von Bov Bjerg
Kurz vor dem großen runden Mauerfalljubiläum gewinnt die Linke in Thüringen die Wahl.
Und plötzlich ist Stalin wieder an der Macht! Er nennt sich jetzt „Bodo Ramelow“, was für ein abgefahrenes Pseudonym!
„Bodo Ramelow“, die pure Verharmlosung …
„Bodo Ramelow“, so nennt vielleicht eine Achtjährige ihr Kaninchen, alle Achtung, Josef Wissarionowitsch, Hut ab!
Dieser „Bodo Ramelow“ tarnt sich als ein gläubiger evangelischer Einzelhandelskaufmann aus Niedersachsen, und schon an dieser perfiden Tarnung kann man erkennen, wie gefährlich die Stalinisten immer noch sind!
Kann nicht mehr lange dauern, dann errichten sie auf der Wartburg einen Zwangsbibelkreis, und im Kirchturm von Zeulenroda stationieren sie russische Mittelstreckenraketen.
Erfurt wird unter Viermächtestatus gestellt, in Erfurt-West wird Eberhard Diepgen Bürgermeister, aber der Ostteil wird zu Erfurt, Hauptstadt der TDR, der Thüringer Demokratischen Republik.
Alles wird radikal umgekrempelt! Nur der Mitteldeutsche Rundfunk darf so bleiben, wie er ist.
Die CDU regt sich auf, dass sie auf einmal nicht mehr an der Regierung sein soll. Man muss das verstehen. Seit 1949 ist die CDU in Thüringen an der Macht beteiligt, mit wechselnden Partnern, und plötzlich soll Schluss sein?
Der Bundespräsident, Joachim Gauck, ist auch dagegen, dass in Thüringen eine Regierung gebildet wird, die von der Mehrheit gewählt worden ist.
Was hat der Präsident vor? Wird er Thüringen rausschmeißen? Dann hat Deutschland ein Loch, sieht aus wie eine Öre-Münze und wird von Dänemark annektiert.
Nein, dem Bundespräsidenten sind die Hände gebunden, die Bolschewisierung ist bereits in vollem Gang, der Personenkult wird wieder kommen, er wird sich ausbreiten aufs ganze Land, bald heißt Joachim Gauck wieder Willi Stoph, und wer durch Niedersachsen fährt, sieht heute schon, wenn er bloß genau genug hinschaut, zwischen Ritterhude und Bremervörde das große gelbe Ortsschild: BODO-RAMELOW-STADT OSTERHOLZ-SCHARMBECK. Es ist so breit, dass es weit in die Fahrbahn ragt, jedem Cabrio-Fahrer dengelt es gegen die Omme, aber da kennt der Bolschewismus kein Pardon.
Der Tagesspiegel schreibt, die Feier zum Mauerfall sei eine „Einheitsfeier“. Je länger es her ist, desto enger rücken die beiden Jahre zusammen, 89 und 90.
Bald wird in den Geschichtsbüchern stehen, der 9. November und der 3. Oktober seien auf denselben Tag gefallen. Ein göttliches Wunder.
Die Verlautbarungen zum Mauerfalljubiläum müssen gedeutet werden, und wer in der DDR aufgewachsen ist, entdeckt verschüttete Fähigkeiten wieder. Er liest einfach alles, was jetzt über den Mauerfall geschrieben wird, so, wie er vor ’89 das Neue Deutschland gelesen hat. Das hilft.
Zum Mauerfalljubiläum steckt in allen deutschen Briefkästen die Bild-Zeitung, gratis, und erinnert jeden, der es vergessen haben sollte, an den Vorzeichenwechsel. Vom Neuen Deutschland zum Ganz Neuen Deutschland, jetzt mit weniger Text und größeren Fotos.
Jetzt kommt es darauf an, zwischen den Brüsten zu lesen.
In Berlin werden ein paar Kreuze abmontiert, die an die Maueropfer erinnern sollen. Aus Protest gegen die europäische Flüchtlingspolitik. Die Kreuze werden an die Außengrenzen der EU gebracht, nach Bulgarien und nach Melilla, wo die Wirtschaftsflüchtlinge des 21. Jahrhunderts in den Zäunen hängen.
Allein im Jahr 2014 starben mehr als 3000 Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa, sagt die UNO.
Das Mittelmeer ist so viel effizienter als jeder Schießbefehl.
Zur Feier des Mauerfalls kommt der Biermann in den Bundestag. Da hat der Lammert die Abgeordneten ganz schön überlistet. Der Biermann kommt, hat Lammert gesagt, der Biermann kommt zur Feier, und die Abgeordneten haben gedacht, na super, das wird ’ne Sause, und als der Biermann da war, da gab es natürlich lange Gesichter, dass Biermann anscheinend der Nachname ist von dem Typen und nicht sein Beruf.
Zur LINKEN, also der früheren SED, also der früheren KPD, also dem früheren Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein … – zur LINKEN sagt der Biermann:
„Ich habe euch zersungen mit den Liedern, als ihr noch an der Macht wart.“
Da übertreibt der Biermann natürlich ein bisschen, ganz allein war er das ja nicht, da war schon auch noch der Hasselhoff mit dabei.
Sein Beruf sei „Drachentöter“ gewesen, sagt Biermann, und wieder einmal wundert man sich, was es in der Ostzone für abgefahrene Jobs gab.
Wolf Biermann, oder wie wir Hardrocker sagen: der Gitarrengauck.
Endlich geht das Mauerfall-Wochenende auf seinen Höhepunkt zu: die Lichtergrenze! Tausende von Ballons leuchten entlang der ehemaligen Mauer. Meine Tochter sagt: „Das sieht schön aus. Warum hat man das denn damals weggemacht?“
Ein paar Tage später schreibt die BZ, einer von den Mauerballons sei bis in die Uckermark geflogen, und einer sogar bis nach Münster. „Seht ihr, Kinder“, sag ich. „Das ist Berlin! Das kriegen sie in Paris nämlich nicht hin, oder in London oder in New York. Dass ein Ballon bis in die Uckermark fliegt, oder sogar bis nach Münster!“
Aus dem Kabarettistischen Jahresrückblick 2014 im Berliner Mehringhoftheater. – Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ erscheint im Sommer 2015 bei Blumenbar (Aufbau-Verlag).
Schlagwörter: Boc Bjerg, Bodo Ramelow, Die Linke, Lichtergrenze, Mauerfall