18. Jahrgang | Nummer 12 | 8. Juni 2015

Der Panzer & das kleine Einmaleins

von Sarcasticus

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass weitreichende sicherheitspolitische Entscheidungen ein Mindestmaß an strategischer Intelligenz voraussetzten. Solche Entscheidungen können vielmehr durchaus unglaublich dumm sein. Aber anscheinend nie dumm genug, um nicht von zustimmender Kommentierung in prominenten Medien noch übertroffen zu werden. Das ist gerade wieder sehr eindrücklich an Entscheidungen und der zugehörigen Pressedebatte zu beobachten, die man unter der Überschrift „Rückkehr der Panzer“ – so dieser Tage der Titel eines Kommentars in der Welt – zusammenfassen könnte.
Wegen der sich seit vergangenem Jahr zuspitzenden Konfrontation mit Russland hat Ursula von der Leyen bekanntlich entschieden, den Bestand der Bundeswehr an Kampfpanzern Leopard II von 225 auf 328 aufzustocken und die gesamte Flotte zu modernisieren. Darüber hinaus soll die Entwicklung eines neuen Kampfpanzers, Leo III, die auf Betreiben der schwarz-blassrosanen Koalitionsfraktionen bereits im Oktober 2014 in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen wurde, „nun gemeinsam mit den Franzosen […] geprüft“ werden, wie BMVg-Staatssekretär Markus Gübel (CDU) dem Bundestag schriftlich mitgeteilt hat.
„Die neuen Panzer“, so Der Spiegel, „sollen die Antwort auf Putins hybride Kriegführung sein.“ Sie sollen insbesondere „Russlands Nachbarn […] die Angst nehmen, dass sie als Nächste dran sind, wenn Putins Appetit nicht gestillt sein sollte“.
Das Ende des Kalten Krieges war für Deutschland, Ältere werden sich noch daran erinnern können, sicherheitspolitisch auch deshalb ein Segen, weil damit die Möglichkeit raumgreifender Panzerschlachten à la Zweiter Weltkrieg auf deutschem Boden entfiel. Mitte der 1970er Jahre etwa rechnete die NATO in Mitteleuropa mit 16.000 Kampfpanzern des Warschauer Paktes, denen 6.000 eigene gegenüberstanden. Was dies im Kriegsfalle bedeutet hätte, brachte der damalige Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Karl Kaiser, 1985 auf den Punkt, als er vermerkte, dass die „Zerstörungswirkung“ eines konventionellen Krieges „in den dicht besiedelten Räumen Deutschlands so hoch sein würde, dass der Unterschied zu einem Kernwaffenkrieg für die Betroffenen irrelevant sein würde“.
Eine vergleichbare Gefahr für Deutschland dämmert trotz der aktuellen Zuspitzung im Verhältnis zu Russland allerdings nicht am Horizont herauf, denn zwischen der deutschen Ostgrenze und den ersten größeren russischen Panzerverbänden liegen inzwischen Polen und die baltischen Staaten. Möglicherweise letzteren drohen, folgt man derzeitigen westlichen Debatten, die nächsten Panzerschlachten.
Was im Hinblick auf eine solche Gefahr allerdings 100 Bundeswehr-Leos mehr in ein paar Jahren nützten, die überdies noch – wie die jetzt vorhandenen auch schon – über keine wirksame Munition verfügen werden, um die Bugpanzerung moderner russischer Typen zu durchschlagen, das bleibt eine Frage, über die sich die Ursel im Bendlerblock in Schweigen hüllt und die ihr auch von ihr sonst kritisch begegnenden Medien nicht gestellt wird.
