von Alfons Markuske
Auch die diesjährige lit.Cologne (8. – 19. März) verfuhr vorrangig nach bewährtem Schema: Schriftsteller präsentieren ihre jüngsten Werke, indem sie daraus lesen, und wenn dies nicht auf Deutsch geschieht, bringen Schauspieler heimischer Mundart dem nicht hinreichend polyglotten Teil des Publikums Werkpassagen in verständlicherem Idiom nahe. Überdies werden die Autoren in der Regel von Moderatoren befragt, was häufig reizvolle zusätzliche Ein- und Durchblicke eröffnet. Hin und wieder aber auch komplett in die Hose geht, was seinen ganz eigenen Charme entfalten kann.
Trotz „ewig gleichem“ Muster ist Langeweile nicht zu befürchten – einfach dank stetig wechselnder Beteiligter. Das Programm-Booklet wies 186 Veranstaltungen aus.
lit.Cologne unter anderem mit – Allessandro Baricco. Der hatte sich vor 20 Jahren mit seinem Roman „Seide“, wenn vielleicht nicht schon in die Unsterblichkeit, so doch in die Herzen einer weltweiten Leserschaft geschrieben. Nun also sein in deutscher Ausgabe Achtling „Mr. Gwyn“. Der, mit Vornamen Jasper, ist ein berühmter englischer Schriftsteller, dem all das nervige öffentliche Vermarktungsflirr- und Flittereinerlei um ihn und sein Werk so gehörig über die Hutschnur geht, dass er beschließt, künftig 52 Dingen zu entsagen. Dies teilt er dem Guardian in einem Beitrag mit und listet unter anderem auf, keine Beiträge für den Guardian mehr zu verfassen, vor allem aber keine weiteren Bücher zu schreiben. Stattdessen will er Kopist werden und Porträts verfertigen – allerdings nicht gemalte, sondern geschriebene.
Ein an diesem Abend besonders gut gelaunter Joachim Król – sein Leibverein Borrussia Dortmund hatte gerade irgendetwas drei zu null gewonnen – lieh dem mit sehr italienischem Charme sofort den weiblichen Teil seiner Gäste erfolgreich becircende und den männlichen links liegen lassenden Schriftsteller sein Organ und Modulationsvermögen, was den Abend auf dem über den Rhein gleitenden Literaturschiff zusätzlich zum Genuss machte. Und für Baricco-Fans zum Trost: Sollte „Mr. Gwyn“ das Alter Ego seines Schöpfers sein, wird es zumindest wohl noch zwei weitere Romane in deutschen Übersetzungen geben, denn diese liegen italienisch bereits vor.
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lit.Cologne auch mit – Cees Noteboom, der seine Leser an seiner nun schon sechs Jahrzehnte währenden Faszination für Hieronymus Bosch teilhaben ließ. Unmittelbar vor dem Kölner Literaturfest und passend zum Bosch-Jubiläum 2016 ist sein jüngstes Buch erschienen – „Reisen zu Hieronymus Bosch“. Darin wirft der Dichter unter anderem die Frage auf, ob Boschs Bilder „vielleicht [bedeuteten], dass die Menschheit so oder so schuldig und verdammt war? Hatte Hieronymus Bosch eine düstere Vorahnung in Bezug auf diese Schöpfung?“ Nicht nur angesichts sich ausweitenden Kriegsgeschehens in der Welt und der Zunahme millionenfachen menschlichen Elends eine auch heute mehr als nahe liegende Frage, die Bosch quasi zum Zeitgenossen macht. – Jetzt in Köln war Moderator Joachim Frank, studierter Theologe sowie Kunsthistoriker und immerhin Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe, für ein Gespräch mit dem Gegenstand und dem Dichter angemessenem Tiefgang leider zu oberflächlich vorbereitet, was nur höchst seichte Fragen an den davon rasch und sichtlich genervten Noteboom zuließ. Der ließ den Moderator daher einsilbig abperlen, und im Übrigen las er, der das Deutsche gut beherrscht, ausführlich aus seinem Buch. Und das war gut so.
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lit.Cologne des Weiteren mit – Chris Geletneky, Produzent und Autor diverser Comedy-Formate. Geletneky hat eine „Midlife Cowboys“ betitelte, höchst witzige und weit über die männliche Schmerzgrenze hinaus selbstironische Feldstudie zur maskulinen Midlife-Crisis vorgelegt. Die gilt aus eng medizinischer Sicht ja bekanntlich nach wie vor als reine Einbildung, weil sich der männliche Testosteron-Spiegel zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr – anders als der interne Hormoncocktail bei Frauen – nur geringfügig verändert. Geletneky, selbst jenseits der vierzig und augenscheinlich aus empirischer Erfahrung, weiß: „[…] eben weil der Testosteron-Spiegel nahezu konstant bleibt, kommt es bei Männern […] zur Krise. Dein Hormonhaushalt sagt dir: ‚Hey, du bist ein zwanzigjähriger Superstecher, der sie alle haben kann.’ Aber Dein Spiegelbild antwortet: ‚Nein. Du bist ein aufgedunsener Spießer mit Bierranzen und Geheimratsecken, der […] mittwochs pünktlich die Biotonne auf die Straße schiebt.“ – Als Hauptvorleser hatte sich Geletneky Bastian Pastewka mitgebracht, und was die beiden gemeinsam – lesend, improvisierend und immer wieder auf den Punkt musikalisch untersetzt – ablieferten, brachte den Saal ein ums andere Mal zum Bersten. Comedy at its best.
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lit.Cologne darüber hinaus mit – Riad Sattouf. Der französische Zeichner (Vater Syrer, Mutter Französin) erzählt in seinem graphic novel „Der Araber von morgen“, dessen zweiter Band gerade auf Deutsch erschienen ist, von seiner Kindheit als blond gelockter Knabe im Reiche der Herrscherhauses Assad. Unter Verhältnissen, wo unter anderem „Ehrenmord“ an einem zur Unzeit geschwängerten weiblichen Familienmitglied das Ansehen der Täter in einer männlich dominierten, islamisch geprägten Dorfgemeinschaft erhöht, die staatliche Strafverfolgung aber selbst in einem säkularisierten Staat wie Syrien bestenfalls eine Farce war – mit lediglich drei Monaten Knast für die Mörder. Eine Schwierigkeit für Sattouf bestand darin, dass er die seiner Meinung nach häufig geschönten Selbstdarstellungen anderer (schreibender oder zeichnender) Autobiographen nicht mag. Er kaute daher lange an der Frage, wie er solche Selbstbeweihräucherungen vermeiden könne. „Doch dann erinnerte ich mich daran, was für ein schönes, intelligentes, beliebtes Kind ich gewesen bin, und da fielen alle Blockaden und Hemmungen.“ Gott, äh, allahseidank! Mit Boris Aljinovic stand Sattouf ein kongenialer Vorleser zur Seite, und Andreas Platthaus als Moderator stellte die richtigen Fragen.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Alessando Baricco, Alfons Markuske, Cees Noteboom, Chris Geletneky, Comic, Hieronymus Bosch, lit.Cologne, Riad Sattouf, Schriftsteller