von Ulrich Busch
Nicht nur der IWF und die EZB, auch die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Wirtschaftsforschungsinstitute haben in den letzten Wochen ihre Konjunkturprognosen für das laufende Jahr und für 2015 nach unten korrigiert. Und das nicht nur für Deutschland, sondern für die meisten Länder der Euro-Zone und der Europäischen Union. Es ist zu erwarten, dass einige Volkswirtschaften schon bald wieder rote Zahlen schreiben werden. Andere geraten dadurch in Gefahr, mit in den Abgrund gerissen zu werden, wenn der Abschwung eskaliert und sich flächendeckend ausbreitet.
Angesichts dieser sich immer stärker eintrübenden Zukunftsaussichten ist die Politik gefragt. Ihr obliegt es, solange noch Zeit ist, gegenzusteuern – wirtschaftspolitisch, geldpolitisch und finanzpolitisch.
Auf dem Gebiet der Geldpolitik ist, wie man weiß, schon viel passiert. Die Möglichkeiten der EZB, die Konjunktur durch niedrige Zinsen und die Schaffung von zusätzlicher Liquidität zu stützen, sind bereits so gut wie ausgeschöpft. Wirtschaftspolitisch wäre zwar noch einiges drin, hier blockiert die Politik sich aber selbst, indem sie strukturelle und prozessuale Eingriffe in die Wirtschaft ablehnt und an der Prämisse festhält, dass Wirtschaft in der Wirtschaft stattfindet und nicht in der Politik.
Was übrig bleibt, ist die Finanzpolitik. Sie hat die Möglichkeit, über Steuersenkungen, Subventionen, öffentliche Investitionen und so weiter die Nachfrageschwäche in der Wirtschaft auszugleichen und der Konjunktur fiskalische Impulse zu verleihen. Einzige Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft der öffentlichen Hand, sich zu verschulden, das heißt vorübergehend mehr Geld auszugeben, als sie einnimmt. Aber genau an diesem Punkte klemmt es gegenwärtig gewaltig, hier prallen die unterschiedlichen Standpunkte, Konzepte und Theorien aufeinander: An der Frage der Zunahme der Staatsverschuldung scheiden sich die Geister.
Nun ist hier nicht der Platz, das Für und Wider der Staatsverschuldung an sich zu diskutieren, wobei schon dies an unversöhnliche Gegensätze und Überzeugungen rühren würde. Was hier interessieren soll, ist vielmehr die Frage, warum von dem Instrument der öffentlichen Verschuldung derzeit so wenig Gebrauch gemacht wird und welche Folgen dies aller Voraussicht nach haben wird. Da ist zunächst einmal die Ausgangslage in den einzelnen Volkswirtschaften, welche, bezüglich des bereits aufgelaufenen Schuldenstandes, sehr unterschiedlich ist. Diese wird anhand der Schuldenquote gemessen, welche die Gesamtsumme der Staatsschulden ins Verhältnis setzt zur Wirtschaftsleistung eines Jahres, also zum Bruttoinlandsprodukt. Sie liegt in Japan extrem hoch, bei 240 Prozent; sie ist aber auch in Europa teilweise zu hoch: In Griechenland beträgt sie 175, in Italien 134, in Portugal 129, in Irland 117, in Frankreich 95 und in Spanien 92 Prozent.
Da der Maastricht-Vertrag hierfür eine Obergrenze von 60 Prozent vorsieht und alle nachfolgenden Vereinbarungen die schrittweise Rückführung der Verschuldung auf diesen Wert beinhalten, stellt eine weitere Zunahme der Verschuldung für diese Länder gegenwärtig keine Option dar. Bestenfalls ließe sich hier das Tempo der Zurückführung bremsen, was konjunkturpolitisch aber wenig bringt.
Anders stehen die Dinge jedoch in Deutschland. Hier beträgt die Schuldenquote derzeit 75 Prozent. Das ist zwar auch mehr, als der Maastricht-Vertrag vorsieht, aber deutlich weniger als in den oben genannten Ländern. Und, was für einen Vergleich wichtig ist, hier sinkt die Quote nicht nur dadurch, dass weniger Schulden gemacht werden, sondern auch infolge des für die Zukunft erwarteten Anstiegs des BIP. Dadurch wird es möglich, mit Hilfe neuer Schulden Wirtschaftswachstum zu generieren, so dass per Saldo nicht nur der Wohlstand weiter wächst, sondern zugleich die Schuldenquote sinkt. Zudem hätte eine solche Politik positive Effekte in anderen Ländern zur Folge, da Deutschland, um wirtschaftlich wachsen zu können, Importe von dort bezieht, wodurch deren Wachstum angekurbelt wird.
Warum nun aber ist dies graue Theorie und warum funktioniert die Praxis anders? Zum einen, weil die ökonomischen Zusammenhänge in der Realität komplizierter sind, als hier dargestellt, und sich nicht auf einen einfachen Mechanismus reduzieren lassen. Zum anderen aber auch, und deshalb wird heftig darüber gestritten, weil der deutsche Finanzminister im Bundeshaushalt für 2015 eine schwarze Null anstrebt, also explizit darauf verzichten will, mit Hilfe neuer Schulden die Konjunktur zu beleben. Dass es aus ökonomischer Sicht keine rationalen Gründe dafür gibt, im Vorfeld eines konjunkturellen Abschwungs einen ausgeglichenen Haushalt hinzulegen, dass dies vielmehr ein politischer „Fetisch“ ist, mit dem sich Wolfgang Schäuble ein Denkmal setzen will, darauf hat Stephan Wohanka im Blättchen 23/2014 hingewiesen. Und auch darauf, wie bitter nötig öffentlich finanzierte Investitionen in der Infrastruktur, im Bildungswesen, im Gesundheitswesen und in anderen Bereichen wären. Dem kann man nur zustimmen.
Mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts steuert die Bundesregierung konjunkturpolitisch in die Irre. So schön sich eine schwarze Null in guten Zeiten ausnimmt, in weniger guten wird sie zum schwarzen Fleck, umgeben von roten Zahlen. Und: Selbst wenn es in Deutschland gelänge, auf diesem Wege fiskalische Stabilität zu erlangen, ohne dass das Wachstum völlig einbricht, so wäre diese Vorgehensweise doch zutiefst unsolidarisch, da sie anderen Volkswirtschaften in Europa die Chance nimmt, über ein exportgestütztes Wachstum aus ihrer Schuldenkrise herauszukommen.
Die schwarze Null im Bundesetat ist also eine höchst zweifelhafte Zielsetzung: Misslingt ihre Umsetzung, weil die Wirtschaft in eine Rezession rutscht, so würde aus der schwarzen Null sehr schnell eine rote Zahl (größer als Null) werden. Gelingt sie aber, so wäre trotzdem kaum jemand wirklich froh darüber, da andere das Nachsehen hätten. Die Realisierung eines politischen Prestigeprojekts bar ökonomischer Vernunft würde einmal mehr niemanden glücklich machen – außer vielleicht einige Politiker.
Warten wir es ab. In einigen Monaten werden wir sehen, was dabei herauskommt – außer roten Zahlen.
Schlagwörter: Bundeshaushalt, Finanzen, rote Zahlen, schwarze Null, Ulrich Busch, Wachstum, Wirtschaft