von Hubert Thielicke
Was 1963 als „Internationale Wehrkunde-Begegnung“ begann, hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten zur Münchner Sicherheitskonferenz (Munich Security Conference – MSC) gemausert. Ihre 51. Auflage findet nun vom 6. – 8. Februar statt.
Die Veranstalter sehen ihre Konferenz gern als unabhängiges Forum, ohne aber zu verschweigen, dass es im Kern insbesondere um die transatlantische Partnerschaft geht. Immerhin, die Tagung gilt inzwischen als weltweit führende Veranstaltung zu sicherheitspolitischen Themen. Der aktuelle Global Think Tank-Index der University of Pennsylvania adelte sie mit Platz 1 in der Kategorie „Best Think Tank Conference“.
Bei der jährlichen Münchner Konferenz ist es nicht geblieben, weitere Formate sind in ihrem Umfeld entstanden – so der Energy Security Summit oder der European Defence Summit. Das Novum in diesem Jahr: Erstmals erschien der Munich Security Report Just dieser Bericht wurde am 26. Januar auf der Berliner Auftaktveranstaltung für die 51. MSC vorgestellt.
Unter dem Titel „Collapsing Order, Reluctant Guardians?“ gibt der Bericht in drei inhaltlichen Kapiteln – Actors, Hot Spots und Challenges – mit Statistiken, Karten, Zitaten und Kurzanalysen ein Überblick über eine Reihe sicherheitsrelevanter Themen. Bei den Akteuren geht es insbesondere um Deutschland, die USA, die EU, die NATO, Russland und China, bei den Krisengebieten um die Ukraine, den Nahen Osten und die asiatisch-pazifische Region. Als Herausforderungen werden die hybride Kriegsführung, der Krieg gegen den Terror, Flüchtlingskrise und Energiesicherheit genannt. Große militärpolitische Probleme wie Wettrüsten und nukleare Abrüstung oder ökonomische Fragen wie EU-Krise sucht man vergebens. Da wird dann schon lieber auf die Notwendigkeit gemeinsamer Rüstungsprojekte in Westeuropa abgehoben. Ergo, noch nicht ganz der große Wurf. Aber das Papier soll ja erst einmal als „Impulsgeber“ für die Münchner Konferenz dienen, wie der Konferenzvorsitzende, Botschafter a. D. Wolfgang Ischinger, in aller Bescheidenheit meinte.
Mit einer Podiumsdiskussion zur These „Deutschlands Rolle in der Welt: Verantwortungsvolle Außenpolitik braucht kein stärkeres militärisches Engagement!“ wurde eine Grundfrage der Münchner Konferenz vom vergangenen Jahr aufgegriffen, um damit schon mal die Weichen für die bevorstehende Tagung zu stellen. Bekanntlich hatten damals Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen für ein stärkeres Engagement bis hin zum Einsatz militärischer Mittel plädiert. Im Berliner Gespräch brachen jetzt die Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler (CSU) und Stefan Liebich (Die Linke) eine Lanze für ein maßvolles internationales Auftreten, während sich Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, und General a. D. Klaus Naumann für die stärkere Nutzung militärischer Gewalt einsetzten.
Volkes Stimme veranschaulicht der MSR: Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung hatten sich 1994 noch 62 Prozent der Deutschen für ein stärkeres Engagement ihres Landes in internationalen Krisen ausgesprochen, demgegenüber traten zu Anfang dieses Jahres exakt 62 Prozent dagegen auf. Eben eine „Trendumkehr“, wie Moderatorin Constanze Stelzenmüller (Brookings Institution, Washington) trocken feststellte. Nichtsdestotrotz dürfe die Politik nicht dem Beifall der Wähler nachrennen, meinten Naumann und Röttgen. Natürlich sei die UN-Charta zu beachten, aber Bündnisverpflichtungen und das Chaos in der Welt verlangten, dass Deutschland eine größere Rolle übernähme, sich eben auch militärisch engagiere. Um Werte, Regeln und Konfliktlösungen durchzusetzen, müssten nun mal auch militärische Mittel eingesetzt werden, forderte Röttgen gar.
Eine verantwortungsvolle Außenpolitik bedeute doch nicht einfach mehr Soldaten, hielt Liebig dagegen. Afghanistan, Irak, Libyen und andere Fälle hätten doch gezeigt, dass Militäreinsätze nur zu noch mehr Unsicherheit führten. Wichtig sei es, mit präventiven Maßnahmen den Krisen entgegenzuwirken.
Die Bundeswehr immer mehr für Interventionszwecke einsetzen zu wollen, sei einfach töricht, betonte Gauweiler. Einzig UN-Charta und Grundgesetz seien maßgebend für militärische Einsätze. Das Eingreifen im Kosovo sei falsch gewesen, die Aktion von NATO-Staaten in Libyen habe die Region destabilisiert, bis hin zur Krise in Mali. Insofern habe der damalige Außenminister Westerwelle mit der deutschen Enthaltung im UN-Sicherheitsrat richtig gehandelt. Auch in der Ukraine-Krise sei Zurückhaltung angebracht.
Während sich Liebig für eine stärkere Rolle der OSZE zur Lösung der Ukraine-Krise aussprach, setzte Röttgen auf Abschreckung Russlands durch die NATO. Als „Debattensieger“ erwiesen sich letztlich Peter Gauweiler und Stefan Liebich. Hatten vor der Podiumsdiskussion nur etwa 30 Prozent des offensichtlich ziemlich elitären Publikums für militärische Enthaltung gestimmt, waren es danach bereits 40 Prozent.
Im MSR wird zu Recht festgestellt, dass der derzeitige Konflikt in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen die seit Ende des Kalten Krieges erreichten Fortschritte gefährden könnte. Die Herausforderungen im Nahen Osten seien von fundamentalerer Natur und bedrohten die Existenz vieler Staaten. Das veranschaulichten in der Berliner Runde die Beiträge zweier ausgemachter Nahost-Experten. So verwies Peter Neumann vom Londoner King‘s College darauf, dass die Anzahl der heutigen dschihadistischen Auslandskämpfer in Syrien (mehr als 20.000) weit über die derjenigen im Afghanistan der 1980er Jahre hinausgehe. Es handele sich um ein globales Phänomen mit gefährlicher politischer und gesellschaftlicher Dynamik. Und Volker Perthes, Direktor der Stiftung für Wissenschaft und Politik, analysierte: „Im Nahen und Mittleren Osten erleben wir den Zerfall einer regionalen Ordnung und eines Staatensystems. Es ist aber keiner da, der das wieder zusammenbaut“. . Während sich internationale Akteure zurückhielten und nur für eine Ertüchtigung ihrer regionalen Partner sorgten, würde sich die regionale Machtbalance ständig verschieben; Bürgerkriege überschritten die nationalen Grenzen. Der IS sei nicht nur eine Terrororganisation, sondern ein dschihadistisches Staatenbildungsprojekt, welches das regionale und internationale System ablehne.
Bleibt zu hoffen, dass man in München die richtigen Schlussfolgerungen zieht: Russland und der Westen müssen auf Gedeih und Verderb zur Kooperation zurückkehren – nicht zuletzt, um ihre Anstrengungen gegen den gemeinsamen Gegner – den dschihadistischen Terror – zu richten.
Schlagwörter: der Westen, Hubert Thielicke, Islamischer Staat, MSC, Münchner Sicherheitskonferenz, Russland