18. Jahrgang | Nummer 1 | 5. Januar 2015

Bemerkungen

Widmung

Man sollte mit zwanzig Jahren der Idee seines Lebens, mit dreißig der Frau seines Lebens, mit vierzig der eigenen Wahrheit be­gegnen, mit fünfzig den Hunger nach Erfolg gestillt haben, mit sechzig das Werk schaffen, das größer wäre als der Schaffende selbst, mit siebzig sollte man bescheiden gegen den geringsten seiner Brüder und arrogant gegen den Himmel werden. Doch er­kennt man die Jahreszeiten des Lebens erst, wenn sie lange vor­über sind […] Mit fünfundzwanzig Jahren habe ich diese Maxime formuliert. Die meisten erfahren den großen Plan erst, nachdem sie ihn endgültig verfehlt haben. Ich habe ihn so rechtzeitig erfah­ren, daß ich von jedem Zuge, den ich verpaßte, die genaue Ab­fahrtszeit vorher kannte.

Manès Sperber

Aus – Manès Sperber: Der verbrannte Dornbusch (Roman, 1949).
Überschrift von der Redaktion.

Joe Cocker im Olymp der Unvergesslichen

Joe Cocker war ein gelernter Gasinstallateur aus Sheffield. Niemand zelebrierte auf der Bühne so unorthodoxe Bewegungsabläufe wie er, von seinen legendären Soli auf der Luftgitarre ganz abgesehen. Er hat zwar nie ein richtig großes Album eingespielt und galt als King der Cover-Version, aber schon sein erster Nummer-1-Hit im Vereinigten Königreich im Jahre 1968, sein bis zur Ekstase hochgepeitschtes „With a Little Help from My Friends“ (Original von den Beatles) – sein Vortrag dieses Titels auf dem legendären Woodstock-Festival 1969 brachte ihm den Durchbruch in den USA –, zeigte, dass eine Cover-Version durchaus auch der eigentliche Hit sein kann. Die Liverpooler Pilzköpfe waren so angetan, dass sie Joe Cocker gleich weitere Titel zum Covern anboten. Ähnliche Höhepunkte der Rock- und Popmusik wurden „She Came In Through the Bathroom Window“ (ebenfalls von den Beatles), „The Letter“ (von The Box Tops) oder „Cry Me a River“ (von Julie London) und „You Are so Beautiful“ (von Billy Preston und Bruce Fisher). Unübertroffen aber vor allem und ihm allein schon einen Platz im OIymp der Unvergesslichen sichernd – der „St. James Infimary Blues“.
In der DDR hatte Cocker 1988 zwei Auftritte (in Berlin und Dresden) vor zusammen 170.000 Zuschauern.
Apropos Olymp: Dort ist er  jetzt final eingezogen – mit nur 70 Jahren. Aber für ihn galt eben auch, was Rainer Werner Fassbinder einmal gesagt hat: „Leben ist Fülle, nicht Länge.“ Wir danken Joe Cocker, dass er uns an seiner musikalischen Fülle partizipieren ließ.

Alfons Markuske

Lebenselixier

Es gibt Russland-Versteher, Russen-Versteher und schließlich jede Menge Beide-Nicht-Versteher. Wladimir Putin ist es gegeben, die beiden ersten Prädikate zu inkarnieren. Dass er, der schließlich längst per se Russland verkörpert, ein Rußland-Versteher ist, versteht sich. Dass er zugleich auch ein Russen-Versteher ist, hat er dieser Tage neuerlich und unschlagbar überzeugend dadurch belegt, dass er amtlich und öffentlich (was, so versteht sich, nicht immer identisch ist) eine Deckelung des Wodka-Preises gefordert hat und dies gewiss auch subtil zu realisieren wissen wird. Im Gegensatz zum Nicht-Russen-Versteher Gorbatschow, der, bevor er schlussendlich das Großrussische Reich hatte platzen lassen, es per mineralsekretärischem Ukas versucht war, in Russland den Spiritus-Verbrauch zu minimieren (ausgerechnet den Spirituosen-Verbrauch!!!), weiß Putin, wo bei seinen Untertanen der Spaß aufhört und der Unmut anfängt und setzt sich folgerichtig landesväterlich entsprechend für sie ein.
Wobei – ausschließlich Russisch ist das Alleinstellungsmerkmal der Promille-Versorgungssicherheitspolitik auch wieder nicht. Wer noch die landläufigen DDR-Kaufhallen der 19achtziger Jahre in Erinnerung hat, wird sich zu erinnern wissen, dass dort immer mal fehlende Versorgungsgüter der Nahrungsbranche rasch mal eben durch Haushaltswaren ersetzt wurden, um volle Regale zu visualisieren – die Fläche für Spirituosen und deren (überschaubare) Angebotsvielfalt wurde indes ebenso wenig angetastet wie Spottpreise für die schlichtesten aller Fusel – dem „Blauen Würger“ sei ehrendes Angedenken. Auch damals und dort wusste man: Beim Schnaps hört der Spaß im Volke auf.
Der große Unterschied zwischen Russland und (u.a.) der DDR war allerdings, dass das Volk der Reussen die staatliche Niedrigpreistreue in Sachen Schnaps (ersatzhalber auch Haarwasser etc.) wohl dankbarer honoriert als seinerzeit zwischen Oder und Elbe. Wer dort „das Volk“ ist, entscheidet sich vielleicht weniger auf der Straße als an Tresen und Wodka-Regalen.

