von Waldemar Landsberger
Es wird das „Pegida“-Phänomen debattiert. Der Name ist maßlose Hochstapelei, er heißt: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Organisatoren sind überwiegend wohl eher unappetitliche Leute, die überwiegend aus dem „Nichts“ kamen. Das haben Volksbewegungen aber in aller Regel so an sich: Die Wortführer kommen von unten, nicht aus den gehobenen Schichten. Es sind auch nicht die bekannten Namen derer, die schon immer vorn oder oben standen. Politik und Medien sind hilflos, sich sozialwissenschaftlich informiert gebende Erklärungen überwiegend einfältig.
Bemerkenswert ist die Sache selber. An der „Pegida“-Demonstration in Dresden am 15. Dezember haben nach Polizeiangaben 15.000 Menschen teilgenommen. Polizeiangaben sind regelmäßig niedriger, als die der Veranstalter. Aber nehmen wir mal die 15.000 als bestätigt. Eine Woche vorher waren es 10.000, davor 6.500, im Oktober noch ein paar Hundert. Es nimmt zu. An der Dresdner-Gegendemonstration am 15. Dezember haben 5.600 Menschen teilgenommen, nicht einmal halb so viele, wie die Pegida-Leute.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat Pegida eine „Schande für Deutschland“ genannt. Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von „komischer Mischpoke“. Angela Merkel sagte, in Deutschland gelte zwar Demonstrationsfreiheit, aber es sei „kein Platz für Hetze und Verleumdung von Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.“ Jeder müsse aufpassen, „dass er nicht von den Initiatoren einer solchen Veranstaltung instrumentalisiert wird“. Für welche Veranstaltung gilt das eigentlich nicht? Die Dramaturgie der Pegida-Demonstrationen soll bewusst an ’89 angelehnt sein. Sie rufen: „Wir sind das Volk!“ Das meinen sie auch so. Es geht gewaltfrei zu. Der Berichterstatter im Tagesspiegel macht sich lustig, dass einer der Teilnehmer die Demonstration mit ’89 vergleicht. Der sagt, „der einzige Unterschied zu damals ist, dass die Polizei auf unserer Seite steht. Nur die Politik zeigt dasselbe Verhalten.“ Polemisch fragt der Reporter, ob der Mann denn „das Honecker-Regime mit der politischen Klasse der Demokratie gleichsetzen“ wolle. Jener antwortet: „Es ist kein Unterschied, ob man ‚Konterrevolution‘ sagt oder heute ‚komische Mischpoke‘.“
Der Kommentator der TAZ, Klaus Hillenbrand, zieht, wie auch viele sozialwissenschaftliche Betrachter, eine Parallele zwischen dem Antisemitismus im 20. Jahrhundert und „antiislamischen Vorstellungen“ heute (auch wenn er eine rhetorische Schleife zieht und vorgibt, solche Analogien würden sich verbieten). Tatsächlich zieht er sie, und damit werden diese Proteste ins Monströse vergrößert. Die abstrakte Parallelisierung von historischem Faschismus und heutigem Rechtspopulismus ist seit langem probates Mittel, um Alarmismus zu verbreiten, wo gelassene Problemanalyse gefragt ist. Es entspricht allerdings in beträchtlichem Maße dem linken Alltagsverstand. Zugleich enthebt es den so Schreibenden oder Redenden, sich mit den wirklichen Problemen der heutigen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Es folgt der Verweis auf die sogenannte gesellschaftliche Mitte, wobei die bürgerliche Annahme bestritten wird, diese könne nicht „rechtsradikal eingestellt“ sein – es wird stattdessen unterstellt, die Rechtsradikalität komme aus der Mitte der Gesellschaft.
Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt, vom „Pegida-Mob“ zu schreiben. Das tut der Jungle-World-Autor Ivo Bozic, der diesen dann gleich noch mit dem „Mahnwachen/Friedenswinter-Mob“ in einen Sack steckt und unterstellt: „Wir haben es mit einer originär völkischen Bewegung zu tun“. Die Argumentationsfigur geht dann so: „Die Fremden, von denen man der Meinung ist als Deutsche fremdbestimmt, ausgenommen und marginalisiert zu werden, sind wahlweise die Ausländer (Moslems / Islam/ Asylanten bei Pegida und Co.) oder das internationale Kapital und die USA (US-Banken / FED / Brüssel / Nato / Israel / Juden bei den Mahnwächtlern). Sie, das deutsche Volk jedenfalls, sind die Guten. Beide leben von Xenophobie. Und von Angst. Beide haben – und schüren – Angst vor Krieg. Die einen vor einem ‚Glaubens- und Stellvertreterkrieg auf deutschem Boden‘, die anderen vor einem Krieg mit Russland.“ Diese Denkfigur ist im Kern so blödsinnig, dass man sich damit nicht auseinandersetzen müsste, wenn sie nicht mit dem Anspruch daherkäme, sie sei links.
Zunächst: Bei der Kapitalkritik und der Kritik an Bankenherrschaft geht es nicht um die „guten Deutschen“, sondern um alle in der Welt, die unter dieser Kapitalherrschaft zu leiden haben. Insofern ist diese Kritik gerade nicht national, sondern internationalistisch und schließt die am deutschen Kapital ausdrücklich mit ein. Kritik an NATO und NATO-Kriegspolitik hat zum Ausgangspunkt den Kampf um den Frieden. Und der dient nicht nur den Deutschen, sondern allen. Die vom Westen heraufbeschworene Kriegsgefahr im Verhältnis zu Russland ist klar zu benennen und stellt für ganz Europa eine Gefahr dar – wenn der Westen die Eskalationsschraube weiter nach oben dreht für die Welt. Bozic‘ Geschreibsel folgt schlicht dem Motto: Ich nutze auch diese Gelegenheit (also Pegida), um die Linke madig zu machen.
Gleichwohl folgen Bozic, Özdemir und die TAZ einer vergleichbaren Vorstellung: Wenn für „gute Zwecke“ – was selbstredend die von ihnen vertretenen sind – demonstriert wird, sind die Demonstranten gute Demonstranten, Zivilgesellschaft, Bürgergesellschaft. So ist auch der „Wutbürger“ als positive Gestalt sozialwissenschaftlich entdeckt worden, als es gegen „Stuttgart 21“ und die dortige CDU ging. Jetzt ist der Wutbürger böse, weil er gegen „Islamisierung“ ist, nicht Bürgergesellschaft, sondern „Mob“.
Das aber ist wohl doch zu einfach. Auch die vielgestaltigen sozialwissenschaftlichen Spiegelfechtereien, die Leute seien nur frustriert, hätten Angst vor Armut, Abstieg und Statusverlust oder die Männer um ihre „Männlichkeit“ (angesichts der Macho-Typen aus dem Orient) greifen zu kurz. Es geht um die Art der Einwanderung. Eine gute Bekannte aus Berlin, rechter Umtriebe bisher unverdächtig, sagte das so: Warum wollen die hier so leben, wie bei sich zu Hause? Wenn ich nach Saudi-Arabien fahre, laufe ich dort doch auch nicht im Minirock herum und muss mir ein Kopftuch umbinden. Wenn ich in ein anderes Land komme, muss ich mich nach den Leuten dort richten, und kann nicht erwarten, dass die sich nach mir richten.
Vielleicht ist das die schlichte, alltagstaugliche Antwort auf die jetzt heiß diskutierte Frage nach den Gründen. Es ist nicht die Mehrheit der Menschen in diesem Lande „rechts“, sondern sie will weiter so leben, wie bisher und besser. (Für die Sachsen in Sachsen gilt das wohl besonders – deshalb dort die Demonstrationen.) In diesem Sinne haben die „Wir sind das Volk“-Rufe in Dresden 2014 durchaus mit denen von 1989 zu tun. Die Leute sind nicht so bürgerlich, wie es die Bürgerlichen gern hätten, und nicht so links, wie es die Linken wollen. Das Volk (und „Pöbel“ kommt wie Volk, „Peuple“ oder „People“ vom lateinischen populus) hat stets seinen eigenen Kopf. Warum sollte das für Merkel und Özdemir bequemer sein als für Honecker? Und die „Anti-Deutschen“ riefen damals: „Nie wieder Deutschland!“ Aber man muss ja nicht unter diesen schrecklichen Deutschen leben. Die Mauer ist weg!
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Schlagwörter: Demonstrationen, Linke, Pegida, Rechtspopulismus, Volksbewegungen, Waldemar Landsberger