18. Jahrgang | Nummer 24 | 23. November 2015

Was für ein Theater…

von Dieter Naumann

In den meisten rügenschen Badeorten stand das Baden anfangs eher im Hintergrund, Unterhaltung und Repräsentation waren stattdessen angesagt. So sollte es auch in der fürstlichen Residenz Putbus sein, weshalb nach Auffassung des später als „Theatergraf“ belächelten Carl Friedrich Graf von Hahn-Neuhaus (1782-1857) ein Theater her musste. Der Fürst zu Putbus, immer an der Belebung seiner Residenz interessiert, ließ sich vermutlich leicht überreden.
Zunächst befand sich an der Nordseite des Hotels Fürstenhof hin zur Marktseite das provisorische Theaterhaus, ein kleines Gebäude auf dem Grundstück Markt 1, „aus dem später ein Stall gemacht“ wurde. Bis 1817 spielte man in einem Wagenschauer (Schuppen) des alten Putbuser Reithauses, dort, wo sich heute der ehemalige Marstall befindet.
1818 finden sich dann in der dreimal in der Woche erscheinenden Stralsundischen Zeitung Theateranzeigen, beginnend mit der ersten Werbung durch die Fürstliche Bade-Direktion vom 14. Juli: „Wir erlauben uns hiermit die vorläufige Anzeige von der Einrichtung eines Theaters während der Badezeit hierselbst.“ Direktor Johann Christian Krampe zeigte dann für den 24. Juli 1818 die Eröffnung des Schauspielhauses an, dessen Direktor er 1820 wurde: Einem Prolog seiner Frau folgten das Lustspiel „Die Freimaurer“ von August von Kotzebue und der Einakter „Die Gouvernante“ von Theodor Körner.
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on 1819 bis 1821 entstand ein festes Theatergebäude, dessen Inneres Carl Schneider in seinem Reisegesellschafter von 1823 als „bequem und nett, auch geräumig genug, um etwa 500 Zuschauer fassen zu können“ schildert. Diese saßen „entweder in den Logen, die mit zierlich gearbeiteten eisernen Brustlehnen eingefaßt sind“, oder konnten „auf dem amphitheatralisch erhobenen und mit bequemen gepolsterten Bänken versehenen Parterre Platz nehmen. Sehr berücksichtigend ist hier übrigens die Gallerie… zurückspringend, so daß die Köpfe der in den Ranglogen Sitzenden vor dem aus der Gallerie herabfallenden Staub gesichert sind“. Für die „genugsame Beleuchtung“ sorgten die nach ihrem Erfinder benannten Argand´schen Gasbrenner. Die „Decorationen… so wie alle Malereien am Schauspielhause“ sollen von einem „daselbst wohnenden Künstler, Hrn. Rink, der überdies ziemlich glücklich im Portraitiren seyn soll, angefertigt“ worden sein. Schneider lässt außerdem nicht unerwähnt, dass „sämmtliche Sophas, Stühle und Sitze… nur mit Seegras gepolstert sind, worauf es sich ebenso bequem sitzen läßt, als ob solche mit Pferdehaaren gepolstert wären, – freilich kommen in den Sophas Springfedern der natürlichen Federkraft des Seegrases zu Hilfe“. Ob die mit rotem Stoff gepolsterten Bänke im Parkett tatsächlich „bequem“ waren, sei dahingestellt, sie waren nämlich lehnenlos. Im II. Rang gab es hinter einer schmalen Sitzreihe sogar Stehplätze. Die schlichte klassizistische Bemalung im Inneren des Theaters war durch die Farben grau, blau, weiß und ocker charakterisiert, teilweise erweckte illusionäre Malerei den Eindruck von Holz- oder Stuckplastik.
Erstmals 1826 werden – wohl als Tribut an die schnelle Bauausführung – Reparaturen, Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen notwendig. Neben der Beseitigung von Putzschäden und den Folgen des Schwammes wurde die Dach- und Giebelkonstruktion verändert, auch die ursprüngliche, durch die Saalbeleuchtung arg ramponierte Bemalung des Theaterinneren wird im Stile der Zeit neu gefasst. Im Saal dominierten jetzt Weiß, Gold und roter Plüsch. Neben diesen für die Besucher sichtbaren Veränderungen und Erneuerungen zeugt auch eine Wandinschrift auf der Innenseite des Marktgiebels von den Baumaßnahmen: „Schuhmann. Maurer 1826. 27. Juli“ hatte sich hier verewigt.
1867 und 1882 stand die Fortdauer des Theaters zeitweilig in Frage: Da Putbus dringend eine Kirche brauchte, erwog Wilhelm Malte II. anfangs den entsprechenden Umbau des Theaters, entschied sich dann jedoch vorrangig wohl aus Kostengründen für die Umgestaltung des Kursalons zur Kirche.