Stattdessen adelte Politikredakteur Thorsten Jungholdt in dem erwähnten Welt-Kommentar die Leo-Trinität aus Aufstockung, Modernisierung und Neuentwicklung mit dem Prädikat „verantwortliche Sicherheitspolitik in Zeiten einer erodierenden Weltordnung“. Ob er dabei womöglich auch noch den Islamischen Staat, das zerfallene Libyen oder Boko Haram vor Augen hatte, will man gar nicht wissen, genügt doch allein schon der Blick auf das Baltikum und Russland, um die sicherheitspolitische Absurdität des Prädikates zu offenbaren: Zum einen fehlen der Bundeswehr nahezu jegliche logistischen Voraussetzungen, um ihre Kampfpanzer im Krisenfall oder gar zur Verteidigung von Tallin und Vilnius nach vorn zu werfen. Zum anderen verfügt Russland, der aktuellen Military Balance zufolge, über 2.600 Kampfpanzer in aktiven Verbänden und weitere 17.500 in Depots. Der Spiegel rief in diesem Zusammenhang folgendes in Erinnerung: „Die Erfolge der Wehrmacht in den ersten Kriegsjahren sind ohne den Panzer nicht zu erklären, er war die Waffen des Blitzkriegs.“ Wenn die russischen Panzer also tatsächlich zur akuten Bedrohung für das Baltikum würden, dann kämen als militärisches Gegenmittel zur Abschreckung und erst recht zur Abwehr auf dem Schlachtfeld letztlich nur Kernwaffen infrage. Wohin das allerdings bei einer Nuklearmacht wie Russland führte, liegt auf der Hand …
Fazit: Es gibt es unter rationalen Gesichtspunkten kein einsetzbares militärisches Gegenmittel. An dieser Gegebenheit wird auch ein Leo III nichts ändern.
Empfundene und schon gar reale militärische Bedrohung seitens Russlands kann nur politisch beherrscht und aus der Welt geschafft werden. Als Voraussetzung dafür müsste der Westen lediglich Russlands Sicherheitsinteressen an dessen westlichen Grenzen angemessen respektieren. Das ist kleines sicherheitspolitisches Einmaleins des Kalten Krieges, der europäischen Entspannung der 1970er Jahre und der Ost-West-Abrüstungsdeals der Gorbatschow-Ära, aber das kann ein Politikredakteur des Jahrgangs 1969 ja nicht wissen. Eine Verteidigungsministerin, Jahrgang 1958, und deren Chefin, 1954, aber schon.
Und apropos „verantwortliche Sicherheitspolitik in Zeiten einer erodierenden Weltordnung“: Als Antwort auf heutige Krisen und Konflikte die erklärte Absicht zu preisen, einen neuen Kampfpanzer zu entwickeln, ist, charmant formuliert, burlesk. Ein Leo III rollte, wenn nicht alles bei Großwaffenprogrammen der Bundeswehr permanent Übliche wieder schief geht, der Truppe vielleicht in zwölf, wahrscheinlicher aber frühestens in fünfzehn Jahren zu. (Der Spiegel: „[…] soll bis 2030 ein Nachfolgemodell entwickelt werden.“)
Es kann jedoch durchaus auch länger dauern. Die Anfänge des Schützenpanzers Puma etwa reichen bis 1996 zurück; die Auslieferung der Serienmodelle begann am 17. April dieses Jahres.
Bei solchen Zeitspannen kann der ursprünglich ins Visier genommene Feind zwischenzeitlich schon mal abhandenkommen. Wie beim Kampfhubschrauber Tiger. Dieses Projekt begann 1984, und der Flieger sollte eigentlich sowjetische Panzermassen in der norddeutschen Tiefebene und im Fulda Gap bekämpfen. Als der Erstflug einer in Serie gefertigten Maschine im Jahre 2003 schließlich stattfand, war die sowjetische Bedrohung schon längst Geschichte.
Das Leo III-Vorhaben bewegt sich jedoch zumindest in passgerechter Nachbarschaft, denn auch Polen wird, um den Russen – in diesem Fall konkret der Baltischen Flotte in der Ostsee – so richtig Paroli zu bieten, neue Großwaffen beschaffen. Nämlich drei hochmoderne U-Boote. Die Ausschreibung soll schon im Sommer beginnen, und mit der Indienststellung wird bereits für die zweite Hälfte der 2020er Jahre gerechnet …