von Clemens Fischer
Dass Julianne Moore, nachdem sie für den Oscar als beste Hauptdarstellerin bereits in den Jahren 2000 („Das Ende einer Affäre“) sowie 2003 („Dem Himmel so fern“) nominiert worden war, den Academy Award dieses Mal für ihre Rolle der Dr. Alice Howland, einer Universitätsprofessorin und Koryphäe auf dem Gebiet der Linguistik, deren Persönlichkeit bereits im Alter von nur 50 Jahren an einer seltenen Form von Alzheimer zu verlöschen beginnt, in Empfang nehmen konnte, war quasi überfällig. Moores völlig unsentimentale, sehr subjektive Darstellungsweise der Auseinandersetzung mit der tückischen, unheilbaren Krankheit und des Kampfes gegen deren Fortschreiten ist tief beeindruckend. Auf die Frage, was das Besondere an diesem Streifen sei, antwortete die Schauspielerin: „Es stimmt, dass Alzheimer schon in anderen Filmen eine Rolle spielte. Doch die Krankheit wurde meist von außen, von den Umstehenden reflektiert. Von denen, die den Patienten betreut haben – aber fast nie vom Betroffenen selbst. Das fand ich an unserem Projekt so spannend. […] man erlebt die Krankheit nur aus der Sicht von Alice. Das darzustellen, hat mich sehr gereizt. Und mir war auch sehr wichtig, nicht das langsame Wegdämmern von Alice zu zeigen, sondern ihren täglichen Kampf um ein Stück würdevolles Leben.“ Es ist aber gerade der unaufhaltsame, anfänglich noch bewusst erlittene sukzessive Verlust ihrer individuellen Würde, der diese Alice in einem Augenblick tiefster Verzweiflung die ungeheuerliche, doch völlig ernst gemeinte Frage stellen lässt: „Hätte ich nicht an Krebs erkranken können?“
Vor den mit Alzheimer verbundenen Herausforderungen für die Angehörigen der Betroffenen – im Falle der Alice Howland sind dies der Ehemann und drei erwachsene Kinder – kapituliert letztlich nur die jüngste Tochter nicht. Das ist die mit der nach den Maßstäben dieser gutbürgerlichen Familie schon fast gescheiterten Existenz.
„Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“, Regie: Richard Glatzer (†), Wash Westmoreland; derzeit in den Kinos.
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Auf der Liste für den nächsten James Bond-Darsteller hat Colin Firth mal ganz oben gestanden, bekannte der Schauspieler jüngst in einem Interview. Leider sei es nicht die Liste der Produzenten gewesen, sondern nur eine von ihm höchst selbst verfasste. Was der Broccoli-Clan sich da hat entgehen lassen, ist derzeit im Kino zu besichtigen: „Kingsman: The Secret Service“. Im selben Interview hatte Colin Firth auch gesagt, eine Persiflage auf 007 solle der Film nicht sein, sondern ein „Liebesbrief an die frühen Bond-Filme“, eine Hommage. Das ist einerseits schade und andererseits gründlich in die Hose gegangen. Schade – weil eine Persiflage natürlich alles gedurft hätte und alles durch den Kakao ziehen natürlich zuallererst. Und in die Hose gegangen – weil es bei einer Hommage ein absolutes No-Go gibt: Sie darf keinesfalls besser sein als das Original! Das aber gilt nicht nur für den ganzen Film, sondern im Besonderen für Colin Firth, der als Harry Hart alias Galahad über so viel unterkühlt-distinguierte Britishness verfügt, dass er den einzigen wirklichen Gentleman-007, den es je gab, – Pardon, Sir Roger! – locker in die Tasche steckt. Und überdies: Bei der schlimmsten Gewaltorgie des Streifens kippt der Regisseur nicht zwei Tanklaster Filmblut über die Leinwand, was der Choreographie des Gemetzels durchaus entsprochen hätte, sondern – hochgestochen formuliert – verfremdet und demonstriert dabei zugleich beiläufig, dass er von jener Insel stammt, die schon Monty Python hervorgebracht hat.
Was sonst noch? Ein Spruch fürs Leben: „Manieren machen uns zu Menschen.“ (Harry Hart) Und eine Reminiszenz an den Kalten Krieg, konkret an US-Präsident Ronald Reagans Weltraumrüstungspläne von 1983, die unter dem Kürzel SDI in die Geschichte eingegangen sind und offenbar zumindest dafür gut waren, 32 Jahre später einem Filmbösewicht, der es mal wieder auf die Menschheit abgesehen hat, in die Suppe zu spucken. In Umkehrung eines Buchtitels von Paul Watzlawick könnte man hier füglich also „vom Guten des Schlechten“ sprechen.
„Kingsman: The Secret Service“, Regie: Matthew Vaughn; derzeit in den Kinos.
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1998 hatte es den ersten Film um den Expolizisten, Exsanitäter und auch als Kaufhausdetektiv nicht wirklich erfolgreichen Simon Brenner nach einem Roman des Kultautors Wolf Haas gegeben – „Komm, süßer Tod“. Das Drehbuch hatte der Autor zusammen mit Hauptdarsteller Josef Hader und Regisseur Wolfgang Murnberger verfasst, und getreu dem Motto „Never change a winning team!“ ließ dieses Kollektiv zwei Jahre später „Silentium“ folgen und 2009 „Der Knochenmann“. Danach machten sich bei der Fangemeinde des ewigen Losers und stets mittelschwer schlampert-versifften Brenners cineastische Mangelerscheinungen breit – vier Jahre gingen ins Land, fünf. Nix. Erst jetzt, nach erbarmungslosen sechs (!) Jahren kaltem Entzug, endlich wieder ein Brenner. Und wer in Unkenntnis der Romane von Haas nun angenommen oder gar gehofft hatte, dass sich in der Underdog-Karriere des permanenten Scheiterers Brenner einmal irgendetwas zum Besseren wenden müsste, der weiß nach diesem Kinogang, dass alles bereits Gewesene noch längst kein Alptraum war. Jetzt ist Brenner nämlich auch noch obdachlos, zumindest zu Beginn. Bis er in das Haus seiner verstorbenen Eltern in Graz zurückkehrt, und wem dies voreilig ein Fortschritt deucht, der hat den Film noch nicht gesehen. In dem ist im Übrigen einiges aus Brenners späten Jugend- und frühen Erwachsenenjahren zu erfahren. Darüber hinaus kann man manches über das tödliche Potenzial barocker Bilderrahmen sowie falscher Bildschirmschoner, die eingeschränkte Performance von Küchenspülen ohne Wasseranschluss sowie über Katzennahrung lernen.
Für die, denen Statistiken und Benotungen hilfreich sind: Der Film hat es geschafft, „Fifty Shades of Grey“ von Platz eins der österreichischen Kino-Charts zu verdrängen! Andererseits: Josef Hader hat im Hinblick auf seinen Hauptberuf, den des Kabarettisten, mal gemeint, „dass das Dargebotene für den Zuschauer bis zu einem gewissen Grad eine Zumutung“ sein solle. Hätte er das über „Das ewige Leben“ gesagt, wäre ihm schlechterdings nicht zu widersprechen. Oder anders ausgedrückt: Man sollte vor dem Filmerlebnis vielleicht vorsichtshalber nicht zu üppig gespeist haben.
„Das ewige Leben“, Regie: Wolfgang Murnberger; derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Clemens Fischer, Colin Firth, Josef Hader, Juliane Moore, Matthew Vaughn, Oscar, Richard Glatzer, Wash Westmoreland, Wolf Haas, Wolfgang Murnberger