17. Jahrgang | Nummer 26 | 22. Dezember 2014

Querbeet (XLVII)

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal Ehedrama in Leipzig, Lorbeeren in Berlin und Meissner Glöckchenklingeln in Dresden.

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Vor gut einem Jahr ist er angetreten: Als neuer Intendant am Leipziger Stadttheater. Der Posten gilt als Schleudersitz; anders gesagt, die Leipziger (einschließlich der Stadtväter) machen es ihrem Theater nicht leicht. Wollen sie doch, freilich für wenig Geld, ein möglichst weltweit strahlendes Haus (der 14-Millionen-Euro-Etat ist dafür nicht eben üppig). Doch soll es ein Glanz sein möglichst ohne Avantgardismus, aber bitte auch nicht hausbacken. Spektakulär schon, doch nicht allzu abgehoben. Man träumt von der eierlegenden Wollmilchsau, meckert beständig über die Eier, die Milch, die Wolle und geht dann doch lieber ins Gewandhaus statt ins Theater. Derlei aparte und auch ziemlich intrigante Zustände haben schon manchen Intendanten, ob nun betont konservativ oder moderat bis exzessiv avanciert, in die Verzweiflung und schließlich in die Flucht (oder behördliche Abberufung) getrieben.
Enrico Lübbe, der neue junge Herr des Leipziger Schauspielhauses, hockt also auf einem heißen Stuhl. Und dort tat er bislang das Nächstliegende und Richtige: Die Vernetzung mit anderen bedeutenden Kulturstätten der Stadt – so gab es bereits in der Zusammenarbeit mit Oper und Gewandhaus eine tolle „Dreigroschenoper“ sowie im Zoo eine „Dschungelbuch“-Inszenierung; dazu das Etablieren diverser Nebelspielstätten für Experimentelles bis hin zu Popkonzert- und Partybetrieb; die Aufstellung eines breit gefächerten Programms bezüglich der Inhalte, Autoren, Regisseure – ästhetische Vielfalt also. Motto: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. ‑ Stadttheater funktioniert nämlich nur als Theater für jedermann. Und siehe da: Lübbe bekam in seiner ersten Amtszeit ein enormes Besucherplus! Sein Einstand war gelungen. Der sympathisch kommunikative, meist gut gelaunte Lübbe avancierte im Handumdrehen zum Liebling Leipzigs. Bravo! Doch sein so zauberischer Anfang hatte halt auch mit Neugier auf den Neuen zu tun. Jetzt, in seiner zweiten Spielzeit, da werden die berüchtigten Mühen der Ebene quälen. Und schon beginnt das öffentliche Meckern…
So leid es mir tut und so sehr mir der Leipziger Spielbetrieb am Herzen liegt als Sachse und gebürtiger Dresdner, der dort ein sehr viel mehr begeisterungsfähiges Publikum gewohnt ist; und die Subventionen sind an der Elbe auch deutlich höher als an der Pleiße – ich muss die Stirn runzeln über „Zeiten des Aufruhrs“, der jüngsten Produktion von Enrico Lübbe.
Da hat man mit großem Aufwand um die Rechte für die Adaption des Romans von Richard Yates (1926-1992) gekämpft, auf der Bühne jedoch macht sich die Tragödie einer Mittelstands-Ehe, das Drama eines gescheiterten kleinbürgerlichen Auf- und Ausbruchs, eines Emanzipations- und Selbstfindungsversuchs im Amerika der 1950er Jahre überraschend wenig dramatisch. Brav wird da nur nacherzählt und nüchtern kommentiert. Immerhin, Lübbes Regie auf der großen weiten Leerbühne (Kammerspielformat wäre pässlicher) kann sich auf ein starkes Ensemble stützen. Und sonderlich auf die großartige Anja Schneider in der Hauptrolle als die in Tod und Verzweiflung endende Hausfrau April Wheeler.
Trotzdem, das packend Psychologische des Romans kommt in der betont epischen, eher distanzierten Erzählweise, die dem gemachen Aufblättern eines Buchs ähnelt, unter die Räder. Da wird viel von der Rampe weg ins Publikum gesprochen und nicht auf der Bühne miteinander gespielt; Rhetorik statt Aktion. Das nach wie vor Erregende der Romanvorlage, nämlich das mutige Aufbäumen gegen erniedrigende Daseinszustände sowie das langsame, teils selbstverschuldete Sterben einer großen Hoffnung, das alles bleibt in den vier länglichen Theaterstunden eher Behauptung. Man hätte also viel mehr von Richard Yates beim Schmökern allein zu Hause auf dem Sofa.
Schade, dass dieser groß gedachte Wurf mickrig endete. Dazu mein warnender Verweis an die gern so mauligen Leipziger: Wenn auch nicht jeder der Blütenträume reift, jagt nicht gleich wieder das – alles in allem – doch so leistungsfähige Schauspiel in den Orkus. Gelassenheit bleibt angesagt. Und für Neugier besteht weiterhin viel Anlass.

