von Holger Politt, Warschau
Polen hat ein neues Parlament gewählt. Der interessierte Leser wird die Ergebnisse bereits kennen, der Schreiber dieser Zeilen kannte sie wegen des frühen Redaktionsschlusses indes noch nicht. Deshalb versucht er sich aus der Affäre zu ziehen, indem er die Aufmerksamkeit auf einen der wenigen Sachverhalte lenkt, die besprochen werden können, ohne die exakten Zahlen zu kennen. Egal ob Jarosław Kaczyński eine nationalkonservative Alleinregierung ins Rennen schicken kann, ob Ewa Kopacz mit einer erweiterten Koalitionsregierung weiterregieren wird, ob die Rechtspopulisten bei einem knapperen Ausgang des Rennens zwischen den beiden großen Parteien die Kaczyński-Partei dennoch ins Regierungsschiff hieven können, weil sie allesamt und möglichst schnell die Verfassung ändern wollen, egal aber auch, ob eine nennenswerte linksgerichtete Kraft ins Parlament einziehen wird oder nicht – fest steht, dass die bisherigen Konturen auf der linken Seite des politischen Spektrums überlebt sind. Dort muss nach neuen Ansätzen gesucht werden.
Das Wahlbündnis der Vereinigten Linken kam erst in letzter Sekunde zustande, weil Janusz Palikot und Leszek Miller doch noch über ihren Schatten sprangen – springen mussten. Sonst hätte ihnen ein vollständiges Scheitern gedroht, denn weder der eine noch der andere wäre an die Werte herangekommen, die vor vier Jahren für die Palikot-Bewegung (10 Prozent) und das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD – 8,2 Prozent) ein für die linksliberale Flanke insgesamt noch beachtliches Ergebnis darstellten. Der verbissene Kampf zwischen beiden, der anschließend um die Meinungsführerschaft im linksliberalen Lager geführt wurde, nahm kindische, manchmal schon groteske Züge an. Sagte der eine, nur er vertrete die richtige Sozialdemokratie, meinte der andere postwendend, er verkörpere Polens moderne Sozialdemokratie. Während der wackere SLD-Kämpe Miller bei den Auseinandersetzungen um die Rentenreform schnell auf traditionelle Gewerkschaftspositionen wechselte, suchte Palikot den Rückhalt einer kleinen, als radikal geltenden Gewerkschaft, um fortan herumzuposaunen, in Zeiten moderner Dienstleistungsgesellschaften könne Sozialpolitik nicht mehr hausbacken wie zu Bismarck-Zeiten betrieben werden. Was beide sträflich übersahen oder nicht wahrhaben wollten, war die Tatsache, dass beider Rückhalt stetig in den Keller sank. Zum Schluss drohte das Ende linksgerichteter Kräfte überhaupt – zumindest auf der parlamentarischen Ebene. Der Zusammenschluss der Vereinigten Linken, der neben den beiden Parlamentsgruppierungen weitere kleinere Parteien umfasst, kann also zunächst einmal wie ein Rettungsanker gewertet werden, um ein Abdriften in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern.
Dass sich mit Barbara Nowacka eine noch weniger bekannte Frau an der Spitze der Vereinigten Linken gegen die beiden Streithähne durchzusetzen wusste, ist ein Glücksfall, der aus diesem Notanker doch noch so etwas wie ein zukunftsträchtiges Projekt gemacht hat. So jedenfalls darf man den einstigen SLD-Mitbegründer, späteren Ministerpräsidenten und Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz verstehen, der den bisherigen Linksliberalismus, den die SLD seit Anfang der 90er Jahre und über weite Strecken sogar ziemlich erfolgreich verkörpert hatte, für ein nunmehr abgeschlossenes Kapitel hält. Sich selbst verabschiedete er ebenfalls in den politischen Ruhestand und empfahl es wohlmeinend auch anderen.
Natürlich wird es einen Unterschied machen, ob das Wahlbündnis die für solche Parteienzusammenschlüsse obligatorische Acht-Prozent-Hürde überspringt oder reißt. Aber der Anfang ist gesetzt, dahinter kann man kaum noch zurückgehen. So oder so meinen manche Beobachter bereits, dass in Bälde das Parteischild der SLD eingeholt wird. Das sei nur noch eine Frage der Zeit. Die einst strahlende Palikot-Bewegung ist ohnehin nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Parallelen gib es: Auch die SLD begann einst als Parteienbündnis, bevor daraus 1999 die Partei gegründet wurde, die zunächst unangefochten von Leszek Miller angeführt wurde. Pläne, aus der Vereinigten Linken eine neue Partei werden zu lassen, stehen einstweilen noch nicht zur Debatte. Selbst bei den kleineren Partnern dürften die Vorbehalte erheblich sein, so wie bei der PPS (Polnische Sozialistische Partei), die stolz auf eine über 120-jährige Geschichte zurückblickt, auch wenn sie heute kaum noch größere politische Bedeutung besitzt. Als die SLD noch ein Parteienbündnis war, saß Piotr Ikonowicz für die SLD im Sejm – als Vertreter der PPS. Dem Schritt in die SLD-Partei aber verweigerte er sich strikt. So bleibt abzuwarten, ob aus der Vereinigten Linken mehr wird als die Initialzündung für eine neue linksgerichtete oder linksliberale Formation.
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