18. Jahrgang | Nummer 8 | 13. April 2015

Faschisten nicht nur in Kiew

von Stephan Wohanka

Dass „Faschisten“ in Kiew an der Macht beteiligt sind, ist bekannt und auf den Seiten des Blättchens häufig kommentiert worden. Das deutet auf einen klaren Standpunkt der Autoren hin und zeugt von hoher, ja seismografischer Sensibilität für das Thema. Dass Putin oft gegen die in Kiew regierenden „Nationalisten, Neonazis, Russophoben und Antisemiten“ Stellung bezieht, ist ebenfalls bekannt und ist – wenn er das so sieht – auch völlig in Ordnung.
Insofern wundert es schon ein wenig, dass bisher – oder ist mir etwas entgangen? – ein Treffen von Nationalisten und Neonazis (ich könnte auch sagen: Faschisten, schlösse ich mich der Diktion anderer an) so gar kein Echo gefunden hat. Blättchen-Leser dürften wissen, wovon ich spreche – vom „Internationalen Russischen Konservativen Forum“, zu welchem die russische Partei Rodina (Heimat) am 22. März 2015 nach St. Petersburg geladen hatte; einer Versammlung – gemäß Rodina – „sozialer und politischer“ Bewegungen. Nur – es reisten, pikanterweise auf eigene Kosten, Rechtsextreme aus ganz Europa sowie den USA an. Insgesamt folgten etwa 200 ultrarechte und nationalistische Aktivisten und Politiker dem Ruf; aus Deutschland Udo Voigt, früher NPD-Vorsitzender, heute Europa-Abgeordneter seiner Partei.
Nun ist die einladende Rodina keine Regierungspartei; staatsfern ist sie aber auch nicht: Ende 2003 baute der Nationalist (und heutige Vizepremier) Dmitri Rogosin diese ziemlich weit rechts stehende Partei auf. Bewundernd schrieb 2011 das Neue Deutschland über ihn: „Man muss Dmitri Rogosin nicht mögen, kann ihm den Respekt aber nicht versagen“. Mit anderen Worten – die russische Regierung hat das Treffen zwar nicht gebilligt, aber auch nicht verhindert.
Warum machen sich Vertreter russischer Parteien kommun mit Leuten wie dem Neonazi Voigt? Ist es nicht befremdlich, dass zum 70. Jahrestag des Kriegsendes Neonazis, Faschisten hofiert werden, eben auch deutsche, und das gerade im früheren Leningrad, der Stadt, die über 900 Tage von ebendiesen belagert wurde? Schätzungen gehen von etwa 1,1 Millionen ziviler Opfer aus, die infolge der Blockade elendiglich ihr Leben verloren. Die meisten verhungerten. Dieser Massentod – oder besser: Massenmord – wurde von der Wehrmacht gezielt und systematisch herbeigeführt und ist in diesem Ausmaß weltweit beispiellos und war eines der schlimmsten Kriegsverbrechen dieser Okkupanten überhaupt. „Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt “ schrieb damals Dmitri Schostakowitsch.
Voigt dagegen widmete seinem 2000 gestorbenen Vater – Hitlerjunge, SA-Mitglied, Stabsgefreiter der Wehrmacht, 1949 aus russischer Gefangenschaft zurück und bis zu seinem Lebensende überzeugter Faschist – diese Worte Adalbert Stifters: „Denn was immer auf Erden besteht / besteht durch Ehre und Treue. / Wer heute die alte Pflicht verrät / verrät auch morgen die neue“. Der Sohn steht also in „guter“ Tradition und hält an ihr fest. Da passt die Bagatellisierung des Holocausts „sechs Millionen kann nicht stimmen. Es können maximal 340.000 in Auschwitz umgekommen sein“ ins Bild; ebenso, dass er, als er 1996 NPD-Chef wurde, der bis dato strikt antikommunistischen Partei das Konzept eines „nationalen Sozialismus“ (sic!) verordnete. Diese strategische Entscheidung war die Basis späterer Erfolge, vor allem in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo die Partei inzwischen fest etabliert ist.
Dass Voigt auf dem in Rede stehenden Treffen mit dem Satz „das Europa der Vaterländer soll sich nicht um Probleme der Schwulen und Lesben kümmern“ zitiert wird, kann als Verbeugung vor der aktuellen russischen Innenpolitik gesehen werden, passt aber auch ins Bild. Apropos Innenpolitik – eine Frage drängt sich dann schon noch auf: Ist das Forum neonazistischer und rechtsextremer Spießgesellen mit ihren russischen Kumpanen nur ein Ausrutscher? Ute Weinmann, über jeden Verdacht erhaben, Russland oder Putin am Zeuge zu flicken, schreibt vorsichtig: „Zumindest für die ehemalige Hauptstadt der Sowjetunion lässt sich konstatieren, was auf den ersten Blick wie ein Paradox erscheint: Rechtsextreme Denkweisen waren im Bewusstsein der russischen Bevölkerung kaum jemals so fest verankert wie heute“. Ob das nur für Moskau gilt? Seit Jahren sind Ultranationalisten und Rechtsradikale in der russischen Politik mit Folgen – wie festgestellt – für das „Bewusstsein der russischen Bevölkerung“ aktiv: Erst waren es obskure Gestalten wie Wladimir Schirinowski, der schon Ende 1994 (!) davon träumte, wie der russische Soldat „seine Stiefel im Indischen Ozean reinigen“ werde. Dem abtrünnigen Baltikum wollte er die Energiezufuhr kappen und Ostpreußen auf Kosten Polens mit Deutschland teilen. Später unter Putin wurde die von dem Ultranationalisten – andere nennen ihn auch Faschisten – Alexander Dugin entworfene neo-eurasische Ideologie hoffähig. Seine Affinität zum deutschen Faschismus deutet sich bereits in seinem ersten Artikel „Der Große Krieg der Kontinente“ von 1992 an. Darin legt Dugin seine Interpretation der jüngeren Menschheitsgeschichte dar; der abstruse Text endet mit den Worten: „Schon schlägt die entscheidende Stunde Eurasiens […]. Schon naht der Große Krieg der Kontinente sich dem Endpunkt“. 1993 schreibt er in besonders offensichtlicher Anlehnung an die Ideologie des deutschen Faschismus: „Da, wo es wenigstens einen Tropfen arischen Blutes […] gibt“, existiert „die Chance für ein rassisches Erwachen, für eine ‚Wiederauferstehung des arischen primordialen Bewusstseins’“.
Das alles ist nicht Regierungspolitik Russlands; nein, hat aber wohl erheblichen Einfluss auf das Denken und die Haltung russischer Menschen! Müsste da nicht der antifaschistische – oder faschistische? – sonst so sensible Seismograf auch ausschlagen?

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