von Mario Keßler
Die Anzahl von Biographien über Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung hat in den letzten Jahren erfreulich zugenommen. Der hier vorliegenden Darstellung liegt eine Stuttgarter Dissertationsschrift, die von Axel Kuhn betreut wurde, zugrunde. Wie bei fast allen neueren Arbeiten über württembergische Sozialisten ist auch hier die helfende Hand von Theodor Bergmann, Jahrgang 1916, spürbar; diesmal nicht nur durch wissenschaftliche Beratung, sondern auch durch die Übersetzung schwedischer Quellentexte für die Verfasserin. Denn wie Bergmann lebte auch der hier porträtierte Fritz Rück mehrere Jahre im schwedischen Exil.
Fritz Rück wuchs in der Familie eines sozialdemokratischen Tischlers in Stuttgart auf. Trotz sehr beschränkter materieller Mittel ermöglichten ihm die Eltern den Zugang zu Bildungsgütern, wo immer Einrichtungen der Arbeiterbildung diese bereithielten. Der junge Rück lernte den Beruf des Schriftsetzers, engagierte sich früh in der Arbeiterjugendbewegung und trat 1913 in die SPD ein. Im Ersten Weltkrieg schloss sich der entschiedene Kriegsgegner der Spartakusgruppe an und ging mit dieser zur USPD, deren württembergischer Landesvorsitzender er im Oktober 1917 wurde. Ein wohl großes Glück für ihn war, dass er wegen eines Nierenleidens kurz zuvor aus dem Kriegsdienst entlassen worden war.
Am 4. November 1918 stand er an der Spitze des noch illegalen Stuttgarter Arbeiterrates, was zu einer kurzzeitigen Verhaftung führte. Anfang 1919 war er (damals in Braunschweig arbeitend) einer der Mitbegründer der KPD, der bald hauptamtlich für die Parteipresse vor allem Kulturkritiken schrieb. 1921 gehörte er der Delegation zum III. Weltkongress der Komintern in Moskau an. Die Quellen geben nur wenig Auskunft darüber, welche Positionen Rück in den Fraktionskämpfen zwischen 1923 und 1925 vertrat, obgleich er vorsichtig mit den sogenannten „Parteirechten“ sympathisierte und vor allem zu Jacob Walcher gute Kontakte unterhielt. Augenscheinlich ging er auf vorsichtige Distanz zur linksradikalen Führung um Ruth Fischer und gehörte so 1926 nicht zu den aus der KPD Ausgeschlossenen. Er trat in der Kampagne zur Enteignung der Fürstenhäuser hervor, die die KPD zeitweilig näher an die SPD heranbrachte, folgte aber 1928 auch Ernst Thälmann, als dieser die Sozialdemokraten zum „Hauptfeind“ innerhalb der Arbeiterbewegung erklärte. Unklar und widersprüchlich bleiben Rücks Beweggründe für seinen Austritt aus der KPD, den er 1929 vollzog. Er schloss sich nicht der stalinkritischen Kommunistischen Partei-Opposition, der KPDO, an, obwohl er zu einigen ihrer Initiatoren, darunter Heinrich Brandler und August Thalheimer und besonders zu seinem alten Freund Emil Birkert, gute persönliche Beziehungen unterhielt.
Durch den Parteiaustritt verlor Rück seine berufliche Basis. Fortan verdiente er sein Geld als Lektor in der Arbeiterbildung, so in der Leipziger Volkshochschule, die damals Herbert Schaller leitete.
Im Jahre 1932 fand Fritz Rück eine neue politische Heimat in der kurz vorher gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), in der er auch viele frühere kritische Kommunisten wieder traf. Mit ihnen gehörte er, der 1924 eine Zeitlang in Moskau gearbeitet hatte, zum eindeutig prosowjetischen Flügel dieser Partei, wenngleich er betonte, kein unkritischer Stalin-Anhänger zu sein. Im Juli 1932 aber richtete er einen Antrag auf Wiederaufnahme in die KPD, was seinen Ausschluss aus der SAP zur Folge hatte. Die KPD wies jedoch den Antrag zurück. Rücks Versuch einer Annäherung an die KPDO fand durch die äußeren Umstände ein Ende: Im März 1933 musste er aus Deutschland flüchten.