1914 kommt es unter anderem aus Brandschutzgründen zu weiteren Um- und Ausbauten, so wird der seit 1889 in Deutschland vorgeschriebene Eiserne Vorhang eingebaut, bereits vorher war die Bemalung simplifiziert worden, weitere bauliche Veränderungen folgten in den folgenden Jahrzehnten. So muss der Grieben von 1920-1921 vermelden: „Schauspielhaus z. Z. geschl., Wiedereröffnung ungewiß.“
Die meist bunt zusammengewürfelten und immer am Rande des Ruins stehenden Schauspieltruppen führten zur damaligen Zeit beliebte Possen, Singspiele und ähnliche „Kunstwerke“ auf, die bis 1823 wohl Direktor Krampe aussuchte. Einer der Besucher, ein Herr Himmerlich, bemerkte lakonisch zu den Aufführungen, „eine mecklenburgische Gesellschaft spielte nicht ganz schlecht“ und „das Orchester, aus 8 Personen bestehend, tat sein Möglichstes“. Hin und wieder bot man dem Publikum auch etwas „Besonderes“, wie das Gastspiel des Hofkünstlers Seiner Majestät des deutschen Kaisers und Königs, Bellachini, für Magie, Antispiritismus und Klopfgeisterei am 11. Juli 1875.
Die Leitung des Hauses wechselt häufig. So übernimmt von 1869 bis 1878 der Stralsunder Theaterdirektor Adolph Kusse das Haus und bringt 1871 die absolute Rekordzahl von 71 (!) überwiegend zur leichten Muse gehörenden Stücken auf die Bühne. Zu seiner Zeit (1869) zahlte man im Fürstlichen Schauspielhaus für Balcon 22 ½ Silbergroschen (Sgr.), Loge 15 Sgr., Sperrsitz 12 ½ Sgr., Proszeniumloge 15 Sgr., Parterre 7 ½ Sgr. und Gallerie 5 Sgr.
Mit dem 1879 eingesetzten Nachfolger verband sich ein handfester Theaterskandal. Wolfgang Rudolph berichtete in seinem Heimatbuch, Direktor Pontak habe sein sommerliches Gastspiel am Residenztheater wohl mit möglichst hohem Gewinn für sich abschließen wollen und nahm es deshalb mit den Tantiemen nicht allzu genau. Er brachte beliebte Stücke der damaligen Zeit unter anderen Titeln und anderen Autoren zur Aufführung und „sparte“ auf diese Weise die lästigen Lizenzgebühren. Eines seiner diesbezüglichen Opfer war der spätere Direktor des Berliner Deutschen Theaters, Adolf L’Arronge. Dessen Lustspiel „Doktor Klaus“ (1878) wandelte der clevere Theaterdirektor flugs in „Goldschmieds Töchterchen oder die weiße Rose“ um und führte es als „Charakterbild in drei Akten, von Björnson“, am Dienstag, dem 12. August 1879, vor ausverkauftem Hause auf. Als sich der Berliner Bühnenverein bei der fürstlichen Kanzlei beschwerte, antwortete diese empört, bar jeder Kenntnis des Theaterlebens außerhalb von Putbus. Erst eine Klage beendete das Treiben des Direktors Pontak, dessen Namen man bis dahin vergeblich suchte.
Diese Suche ist deshalb vergeblich geblieben, weil der Herr Direktor nach meinen Recherchen Anton Portack hieß (nicht Pontak). Ausschlaggebend war ein im Internet zu findender Eintrag im Hauptregister des Standesamts Sensburg, Ostpreußen, Sterbebuch Nr. 75/1902, wonach Carl August Portack am 06.06.1902 dem Standesbeamten den Tod des Schauspielers Alexander Anton Carl Portack im Alter von 41 Jahren meldete. Dieser Alexander Anton Carl war der „Sohn des sich zur Zeit in Sensburg aufhaltenden Theaterdirektors Friedrich Anton PORTACK […]”. Recherchiert man nun mit diesem Namen im Deutschen Bühnen-Almanach, werden Portack, seine Frau und seine Söhne mehrfach genannt, so im 44. Jahrgang von 1880 unter „Putbus (Fürstl. Theater, Sommer=Saison 1879) […]: Direktion: Hr. Anton Portack, gen. Schubert, führte die Oberregie“.
Auffällig ist die zusätzliche Namensbezeichnung „genannt Schubert“, teilweise ist auch nur von „Anton Schubert“ die Rede. Ob sich Portack den Namenszusatz Schubert nach dem genannten Prozess zugelegt hat, um weiter Regie führen und schauspielern zu können, konnte bisher nicht geklärt werden. Sein Name und der seiner Frau werden jedenfalls im Bühnen-Almanach noch mindestens bis 1889 als Leiter reisender Gesellschaften beziehungsweise Schauspielerin genannt …