von Erhard Crome
Der Internationale Willi-Münzenberg-Kongress, der vom 17. bis 20. September dieses Jahres in Berlin veranstaltet wurde, trug das Motto: „Globale Räume für radikale Solidarität“. Insofern sollte der Bogen geschlagen werden von den globalen Verhältnissen, gegen die die Linke seit über 150 Jahren ankämpft, über die konkreten Solidaritätsaktionen in der Zwischenkriegszeit, die vor allem mit dem Namen und der Person Willi Münzenberg (1889-1940) verbunden waren, bis zu seinem Schicksal und den Umständen seines Todes beziehungsweise seiner Ermordung.
Das ist weitgehend gelungen, auch wenn die einzelnen Facetten oft eher nebeneinander standen, als integriert verbunden zu sein. Aber vielleicht war dies auch von Vorteil, weil die unterschiedlichen Aspekte des Lebens und Wirkens von Münzenberg einerseits und der Analyse der Weltumstände und der Frage nach der Solidarität in der Welt andererseits durchaus eigenständig erörtert werden konnten. So bot die Konferenz auch Platz für den Vortrag des russischen Historikers Alexander Shubin über die „Position von Zimmerwald in der russischen Revolution“ von 1917.
Die Zimmerwalder Konferenz (nahe Bern in der Schweiz) im September 1915 hatte bekanntlich unter maßgeblicher Beteiligung von Lenin und Trotzki zur Neuformierung der Linken in Europa auf der Grundlage des Kampfes gegen den ersten Weltkrieg und der Forderung nach einem Frieden ohne Annexionen und Kontributionen, wie es damals hieß, geführt. Mit der Februarrevolution hatten sich in Russland die Provisorische Regierung und zugleich der Petrograder Sowjet als eigenständige zentrale Machtorgane gebildet. Der letztliche Auslöser für den Sturz des Zaren waren die immensen Verluste der russischen Armeen an Menschen und Material in den Schlachten gegen die Mittelmächte und die daraus resultierende Kriegsmüdigkeit der Völker Russlands.
Der Petrograder Sowjet stand bereits im März 1917 auf dem Boden von Zimmerwald: Frieden ohne Annexionen und Kontributionen, und forderte die Provisorische Regierung auf, in diesem Sinne zu handeln. Der Außenminister der Provisorischen Regierung, Pawel Miljukow, hatte sich jedoch beeilt, den Regierungen der anderen Entente-Mächte zu versichern, Russland bleibe bei den Vereinbarungen von 1915, wonach es an dem Kampf um den erstrebten Siegfrieden teilnimmt, einen Separatfrieden mit Deutschland ausschließt und dafür Konstantinopel und die Meerengen vom Schwarzen zum Mittelmeer sowie Gebiete in Ostgalizien erhält. Nach längeren Auseinandersetzungen wurde im April 1917 eine Vereinbarung zwischen Regierung und Sowjet erzielt – keine Annexionen, aber auch kein Separatfrieden, was hieß: Fortsetzung des Krieges. Dies war politisch schizophren, die Führung eines Krieges ohne konkrete Ziele war historisch beispiellos. Anders war die Zustimmung der Mehrheit des Sowjets zur Fortsetzung des Krieges jedoch nicht zu haben. Die Begründung war, man müsse erst über die Deutschen gesiegt haben, um dann den Frieden zu bekommen. Das ist jedoch nur verständlich, wenn man weiß, dass alle wichtigen Parteien der Revolution, nicht nur die Bolschewiki, bereits seit Anbeginn des Krieges auf „Zimmerwalder Positionen“ standen.
Nachdem die von dem Sozialrevolutionär Kerenski, der zunächst aus dem Sowjet kam und dann Kriegsminister und später Chef der Provisorischen Regierung wurde, zu verantwortende Offensive im Sommer 1917 unter neuerlichen großen Verlusten gescheitert war, waren die Bolschewiki die einzige Partei, die weiter entschlossen die Position des Friedens vertrat. Ihr Sieg im Oktober 1917 war die logische Konsequenz dessen.
Das alles hatte mit Münzenberg nicht unmittelbar zu tun. Der war während des ersten Weltkrieges in der Schweiz, nicht weil er vor dem Krieg geflüchtet war, sondern weil er als Agitator in der sozialistischen Jugendbildung bereits 1910 in Deutschland keine Arbeit mehr bekommen hatte und auf der Wanderschaft in der Eidgenossenschaft gelandet war. Das hatte allerdings zur Folge, dass er dort bereits Lenin kennengelernt hatte, als dieser noch nur in kleinen sozialistischen Kreisen bekannt war. Die Schweizer Behörden wiederum inhaftierten Münzenberg und verwiesen ihn am 10. November 1918 als missliebigen Ausländer und Anhänger der Oktoberrevolution des Landes. So kam er gerade im rechten Moment, dem der Revolution, nach Berlin, schloss sich dem Spartakusbund an und wurde Mitbegründer der KPD.