Im Schweizer Exil trennte er sich von seiner Frau Dora. Rücks neue Partnerin Jenny Grimm half dem Mittellosen, sich über Wasser zu halten. Mit journalistischen und belletristischen Arbeiten, vor allem Erzählungen, aber auch Kriminalromanen, sicherte er seine Existenz, ständig bedrängt von der Schweizer Fremdenpolizei. 1937 gelang ihm die Weiterwanderung nach Schweden. Dort fand er in Britta Sjögren die Frau, mit der er bis zuletzt zusammenblieb. Der 1941 geschlossenen Ehe entstammten fünf Kinder. Politisch fand Rück eine neue Heimat in der schwedischen Sozialdemokratie. Er etablierte sich, nachdem er Schwedisch gelernt hatte, als antifaschistischer Schriftsteller und Publizist derart erfolgreich, dass die Familie von den gemeinsam von ihm und seiner Frau verfassten Büchern und Artikeln leben konnte. Zu Rücks Büchern, die seit 1943 in rascher Folge erschienen und in Schweden eine breite Leserschaft fanden, gehörten „1918. Kampen om Europa och fredsdiskussionen“ (Der Kampf um Europa und die Friedensdiskussionen), „Fred utan säkerhet“ (Friede ohne Sicherheit) und „Sovjetunionen och Komintern“ (Sowjetunion und Komintern). Erst dieses Buch dokumentierte Rücks Abkehr von der Sowjetunion, deren Politik bis hin zum Pakt 1939, zum sowjetischen Überfall auf Finnland und der Annexion des Baltikums 1940 er bislang verteidigt hatte. Er war innerhalb der deutschen Gewerkschaftsgruppe in Schweden als politischer Gegenspieler von Fritz Tarnow einer denjenigen, die eine Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten in einem künftigen Nachkriegsdeutschland ablehnten. Eine sozialistische Demokratie sei mit Hilfe der Alliierten nicht zu errichten.
Obgleich sich Rück in Schweden gut eingelebt und 1947 die Staatsbürgerschaft erworben hatte, nahm er 1951 das Angebot der Gewerkschaft Druck und Papier an, um in Stuttgart die Redaktion des gleichnamigen Blattes zu übernehmen. Seine Frau folgte ihm mit vier der fünf Kinder. Der jüngste, schwerstkranke Sohn bedurfte der ständigen Pflege, die ihm nur durch Spezialisten in Schweden zuteilwerden konnte, wo er blieb. Rücks politische Laufbahn erfuhr mit der Wahl des nach wie vor entschiedenen Sozialisten zum Bundesvorsitzenden der Naturfreunde 1955 einen von ihm auch so empfundenen Höhepunkt. Seine Biographin zeigt aber auch, wie vorsichtig er nicht nur mit seiner kommunistischen Vergangenheit umging, sondern dass er auch fast jede Diskussion über die Erfahrungen seines Exils vermied – so konservativ waren damals selbst Teile des gewerkschaftlichen Milieus gegenüber den Erfahrungen eines „anderen“, antinazistischen Deutschlands. Nach seinem frühen Tod am 24. November 1959 kehrte Rücks Frau Britta nach Schweden zurück.
Rück geriet in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit. Dazu mag auch beigetragen haben, dass er, der sein Leben stark an Kunst, Literatur und Malerei interessiert war und sich selbst auch zeichnerisch betätigte, keine „Antenne“ für die sich allmählich entwickelnde Jugendkultur besaß. Wie damals nicht wenige Naturfreunde lehnte er den Jazz, Blues und Rock’n’Roll als „amerikanische Krachmusik“ ab, so dass der SPD-Pressedienst ihn in einem Nachruf durchaus doppeldeutig als „Vertreter der alten Garde“ bezeichnete. Fritz Rücks Erfahrungen, auch seine politischen Positionswechsel, dokumentieren am biographischen Einzelbeispiel einmal mehr die Brüche in Lebensläufen von Sozialisten, die sich im Jahrhundert der Katastrophen behaupten mussten und denen nur das rechtzeitige Exil Gesundheit und meist auch das Leben rettete.
Elisabeth Benz: Ein halbes Leben für die Revolution. Fritz Rück (1895-1959). Eine politische Biographie, Klartext Medienwerkstatt GmbH, Essen 2014, 440 Seiten, 29,95 Euro.
Schlagwörter: Elisabeth Benz, Exil, Fritz Rück, KPD, Mario Keßler, Naturfreunde