenedition, erkennbar. Im Gegenteil – Goethes „Märchen“ eröffnet den Band und der Große aus Weimar ist in ihrem Essay durchgehend wesentlicher Bezugspunkt. Eine Trennung oder gar Mauer zwischen Romantik und Klassik existiert für Sigrid Damm nicht, zumal es die Jenaer Romantiker waren, die am Beginn des Goethe-Kults in Deutschland standen.
Sigrid Damm erweist sich bereits Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre als gediegene Editorin. Selbst dieses Märchenbuch enthält einen „Apparat“ mit „Worterklärungen und Anmerkungen“. Die Druckorte werden angegeben und in zwei Fällen (bei Hoffmann und Eichendorff) räumt sie ein, die Rahmenhandlungen gestrichen zu haben.
Das ganz Besondere indessen ist, dass ihre Edition mit zahlreichen, ausschließlich zeitgenössischen Gemälden und Grafiken geschmückt wurde. Mitunter wurden verschiedene Künstler herangezogen, um einen Märchentext zu zieren. Allein das Abbildungsverzeichnis mit fünf Druckseiten zeigt, mit wie viel Liebe und Mühe die Herausgeberin gearbeitet hat.
In der Edition findet man – neben den bereits genannten Dichtern – auch Kunstmärchen von Chamisso, Brentano, Fouqué, Hauff, aber auch Textproben von Justin Kerner, Carl Wilhelm Salice Contessa, Karl Immermann, Ernst Moritz Arndt und Robert Reinick.
Am Beispiel der Erzählkunst Tiecks (in „Die Elfen“) zeigt Sigrid Damm ihren Lesern, dass Märchen auch ungewohnte Schlüsse haben können. „Das Märchen endet traurig. Bloße Nützlichkeit, ohne Bereitschaft zu Traum und Phantasie – so lässt Tieck uns spüren – macht das Leben öde und leer.“ Als Ludwig Tieck, der Vater der Romantik, im Jenaer Schloss ein Märchen vorlas, merkten Goethe und sein neunjähriger Sohn August nicht, wie die Zeit vergangen war.
Sigrid Damm überlässt Goethe in ihrem einleitenden Text das letzte Wort: „Jedes Märchen ist ein Rätsel; sein verborgener Sinn aber, der durch des Dichters Phantasie auf das lebhafteste aufregt, ist seine Wahrheit, die am innigsten empfunden wird, wenn der Mensch sich selbst entdeckt zu haben glaubt.“
Sigrid Damm (Hg.): Hyacinth und Rosenblüt – Märchen der deutschen Romantik. Kinderbuchverlag Berlin, antiquarisch erhältlich.
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