von Otfried Nassauer
Ist gut gemeint auch gut gemacht? Diese Frage stellt sich des Öfteren, wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel versucht, eine der vielen gravierenden Lücken im deutschen Rüstungsexportkontrollrecht zu schließen. In der ersten Juli-Woche war es wieder so weit. Gabriel kündigte an, „ein Instrument zur Durchführung selektiver Post-Shipment-Kontrollen für zukünftige Lieferungen von Kriegswaffen […] in Drittländer“ einzuführen. Worum geht es dabei?
Noch in diesem Jahr soll in der Außenwirtschaftsverordnung die Möglichkeit geschaffen werden, vorort zu überprüfen, ob deutsche Waffen auch dort geblieben sind, wohin sie mit Genehmigung der Bundesregierung geliefert werden durften. Der Endverbleib deutscher Kriegswaffen soll also künftig auch im Nachhinein überprüft werden. Das Kabinett hat dem Vorhaben zugestimmt und Eckpunkte dafür verabschiedet.
Im Kern ein ebenso löblicher wie überfälliger Schritt. Kunden deutscher Waffenschmieden haben sich keineswegs immer an die Endverbleibserklärungen gehalten, die sie abgeben müssen, damit überhaupt eine Exportgenehmigung erteilt wird. Die Erklärungen besagen, dass die Kriegswaffen im Empfängerland bleiben werden und dass im Falle eines geplanten, künftigen Weiterverkaufs Deutschland zuvor die Möglichkeit haben wird, gegebenenfalls ein Veto einzulegen. Ob sich der Empfänger an diese Zusage dann auch tatsächlich hält, wird bislang nicht überprüft.
In den vergangenen Jahren haben sich Fälle gehäuft, in denen deutsche Waffen in Krisen- und Kriegsgebieten entdeckt wurden, wo sie eigentlich nicht hätten sein dürfen. Käufer deutscher Waffen hatten sie weitergegeben, ohne Deutschland zu informieren. Entdeckungen, die für die Bundesregierung meist peinlich waren. In Georgien tauchten 2008 Sturmgewehre des Typs G36 auf, die nie aus Deutschland dorthin geliefert worden waren. Wer sie Georgien gab, war angeblich nicht mehr festzustellen. In Libyen wurden 2011 G36-Gewehre entdeckt, die das Gaddhafi-Regime nicht in Deutschland gekauft hatte. Sie kamen nach Erkenntnisse des Herstellers, Heckler & Koch, aus Ägypten. Kairo hatte geliefert, ohne Berlin zu fragen. Auch in Mexiko gab es Probleme: Mexiko hatte G36-Gewehre für die Polizeien einiger seiner Bundesstaaten bestellt. Die Lieferung wurde genehmigt, weil vier besonders problematische Bundesstaaten in der mexikanischen Endverbleibserklärung nicht genannt wurden. Genau dort aber fand sich anschließend fast die Hälfte der Lieferung von mehr als 10.000 Gewehren wieder. Die mexikanische Endverbleibserklärung hatte die Absicht, die Gewehre auch in den vier problematischen Bundesstaaten an die Polizei zu verteilen, schlicht verschwiegen. Auch im Jemen tauchten jüngst G3-Gewehre auf, die Saudi Arabien in Lizenz produziert und ohne Zustimmung der Bundesregierung weitergegeben hatte. Einzelfall nach Einzelfall. Zum wiederholten Verdruss der Bundesregierung wurden sie öffentlich. Deutlich wurde: Die Endverbleibsregelungen für deutsche Rüstungsexporte übertreffen bisher den sprichwörtlichen Schweizer Käse – mehr Löcher als Käse. Dass das so ist, liegt auch daran, dass die Bundesregierung den Endverbleib bislang nie kontrollieren wollte.
Jetzt will das Wirtschaftsministerium endlich handeln und die Lücke schließen. Wenn künftig Kriegswaffen und – richtigerweise – bestimmte militärisch nutzbare Schusswaffen wie Pistolen, Revolver oder Scharfschützengewehre exportiert werden sollen, dann muss der staatliche Käufer Deutschland das Recht einräumen, später vor Ort nachzuschauen, ob die Waffen noch am da sind. Mitarbeiter des Bundesausfuhramtes und der deutschen Botschaft sollen dann Stichproben bei den Empfängern vornehmen. So weit, so schön und so löblich. Vertrauen ist bekanntlich gut, Kontrolle hingegen besser.