HWK

Aphorismen

Eine Umarmung ist ein ideales Geschenk – die Größe passt allen, und niemand hat etwas dagegen, wenn man sie weitergibt.

John Ball

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Willst du die Menschen glücklich machen, so beschenke sie nicht, sondern nimm ihnen einige ihrer Wünsche.

Epikur

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Das Herz ist ein Gut, das man nicht verkaufen oder kaufen, sondern nur verschenken kann.

Gustave Flaubert 

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Glück ist kein Geschenk der Götter, es ist die Frucht einer inneren Einstellung.

Erich Fromm 

Fakten 1 – 10 Jahre Hartz IV

Laut Hans-Böckler-Stiftung haben seit 2005 über 15 (!) Millionen Menschen mindestens einmal das ALG II bezogen. Die Ängste vieler Bürger haben also eine sehr reale Basis. Im November 2014 empfingen rund 6,1 Millionen Bürger die „Stütze“. Und – gegen das übliche Klischee vom ungebildeten Hartz IV-Empfänger – fast jeder zehnte Langzeitbezieher von Hartz IV verfügte über einen höheren Schulabschluss oder eine akademische Ausbildung.
Der Soziologe Christoph Butterwegge charakterisierte in einem Interview mit Neues Deutschland Hartz IV als den Übergang  vom Sozialversicherungsstaat zum Almosen- und Suppenküchenstaat. Es sei ein Gesetz der Angst, das Deutschland in eine Gesellschaft der Angst verwandelt habe.

Fakten 2 – Deutsche Elite

Die WZB Mitteilungen vom Dezember enthalten einen interessanten Artikel des Soziologen Marcel Helbig. Er verweist darin unter anderem auf eine Studie über die deutsche Elite. Interessante Fakten, die wenig Aufsehen erregten. 2,8 Prozent aller Entscheidungsträger in Deutschland stammen aus Ostdeutschland. Bei gleichen Chancen sollte dieser Anteil eigentlich rund 17 Prozent betragen. In einzelnen Bereichen sehe es noch düsterer aus, konstatiert Helbig.
Anteil Ostdeutscher bei den Wirtschaftseliten: 0 Prozent, bei den Wirtschaftsverbänden 0 Prozent, in der Justiz 0 Prozent, im Militär 0 Prozent, in den Medien 0 Prozent, in den Gewerkschaften 0 Prozent. Sonstige Eliten 0 Prozent, Wissenschaft 2,5 Prozent, Verwaltung 4,3 Prozent. Einzig bei der Politik (13,8 Prozent) und – man höre – bei den Kirchen (16,7 Prozent) sind Ostdeutsche nur unwesentlich unterrepräsentiert.
Diese Zahlen sollte man bei den uns bevorstehenden Jubelfeiern anlässlich des 25. Jahrestages der deutschen Einheit auch im Hinterkopf haben…

mvh

Schneegida

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter machen sich Nutzer unter dem Hashtag #schneegida über Pegida lustig. Sie vergleichen den Wintereinbruch dabei mit der vermeintlich drohenden Islamisierung des Abendlandes.
Eine kleine Netzschau:

Ich habe nichts gegen Schnee, solang er sich an unser Klima anpasst und Regen ist. #schneegida — insa. oh insa. (@inschka) December 28, 2014

Die ersten Mitbürger wurden bereits von Schneebällen getroffen. Wehret den Anfängen! #schneegida — der Vossi (@derVossi_) December 28, 2014

Lese gerade bei der @dpa: „Schnee bleibt bis Neujahr“ — traut nicht dem, was die Lügenpresse so verbreitet. #schneegida — Daniel Fiene (@fiene) 28. Dezember 2014

„Wer betrügt, der fliegt!“ Recht hat er, der Schneehofer. #schneegida — Scheinvater (@Scheinvater) December 28, 2014

Ich bin gegen die Eislamisierung unserer Städte! #schneegida — Philipp Steuer (@philippsteuer) December 28, 2014

Dafür bin ich 89 nicht Schlitten gefahren! #schneegida — Marc Biskup (@marcbiskup) December 28, 2014

Am Anfang sind’s nur ein paar Flocken. Das geht ja noch. Aber irgendwann erkennst du dein eigenes Land nicht mehr wieder! #schneegida — Ηείκο (@prokrastinix) December 28, 2014

Einige meiner besten Freunde fahren in den Skiurlaub. Aber da gehört der Schnee eben auch hin, nicht vor meine Haustür. #schneegida — Torsten Beeck (@TorstenBeeck) December 28, 2014

Nur faul rumliegen und nichts Produktives tun. Total asozial! #schneegida — Umzugskernchen (@Apfelkernchen) December 28, 2014