von Peter Liebers
Die enorme Energie, die von Yvonne Büdenhölzer ausgeht, lässt jeden Vorbehalt schwinden, ob eine so junge, aus dem Rheinland stammende Frau ein traditionelles Festival wie das Berliner Theatertreffen gestalten kann. Und das sowohl im Sinne einer in Jahrhunderten entstandenen, bis heute erhaltenen deutschen Theaterlandschaft als auch eines behutsamen Aufbrechens gewachsener Strukturen.
Die 1977 bei Köln geborene Dramaturgin leitet seit 2012 dieses auf der Insel Westberlin vor 53 Jahren gegründete Festival. Seitdem versammelt es von Jahr zu Jahr im Mai die zehn von einer unabhängigen Jury ausgewählten „bemerkenswertesten Inszenierungen der laufenden Saison“, die an Bühnen im deutschsprachigen Raum zu sehen sind. Das entspricht der Tradition dieser Festspiele, inzwischen sind neben diesen Gastspielen aus Zürich, Wien, Dresden oder Hamburg weitere markante Programmpunkte hinzugekommen. Beim Stückemarkt des Theatertreffens stellen Autoren ihre neuen Arbeiten in szenischen Lesungen, Gastspielen und Performances vor. Er ist für Theatermacher aus ganz Europa offen, 314 Bewerber gab es in diesem Jahr. Die Wahl fiel auf Gäste aus England, Kroatien, Dänemark, Slowenien und Deutschland.
Das Internationale Forum ist ein 18-tägiges Stipendienprogramm, mit dem Theatermacher aus allen Teilen der Welt gefördert werden. Yvonne Büdenhölzer nennt es „ein kreatives Experimentierfeld und einen gesellschaftspolitischen Denkraum“, zu dem 38 Künstler aus 22 Ländern eingeladen wurden. Das „Camp“ sieht sie als „Diskussionsplattform, in der Tendenzen und Motive des zeitgenössischen Theaters und der Gesellschaft thematisiert werden“. Drei große Themenschwerpunkte setzte das am 22. Mai zu Ende gegangene Festival in diesem Jahr. „Im Focus ,Arrival Cities – Willkommensland Deutschland?‘ geht es um eine veränderte Stadtgesellschaft und die damit verbundenen Herausforderungen, beim Künstlergipfel arbeiten junge Künstler an Konzepten zum Thema ,Artistic Citizenship‘ und gehen der Frage nach, was Kunst als Teil der Zivilgesellschaft leisten kann. Und der dritte Schwerpunkt Focus ,Skulptur/ Performance/ Schauspiel‘ lotet die Rolle des Schauspielers an der Schnittstelle von Theater und bildender Kunst aus.“ Damit ist das Rahmenprogramm des Theatertreffens noch nicht einmal komplett, und Yvonne Büdenhölzer möchte den internationalen Austausch noch weiter profilieren.
Kernstück aber sind die Aufführungen des Theatertreffens, die diesmal aus 394 Inszenierungen ausgewählt worden waren, die sich die sieben Jurymitglieder im Laufe eines Jahres angesehen hatten. „38 waren auf die ,Streitliste‘ gesetzt worden“, wie Yvonne Büdenhölzer die Debatte um die letztlich zehn gekürten Arbeiten bezeichnet. Die Jury wird von ihr und dem Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, für drei Jahre berufen und setzt sich aus renommierten Kritikern zusammen, die durch ihre Tätigkeit bei verschiedenen Printmedien und Radiosendern einen exzellenten Überblick über die deutschsprachige Theaterlandschaft haben. Sie werden nicht zuletzt so gewählt, dass sie über Erfahrungen in unterschiedlichen Regionen verfügen. „Starke Köpfe“ nennt Yvonne Büdenhölzer die Juroren, „die eine eigene Meinung haben, die diskursfähig und streitbar sind“. Keine sich laut verkündenden Kritikaster, sondern Autoritäten, die immer wieder landauf wie landab und Abend für Abend neugierig bleiben darauf, was auf den deutschsprachigen Bühnen geschieht.
Dennoch gibt es auch kritische Anmerkungen zu den Juryentscheidungen. Zum Beispiel fehlen mittlere und kleine oder ostdeutsche Bühnen. Auch die Frage nach der „Frauenquote“ in der Juryzusammensetzung wird ab und zu laut. „Es ist leider nicht einfach, Frauen für diesen äußerst zeitaufwändigen Job zu gewinnen“, erklärt Yvonne Büdenhölzer. „Zwischen 70 und 130 Reisen im Jahr sind mit einer Familie schwer zu vereinbaren, zumal es ja oft gilt, dass die Prioritäten immer noch anders gesetzt werden, indem die Frauen sich nach den Kindern richten und ihren Männern den Rücken freihalten.“
Umso mehr Respekt gilt der Theatertreffen-Chefin, die im Juni ihr erstes Kind erwartet und sich also dieser Quadratur des Kreises stellen wird. Mit Kritik geht sie „konstruktiv um. Es gehört für mich zum guten Ton, dass diese sowohl positiv als auch negativ geäußert wird. ‚Beleidigt‘ bin ich nie, sonst hätte ich diesen Job nicht gemacht. Dieses Festival lebt schließlich von der Kritik!“ Was die „Quote“ betrifft, so freut sich Yvonne Büdenhölzer, dass für die Jury, die die Auswahl des Theatertreffens 2017 zu verantworten haben wird, drei Frauen gewonnen werden konnten.
Und auch auf die Frage nach der Präsenz von Inszenierungen aus den neuen Ländern gerät Yvonne Büdenhölzer nicht in Erklärungsnot. Mit Barbara Burckhardt und Peter Laudenbach waren „zwei unabhängige, in diesen Regionen erfahrene Kritiker“ zur Verfügung, die das Bühnengeschehen in diesen Regionen, ob in Chemnitz oder Cottbus, so beurteilten, dass hier keine maßstabsetzenden Aufführungen zu entdecken seien. „Eine aktuelle, die politische Situation darstellende Inszenierung ist noch kein alleiniges Kriterium für eine Nominierung“, beschreibt sie das Prinzip, nach dem sie gemeinsam mit den Juroren die Entwicklung der Spielpläne deutschsprachiger Bühnen verfolgt.
Sehr wichtig ist für Yvonne Büdenhölzer eine wachsende Aufmerksamkeit für die Migration. Es geht ihr darum, die (Sach-)Lage von Flüchtlingen auf die Bühne zu bringen. „Ich bin froh darüber, dass sich viele Künstler und immer mehr Theater dieser Thematik annehmen, und das sowohl in ihren Inszenierungen als auch mit ihrem sozialen Engagement“. Ihr imponiert, dass „Theater praktische Hilfe leisten, indem sie Unterkünfte bereitstellen oder sich mit Sprachkursen an der Integration von Flüchtlingen beteiligen“. Hier „löst das Medium Theater seine Aufgabe ein, die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die unabhängig von ästhetischen Fragen von der Gesellschaft diskutiert werden. Sich darüber auszutauschen bleibt auch das wichtigste Anliegen unseres Festivals.“
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