von Ulrich Kaufmann
Der Exilroman „Lotte in Weimar“ dürfte vielen Freunden der Literatur – nicht zuletzt durch die DEFA-Verfilmung – in Erinnerung geblieben sein. Hingegen ist Torsten Ungers Bändchen „Thomas Mann in Weimar“ (aus der Reihe „Stationen“) eine Novität.
Lediglich fünfmal hat der Nobelpreisträger des Jahres 1929 seine geliebte Klassikerstadt besucht. Die letzten Visiten von 1949 sowie die im Sterbejahr Thomas Manns, 1955, sind hinlänglich bekannt und vielfach beschrieben worden, zumal sie aus Anlass der Goethe- und Schiller-Feierlichkeiten in Ost und West stattfanden.
Weit weniger im Fokus waren bislang Thomas Manns Weimar-Besuche von 1910, 1921 sowie der von 1932, dem 100. Todesjahr des berühmtesten aller „Faust“ – Dichter. Bei seinem ersten Besuch in der Ilm-Stadt war der Erzähler vor allem durch die Riesenauflage der „Buddenbrooks“ in einem Band (1909) in aller Munde. An Friedrich Schillers Sterbeort trug der Novellist die Schillerstudie „Schwere Stunde“ sowie Teile aus „Tonio Kröger“ und „Das Wunderkind“ vor, auch las er aus dem Roman „Königliche Hoheit“. „Am Vortragstisch dokumentierte er sich als Vorleser von vornehmer, aber ungemein wirksamer Einfachheit“, wusste die „Weimarische Landeszeitung“ zu berichten.
Immer wieder bringt der Autor Torsten Unger, Redakteur des Mitteldeutschen Rundfunks, schwer zugängliches zeitgenössisches Material bei und lässt dieses in die gut lesbare Monografie einfließen. Zur Anschaulichkeit tragen zahlreiche alte und neue, scharz-weisse und farbige Fotos bei. Auffällig ist, dass der Verfasser wiederholt und einseitig die bekannten Differenzen zum älteren Bruder Heinrich herausstellt. Hier wäre eine differenzierte Bewertung angebracht.
Das Büchlein ist als durchgehende Studie angelegt. Leserfreundlicher wäre wohl eine Einteilung in fünf kleinere Kapitel gewesen. Sie hätte den Zugriff auf die einzelnen Visiten, die jeweils in ganz anderen kulturpolitischen Zeithorizonten standen, erleichtert.
Im Jahre 1921, als der Romancier auch Jena besucht hatte, traf er in der Nachbarstadt mit Nietzsches Schwester Elisabeth Förster zusammen. „Immerhin merkwürdiger Eindruck. Familienähnlichkeit in den Augen“, notiert der Weimar-Besucher in einem frühen Diarium.
Während seiner „Goethe-Reise“ 1932 erhielt Thomas Mann in Weimar die Goethe-Medaille – gemeinsam mit einem Brief, den die „ungeheuer markante und festgefügte Unterschrift“ des alten Hindenburg ziert. Bei dieser Gelegenheit schreibt Mann über die Deutschen: „Wir sind nichts weniger als verachtet. Wir sind allenfalls gefürchtet. Aber in Goethe, diesem Liebling der Menschheit, sind wir auch geliebt.“ Gerade in Weimar, jener Stadt, die wenig später zu einer von Hitlers Lieblingsstädten werden sollte, hat er 1932 schon schlimme Befürchtungen, die „grölende Volksbestätigung“ entging ihm nicht.
Überzeugend liest Unger den Goethe-Roman des exilierten Erzählers „als ein Dokument des Heimwehs und des Widerstands“. In einem Interview ergänzt der Verfasser, dass Thomas Mann in „Lotte in Weimar“ nicht nur die „Großen“ bewundernd porträtierte, sondern auch jene, „die nicht unbedingt prominent waren. Die hat er sehr liebevoll gezeichnet, den Kellner Mager, den Kutscher und andere. Er hat mit Sympathie und Wehmut und mit Augenzwinkern auf die Menschen geblickt, aber er hat nie auf sie herabgeblickt.“ Unger schließt sich mehr und mehr Reich-Ranickis Formulierung an, wonach Goethe zur Familie Thomas Mann gehöre.
In dem schmalen Band kann Torsten Unger nicht alle Fragen klären, auch nicht die damals heiß umstrittene, weshalb der Autor 1955 Buchenwald keinen Besuch abgestattet hat. Der Betagte, sollte man bedenken, war zu einer Schiller-Ehrung geladen und er hatte wahrlich ein dichtes Programm zu absolvieren. Dazu gehörte auch die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität. Es war sein 22. Doktortitel! Im Vorfeld dieser Ehrung in der DDR, aber auch hinter den Kulissen der Feierlichkeiten in Stuttgart wurde deutlich, dass der Autor des „Zauberberg“ in jener Zeit in beiden Teilen Deutschlands nicht nur Verehrer, sondern auch Gegner hatte. Dies war Thomas Mann sehr wohl bewusst.
Torsten Unger: Thomas Mann in Weimar, Morio Verlag Heidelberg, Gesamtherstellung Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale), 72 Seiten, 7,95 Euro.
Schlagwörter: Johann Wolfgang von Goethe, Thomas Mann, Torsten Unger, Ulrich Kaufmann, Weimar