18. Jahrgang | Nummer 20 | 28. September 2015

Zu Münzenberg

von Erhard Crome

Als Steffie Spira – die Schauspielerin, die am 4. November 1989 auf der berühmten Massenkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz das Politbüro der SED aufgefordert hatte, endlich abzutreten – mich das letzte Mal anrief, erzählte sie, dass sie in Frankreich bei einem Treffen war, auf dem es um Willi Münzenberg ging. Steffie Spira und ich waren ursprünglich nur Nachbarn gewesen in Adlershof, dann waren wir, meine Frau, ich und Steffie in einer bestimmten Art befreundet, trafen uns gelegentlich, blieben aber immer bei einem Sie, das zugleich Distanz und Wertschätzung der wesentlich Älteren gegenüber ausdrückte.
Das ging mir durch den Kopf, als ich die Einladung und die Materialien las zu dem „1. Internationalen Willi Münzenberg Kongress“, der vom 17. bis 20. September dieses Jahres in Berlin stattfand. Dort wurde mitgeteilt, dass sich französische und deutsche Forscher auf einer Tagung zu Münzenberg in Aix-en-Provence im Jahre 1992 getroffen hatten. Das Telefongespräch mit Steffie Spira hatte jedoch im Frühjahr 1995 stattgefunden. Unser Treffen, auf dem sie über die neuen Erkenntnisse zu Münzenberg sprechen wollte, fand jedoch nicht mehr statt. Sie starb am 10. Mai 1995. Irrt der „Zeitzeuge“, in diesem Falle ich? Oder haben mehr internationale Begegnungen in Sachen Aufklärung über Münzenberg stattgefunden, als in den neuen Annalen verzeichnet ist?
Wenn Steffie Spira über Willi Münzenberg sprach, geschah das stets mit einer besonderen Hochachtung, ja einer gewissen Verehrung. Sie, Jahrgang 1908, war 1931 in die KPD eingetreten und spielte ab dieser Zeit in der Theater-„Truppe 31“, die mit der KPD verbunden war und das Theater als Mittel der politischen Aufklärung verstand. Münzenberg, Jahrgang 1889, war zu jener Zeit Mitbegründer der KPD, einer, der Lenin gekannt hatte, die Internationale Arbeiterhilfe gegründet und organisiert hatte, Chef des kommunistischen Medienunternehmens war, das man den „Münzenberg-Konzern“ nannte. Der hatte nicht nur Zeitungs- und Buchverlage, sondern auch Filmgesellschaften. So ist davon auszugehen, dass beide sich bereits im Berlin der 1930er Jahre kannten, oder zumindest Spira Münzenberg.
Nach dem Reichstagsbrandprozess emigrierten beide und fanden sich bald in der Pariser Emigration wieder, Münzenberg als der einflussreiche Organisator antifaschistischer Propaganda gegen Hitler, zur Solidarität mit der Spanischen Republik, als Herausgeber von Büchern und Zeitschriften. Spira spielte Theater, darunter Brecht, und machte Kabarett. 1939 wurde sie in ein Internierungslager für Frauen gesperrt, ihr Mann ins Gefängnis. 1940 gelang ihnen die Flucht nach Mexiko. Münzenberg wurde 1940 interniert, wollte offenbar ebenfalls nach Mexiko emigrieren, wurde aber im Juni 1940 in Südfrankreich tot aufgefunden. Seiner Frau Babette Gross war die Flucht nach Mexiko gelungen. Die antifaschistische, darunter kommunistische Emigration in Mexiko war relativ groß. Dennoch ist davon auszugehen, dass man sich kannte. Also auch Spira und Gross.
Für Mutmaßungen über das Ende Willi Münzenbergs gab es bereits damals gewiss Gründe genug. Münzenberg hatte Ende der 1930er Jahre – trotz oder wegen seiner großen Verdienste um die internationale kommunistische Bewegung – auf Stalins Todesliste gestanden. Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck hatten seinen Ausschluss aus dem Zentralkomitee der KPD betrieben. Aufforderungen, nach Moskau zu kommen, war er nicht gefolgt. Um einem Parteiausschluss zuvorzukommen, war er im März 1939 aus der Partei ausgetreten.
Nach dem Hitler-Stalin-Pakt brach er öffentlich mit Stalin. In der von ihm in Frankreich gegründeten Zeitschrift „Die Zukunft“ publizierte er am 22. September 1939 einen Artikel mit der Überschrift „Der russische Dolchstoß“, in dem es hieß: „Frieden und Freiheit müssen verteidigt werden gegen Hitler und gegen Stalin, der Sieg muss gegen Hitler und Stalin erkämpft und die neue, unabhängige Einheitspartei der deutschen Arbeiter im Kampfe gegen Hitler und gegen Stalin geschmiedet werden […]. Heute stehen in allen Ländern Millionen auf, sie recken den Arm, rufen, nach dem Osten deutend: ‚Der Verräter, Stalin, bist Du!’“ Spätestens nach diesem offenen Bruch mit Stalin und dem Stalinismus sind dann wohl die Mordbuben losgeschickt worden. Münzenberg hatte im Juni 1940 von Südfrankreich zunächst in die Schweiz gehen wollen. Begleitet hatten ihn zwei junge Männer, die unter den kommunistischen und linken Emigranten in Frankreich niemand kannte. Und die danach nicht wieder auftauchten. So sprach viel für die Variante, dass er ermordet wurde, während es in der DDR parteioffiziell immer geheißen hatte, er habe Selbstmord begangen. Ausgerechnet dieser Mann, von dessen Tatkraft und Umsicht alle, die mit ihm zu tun hatten, stets berichteten.
Bereits in seiner Austrittserklärung aus der Partei hatte er geschrieben, er werde weiter aktiv gegen Hitler kämpfen. „Und so behalte ich den Platz, den ich seit 1906 neben Karl Liebknecht, später neben Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und 1915 neben Lenin gewählt habe, den Platz in den Kampfreihen des revolutionären Sozialismus.“ Aus der Partei war er nicht freiwillig ausgetreten, sondern um dem Apparat nicht den Gefallen eines Ausschlussverfahrens zu tun. Spira war auch nach 1989 Parteimitglied geblieben und hatte den „Rat der Alten“ der PDS mitgegründet. „Ich bin 1931 in die Partei eigetreten. Ich trete jetzt, wo es schwierig wird, doch nicht aus“, hatte sie gesagt.
Die Zeitung Die Welt schrieb zu dem Münzenberg-Kongress: „Die Linke hofft auf einen unbefleckten Helden“. Das ist eine Denunziation. Der Kapitalismus produziert seine Kritiker immer wieder selbst. Für die Kämpfe des 21. Jahrhunderts kommt es darauf an, die alten Auseinandersetzungen richtig zu verstehen. Aber wir verstehen die Vorkämpfer von damals nicht, wenn wir sie durch eine modische postmoderne Brille betrachten.