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Die Nation kennt ihn aus dem Fernsehen als Wessi-„Motzki“ mit verhasster Ost-Verwandtschaft. Die satirische Serie mit gesamtdeutschem Mega-Genörgel war Kult der 1990er Jahre. Da ist Jürgen Holtz für Theatergänger längst schon ein Begriff. Denn der 1932 in Berlin geborene Schauspieler zählt zu den ganz Großen seiner Zunft. Jetzt wurde er mit dem Konrad-Wolf-Preis für darstellende Kunst geehrt (5.000 Euro), den die Berliner Akademie der Künste jährlich vergibt auf Beschluss einer Jury, der diesmal Jutta Hoffmann, Jutta Wachowiak und Ulrich Matthes angehörten. Der Preis, benannt nach dem bedeutenden DDR-Filmregisseur („Solo Sunny“), wurde 1986 gestiftet von jenem Staat, an den der Geehrte übergroße und alsbald bitter enttäuschte Hoffnungen band und der ihn derart quälte, dass er ihn wutentbrannt verließ.
Zu Beginn des Festakts gab es das von Sarkasmus, Polemik und Weisheit durchzogene Filmporträt von Jürgen Knauf „Holtz. Gespräche um nichts und alles“. Es zeigt den grantlerischen Großkönner mit entsetzt aufgerissenen Augen, dem strengen, scheinbar alles hinterfragenden Blick und den traurig hängenden Wangen ‑ keine Heldenstatur! ‑ auf seiner Datsche. Dort plaudert er anekdotisch von Dresen, Gosch, Schleef bis Wilson, offenbart sich als toller Freizeitmaler, vollführt ein minimalistisches Tänzchen nach Beethoven-Musik und polemisiert gegen jedwede programmatisch zweckbestimmte Arbeit auf der Bühne. Motto: Raus aus der Darstellerei, rein ins freie, erfindungsreiche Spielen, ohne sich dabei jenseits des Textes zu verlieren. Schön schwierige Sache, doch der einzige Weg zur Kunst wahrhaftiger Menschendarstellung, sagt Holtz. Aber er kann’s!
Dann Übergabe des Preises nebst Blümchen. Und nun legt Holtz los mit der Danksagung. Es wird eine Brandrede gegen eine Gesellschaft, die sich an der „Quotenpornografie“ ergötzt und die gesellschaftsstiftende Rolle des Theaters als Verständigungsmittel kaputt spart. Dann Holtzens Schwierigkeiten mit den Kollegen Theaterleuten, ihrer Ignoranz des Publikums, ihrer sensationsheischenden Abgehobenheit. Dennoch sei das Theater nicht tot zu kriegen. Womöglich müsse es sich aber neu erfinden „als Ort magischer Belebung der Toten sowie der Worte der Dichter“. Stehende Ovationen für einen großen alten Herrn des Theaters, der sagt, wie es weiter gehen könnte mit diesem wundersamen, so erhellenden wie irritierenden Spiel der Schauspieler, die alles Herrliche des Lebens verschenkten. Aber alles Böse auch; auf dass der Zuschauer vor sich selbst erschrecke.

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Nach so viel großem und zuvor etwas kleinerem Theater ein Schauspiel der besonders pittoresk vorweihnachtlichen Art in Dresden. Ja, gemeint ist auch der weltberühmte Striezelmarkt, angeblich Deutschlands ältester Weihnachtsbudenzauber; heuer zum 580. Mal. Doch unweit von Altmarkt, Frauenkirche, Schlosshof steht der nicht weniger berühmte Zwinger. Diesmal sollte man ihn unbedingt beim Einbruch der Dunkelheit besuchen. Bietet sich doch in den Langgalerien beidseitig des Glockenspielpavillons ein Schauspiel der exotischen Extraklasse: Hinter den herrlich hohen Glasfenstern schimmert die sensationell arrangierte Porzellansammlung. Man kann sie zeitsparend besichtigen, und zwar von außen! Und dazu das ganz, ganz Besondere: einen Zoo! Nämlich die Sonderschau mit lauter fantastischen Tierplastiken in goldenen Volieren; dazu die animalischen Porzellanmalereien des Kennern in aller Welt bekannten Adam Friedrich von Löwenfinck (1714-1754). Köstlichst! Dazu das gelegentliche „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ der Meissner Bimmeln von oben. Sehr weihnachtlich. Oder mit Theodor Fontane auch ohne Schnee: „Weiß sind Türme, Dächer, Zweige, und das Jahr geht auf die Neige, und das schöne Fest ist da!“