Das Thema Zimmerwald und die russische Revolution wurde auf der Konferenz in einem Panel verhandelt, das den Titel trug: „Globale Akteure und kollektive Biographien“. Weitere Vorträge behandelten zwar nicht kollektive Biographien, aber doch Biographisches: die Vita Christian Rakowskis etwa, geborener Bulgare, Mitbegründer der Ukrainischen Sowjetrepublik, sowjetischer Diplomat, Anhänger Trotzkis, dann wieder Mitglied der Stalinschen KPdSU, 1937 in die Maschinerie des Großen Terrors geraten und 1941 auf Geheiß Stalins erschossen. Oder die Wilhelm Reichs, als Psychoanalytiker ein Vorkämpfer der sexuellen Aufklärung, der durch seine Verbindung mit der KPD Anfang der 1930er Jahre in Münzenbergs Verlagen Riesenauflagen erreichte, bereits damals aber mit der KPD-Führung in Konflikt geriet, weil er geschrieben hatte, dass auch kommunistischen Funktionäre verdrucksten kleinbürgerlichen Moralvorstellungen anhingen.
Tatsächlich um Münzenberg ging es in diesem Panel auch: Ursula Langkau-Alex (Amsterdam) sprach über Babette Gross, die „Frau im Hintergrund Münzenbergs“. Der hatte von Lenin persönlich den Auftrag erhalten, die internationale Unterstützung für Sowjetrussland zu organisieren. Das begründete – und erklärt für heutige Betrachter – seine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber Parteigremien, der Kommunistischen Internationale wie der KPD, sein selbständiges und selbstbewusstes Agieren. Stets im Sinne der „Sache des Kommunismus“. Mit der „Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit“ rief Münzenberg auch das damals weltweit größte antikoloniale Netzwerk ins Leben. Aus der internationalen Hungerhilfe für Sowjetrussland heraus entwickelte er ab 1921 die Internationale Arbeiterhilfe (IAH). Um nicht einfach nur Geld zu sammeln, gründete Münzenberg die Illustrierte „Sowjetrussland im Bild“, aus der 1926 die berühmte „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ wurde. 1924 übernahm er für die IAH den Neuen Deutschen Verlag, der verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften herausbrachte. Der „Münzenberg-Konzern“ war bald das zweitgrößte Medienimperium der Weimarer Republik, nach Hugenberg mit seiner deutsch-nationalen Ausrichtung.
Als Filmverleiher und Produzent präsentierte das von Münzenberg geführte Unternehmen den modernen russischen Film in Deutschland und Europa. Mit den beiden Gesellschaften Prometheus Film und Filmkartell Weltfilm GmbH wurden so berühmte Streifen produziert wie „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ oder „Kuhle Wampe“.
Babette Gross wurde 1898 in Potsdam geboren und wuchs in einer wohlhabenden Bürgerfamilie auf. Nach dem Abitur diente sie achtzehn Monate auf einem Schloss in Schlesien als Gouvernante eines Kaiserenkels und machte später den Berufsabschluss als Lehrerin. Es folgte eine kurze Ehe mit dem Schriftsteller Fritz Gross. Im Jahre 1920 trat Babette Gross in die KPD ein und arbeitete ab 1922 im Büro der „Internationalen Arbeiterhilfe“. Dort lernte sie Münzenberg kennen, und beide gingen eine Partnerschaft ein, die erst durch seinen Tod endete. 1925 wurde sie Geschäftsführerin des Neuen Deutschen Verlages. Nach der Flucht nach Paris 1933 übernahm sie auch dort die Verlagsleitung, nun des Münzenberg Verlags „Éditions du Carrefour“, in dem bereits im selben Jahr das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ erschien.
Dass beide in Deutschland wie später auch in Frankreich einen eher bürgerlichen Lebensstil pflegten, in einer großen Komfort-Wohnung im Berliner Tiergarten wohnten und er für sein Büro ein großes Auto hatte anschaffen lassen, führte Ursula Langkau-Alex auf den Einfluss der „Frau im Hintergrund“ zurück. Zugleich bot dieser Stil die Möglichkeit, auf Augenhöhe mit unterschiedlichsten bürgerlichen Künstlern, Schriftstellern und Politikern zu reden, was für eine breite Bündnispolitik, ob in Berlin oder dann in Paris, von höchster Bedeutung war. Die jüngere Schwester von Babette Gross war übrigens Margarete Buber-Neumann, so dass, wie Langkau-Alex mit einem schelmischen Unterton anmerkte, die Schwestern mit den beiden begabtesten KPD-Politikern der damaligen Zeit verbunden waren, die eine mit Willi Münzenberg und die andere mit Heinz Neumann.
Nachdem Babette Gross 1940, nach der Internierung in Frankreich, vergeblich auf Münzenberg gewartet hatte, begab sie sich auf die vereinbarte Fluchtroute nach Mexiko. Aus der KPD war sie bereits 1937 ausgetreten, als die parteiapparatlichen Anfeindungen gegen Münzenberg begonnen hatten. Der Bruch war definitiv. Nach dem Krieg kehrte sie nach Deutschland zurück. Hier wurde sie Mitbegründerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, deren Geschäftsführerin sie von 1949 bis 1951 war. 1967 veröffentlichte sie eine „politische Biographie“ Willi Münzenbergs, für die Arthur Koestler, der Autor des antistalinistischen Romans „Sonnenfinsternis“, das Vorwort geschrieben hatte. Alle drei hatten schon in Paris zusammengearbeitet. Babette Gross starb 1990 in Berlin.
* – Fortsetzung des Beitrages mit gleichem Titel in Blättchen 20/2015.
Schlagwörter: Babette Gross, Erhard Crome, KPD, Medien, Willi Münzenberg