19. Jahrgang | Nummer 2 | 18. Januar 2016

Retourkutsche

von Holger Politt, Warschau

Die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen unterliegen nun der unmittelbaren Regierungskontrolle. Allgemein rächt sich, dass jede bisherige Regierung versucht hatte, möglichst viel Einfluss im Mediengeschäft dort zu bekommen, wo dem freien Markt staatsregulierte Grenzen gesetzt sind. Die umgekehrte Tendenz, möglichst viele Regelungen durchzusetzen, mit denen solches politische Begehren wirksam begrenzt werden kann, war da viel weniger im Blick. Die durch die aktuelle politische Macht gegebenen Möglichkeiten schienen eben immer verlockender. In der PiS-Regierung zeigt man sich nun überzeugt, mit dem jetzigen Coup diesem Weg allenfalls die Krone aufgesetzt zu haben.
Als es Kritik hagelte von allen Seiten, wurde süffisant zurückgefragt, wo denn Brüssel gewesen sei, als die Vorgängerregierung im Frühsommer 2014 eine Zeitungsredaktion durchsuchen und die Computer beschlagnahmen ließ. Damals ging es um eine Abhöraffäre, in die führendes Regierungspersonal verwickelt war, das sich in ausgewählten Nobelrestaurants in der Nähe des Parlaments abhörsicher glaubte und so bei teurem Wein frisch-frei aus dem Nähkästchen zu plaudern pflegte (siehe Blättchen 14/2014). Das brisante Material wurde an eine Wochenzeitung verhökert, die es dann ausgiebig unter die Leute brachte. Nach der Polizeiaktion gegen die Freiheit des Wortes ging zwar ein Sturm der Entrüstung durch Polens Journalistenwelt, doch erwies sich der sehr schnell als einer im Wasserglas.
Ein weiteres Argument, mit dem der forsch-freche Schritt hin zu einem regierungskontrollierten Funk und Fernsehen verteidigt werden soll, sind die Eigentumsverhältnisse bei den Privatmedien. Denn dort, so das PiS-Argument, überwiegen ausländische Kapitaleigner, vor allem diejenigen aus Deutschland. Dem müsse ein ausgesprochen polnisches Gegengewicht an die Seite gestellt werden, weil nur so die Freiheit des Worts aufrechterhalten werden kann. Ein patriotisch-nationales Argument, wie es aus der Mottenkiste längst vergangener Zeiten entnommen scheint. Insbesondere die deutsche Karte ist dabei aber berechnend und bewusst eingesetzt. Gewissermaßen spielt sich die PiS-Regierung auch hier wieder als jemand auf, der die Fehlentwicklungen zurückliegender Jahre oder Jahrzehnte ernsthaft beseitigen möchte.
Dazu zählt auch das Verhältnis zu Deutschland, das zwar so eng wie noch nie sei, wie Polens Außenminister vor laufender Kamera versicherte. Zuvor hatte er aber die Welt der Radfahrer, Vegetarier, Klimaschützer sowie die von Schwulen, Lesben und überhaupt den ganzen Multikulti als eine marxistische Einseitigkeit gebrandmarkt, worunter nicht nur er allein in Polen die Welt der heutigen Deutschen sich begreifbar zu machen sucht. Das korrespondiert dann aber sofort mit der wirklich dunklen Seite in der Geschichte der Deutschen, zu deren ersten Opfern Polen zählte. Wenn Jarosław Kaczyński öffentlich meint, von Deutschen bräuchten sich Polen gar nichts sagen zu lassen, haut das allein in diese Kerbe, die fast jeder hier im Lande – egal ob nun jung oder alt – nur zu gut kennt. Bei einem Zusammentreffen mit Präsident Duda meinten nationalkonservative Historiker voller Inbrunst dann auch, dass es ratsam wäre, wenn deutsche Politiker gegenüber der polnischen Regierung sich künftig verhielten, wie sie es auch gegenüber der israelischen Regierung aus gut verstandenen historischen Gründen immer täten.
Ein wichtiges Feld, um künftig die Beziehungen zu Deutschland nationalkonservativ gerade zu rücken, ist die Geschichtspolitik. Einer der führenden Museumsleute des Landes bescheinigte auf diesem Feld jüngst den Deutschen die allergrößten Erfolge, die Polen auf internationaler Ebene bisher versagt geblieben seien. Besucher aus Deutschland, so behauptet der gute Mann, würden sich im Museum des Warschauer Aufstands immer verwundert zeigen, weil dort die Okkupanten als Deutsche, nicht als Nationalsozialisten gezeigt werden. Es sei den Deutschen nämlich mittlerweile gelungen, sich selbst und der Welt einzureden, sie seien die ersten Opfer der Nationalsozialisten gewesen, wohingegen die Juden dann von den Nationalsozialisten, Polen, Ukrainern, Letten, Litauern umgebracht worden seien. Als Beweis führte er die in der westlichen Medienwelt herumspukende Bezeichnung von „polnischen Vernichtungslagern“ an, wenn Auschwitz oder Treblinka gemeint sind.
Die vereinfachende Polarisierung ist hier bezweckt und wird vorausgesetzt. Gehofft wird auf die politischen Zinsen zu Hause. Dennoch sei gesagt, dass die Schattierungen diesbezüglich in Polen sehr viel vermittelter sind, als aus deutscher Sicht oftmals eingestanden. Als bei der letzten Fußball-WM die deutsche Auswahl die der Brasilianer vom Platz fegte, titelte das liberale Blatt „Gazeta Wyborcza“ anderntags in fetten Buchstaben auf Deutsch: „Die Mannschaft“. Und alles war darin – von der höchsten Anerkennung für die sportliche Leistung bis zu den Dämonen aus der Vergangenheit. So ist es und so wird es bleiben. Dass dann wenige Wochen später die deutsche Sportwelt tatsächlich den Ausdruck „Die Mannschaft“ zum Wiedererkennungszeichen für die DFB-Auswahl erkor, ist ja fast so, als hätte da jemand Wasser auf die Mühlen der PiS-Propaganda lenken wollen.