Problematisch ist, dass dies nur „grundsätzlich“ gelten soll. Mit anderen Worten: Es soll auch Ausnahmen geben. Die wesentlichen zeichnen sich bereits in den Eckpunkten ab, die das Kabinett beschlossen hat: Die neue Regelung soll nur für Drittländer gelten. Nicht betroffen ist also die große Gruppe der EU-Staaten, der NATO-Staaten und der diesen exportrechtlich gleichgestellten Staaten, also zum Beispiel Japan, Australien oder die Schweiz. In diesen Ländern soll es auch weiterhin keine Kontrollen geben. Sie müssen auch nicht unterschreiben, dass sie deutsche Kontrollen zulassen würden. Hier gilt weiter: Vertrauen reicht, Kontrolle ist nicht nötig.
Zwei Beispiele zeigen, warum das problematisch ist: Das deutsche Unternehmen Sig Sauer hat vor einigen Jahren Zehntausende von Pistolen in die USA ausgeführt. Deklarierter Endverbleib: die USA. Dort wurden die Schusswaffen an eine amerikanische Heeresbehörde weiterverkauft. Diese wiederum lieferte sie dann an Kolumbien, ein Land, für das es in Deutschland keine Ausfuhrgenehmigung gegeben hätte. Dem Hersteller war der Endabnehmer bekannt. Heute beschäftigt der Fall die Kieler Justiz, und Sig Sauer verlegt seine Produktion in die USA.
Das zweite Beispiel stammt aus Europa: Als die Armee der DDR aufgelöst wurde, bekam die Türkei unter anderem mehr als 300.000 Kalaschnikow-Gewehre sowie riesige Mengen passender Munition. Den Verbleib dieser Gewehre musste die Türkei nie nachweisen. Die Bundesregierung hat sich nie darum geschert. Deutschland fragte nicht nach, obwohl die Türkei an etliche Krisengebiete des Nahen und Mittleren Ostens grenzt und häufig Anlass gesehen haben könnte, bewaffnete Akteure in den Nachbarstaaten mit Waffen zu unterstützen. Beide, die USA und die Türkei, sind NATO-Länder. Der Endverbleib deutscher Waffen wird deshalb auch künftig nicht kontrolliert werden. Es bleiben also trotz Gabriels Neuregelung relevante Schlupflöcher beim Endverbleib bestehen.
Das zweite Problem zeigt sich, wenn man nach den Gütern fragt, deren Endverbleib künftig in Drittländern überprüft werden soll. Die Antwort lautet „Kriegswaffen und bestimmte Schusswaffen“. Diese Formulierung besagt zugleich, bei welchen Gütern es keine Endverbleibskontrollen geben soll: Bei „sonstigen Rüstungsgütern“ und „doppelt verwendbaren Gütern“ zum Beispiel. Und auch bei den Kriegswaffen wird noch einmal eingeschränkt. Ausgenommen werden auch „solche Komponenten und Baugruppen“, die „im Ausland in Waffensysteme eingebaut werden sollen“. Also in Indien, Israel oder Südkorea zum Beispiel, Staaten, in denen Panzer mit deutschen Komponenten hergestellt werden. Die Ausnahmen gelten damit für einen Großteil der deutschen Rüstungsexporte, denn Komponenten „Made in Germany“ sind begehrt und bilden einen erheblichen Part der deutschen Rüstungsexporte.
Die Geschäfte deutscher Firmen mit Antriebssystemen und Kanonen für Panzer oder Kriegsschiffe werden also genauso wenig betroffen sein wie jene mit Feuerleit- oder Radarsystemen, die in den Kriegswaffen anderer Staaten verbaut werden. Die Begründung dafür, dass die neuen nachträglichen Kontrollmöglichkeiten nur für einige wenige und besonders gut nachweisbare Waffenlieferungen gelten sollen, lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. In den vom Kabinett verabschiedeten Eckpunkten heiß es: „Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und die Rüstungszusammenarbeit mit Drittländern dürfen durch das System der Post-Shipment-Kontrollen nicht gefährdet werden.“
Das klärt die Prioritäten. Der wirtschaftliche Erfolg geht vor. In diesem Satz fehlt sogar das kleine Wörtchen „grundsätzlich“ und damit der Hinweis darauf, dass es auch Ausnahmen geben könnte. Absehbar ist daher, dass die Kontrollen äußerst „selektiv“ und wahrscheinlich nur sehr begrenzt ausfallen werden.
Schlagwörter: Bundesregierung, Endverbleibskontrollen, Exportgenehmigung, Otfried Nassauer, Rüstungsexport, Siegmar Gabriel