von Wolfgang Schwarz
Seit Ausbruch der Ukraine-Krise ist zwischen West und Ost – wie zu den besten Zeiten des Kalten Krieges – die militärische Abart jenes Protzgebarens wieder salonfähig geworden, das der fundamentalen Frage nachgeht, „Wer hat den Längsten, Dicksten, Schönsten?“, und das vor allem bei pubertierenden Knaben und bei zerebral eher untermaßigen jungen Männern zu beobachten ist.
Was in der Pubertät als harmlos und auch in den Jahren danach allenfalls als infantil erscheint, ist im Rahmen militärischer Konfrontation – und schon gar unter Beteiligung von Nuklearmächten – jedoch wenigstens als grenzdebil einzustufen, denn selbst bei unbeabsichtigten Zwischenfällen könnte eine aus dem Ruder laufende Eskalation bis hin zum alles vernichtenden Krieg die Folge sein. Darüber ist in diesem Magazin in Beiträgen wie „Militärische Mätzchen“ oder „Brinkmanship & andere Nickligkeiten“ bereits berichtet worden.
Das jüngste Kapitel in diesem Kontext sich gegenseitig befeuernden militärischen Schwachsinns schreibt gerade die Bundeswehr: Fünf deutsche Euro-Fighter patrouillieren vom Flugplatz Amari – nahe der estnischen Hauptstadt Tallinn – aus am Himmel über dem Baltikum. Nur wenige Flugminuten von russischem Territorium. Und mit voller Kriegsbewaffnung; dieses im Fachjargon Waretime Load genannte Potpourri umfasst ein Maschinengewehr (mit bis zu 1.700 Schuss pro Minute), eine Bordkanone, Infrarot-Kurzstrecken- sowie radargesteuerte Mittelstreckenraketen zur Bekämpfung von Luftzielen und Tarnflugkörper zur Täuschung des Gegners. Damit setze man, so Luftwaffeninspekteur Karl Müllner, ein Signal an Russland und an die eigenen Soldaten.
Was letztere anbetrifft, so lieferte Müllner zugleich ein Schulbeispiel für das Denken eines offenbar ebenso einsatznahen wie politikfernen Kommisskopfes. Der Inspekteur nachgerade euphorisch: Die Flugzeugbesatzungen hätte „das erste Mal Gelegenheit gehabt, mit scharfen Waffen umzugehen“, darunter solchen, deren Einsatz über deutschem Territorium nicht gestattet sei. (Die Mitführung radargesteuerter Mittelstreckenraketen ist im deutschen Luftraum nur im Spannungs- oder Kriegsfall zulässig.) Das diene „der Motivation für die Soldaten“ und fördere daher „natürlich auch den Zusammenhalt“ in der Truppe. Es ist nicht bekannt, ob dieses Statement Müllners Dienstherrinnen von der Leyen und Merkel zu Ohren gelangt ist und welche Aufnahme es dort gegebenenfalls gefunden hat.
Und das Signal an Russland? Von September bis Dezember 2014 waren bereits einmal deutsche Eurofighter im Baltikum im Einsatz. Damals ohne Waretime Load. „Das lag“, wusste Müllner jetzt, „am politischen Umfeld, wo man gesagt hat, der Schwerpunkt liegt auf Deeskalation.“ Da muss sich wohl seither der Schwerpunkt verlagert haben. Und das trotz einer Lagebeurteilung, die dazu geführt hat, die Anzahl der permanent im Baltikum stationierten NATO-Maschinen von 16 auf nur noch acht wieder zu reduzieren.
Wenn es tatsächlich so etwas wie militärische Logik geben sollte, dann obwaltet sie zumindest im vorliegenden Fall offenkundig nicht. Angesichts all dessen ist der von der stellvertretenden Bundestagsfraktionschefin der Linkspartei, Sarah Wagenknecht, vorgetragenen Forderung „Die Bundesregierung sollte diesen Wahnsinn sofort stoppen!“ eigentlich nur noch die Hoffnung hinzuzufügen, dass die Masse der etwas über 100 deutschen Eurofighter bitte auch künftig wegen Ersatzteilmangels größtenteils am Boden bleiben möge.
Schlagwörter: Baltikum, Bewaffnung, Bundeswehr, Eurofighter, NATO, Russland, Wartime Load, Wolfgang Schwarz