17. Jahrgang | Nummer 22 | 27. Oktober 2014

Marx und das Geld

von Bernhard Mankwald

Im Umgang mit Geld war Karl Marx ein ausgewiesener, wenn auch nicht gerade erfolgreicher Praktiker. Seine Korrespondenz mit Friedrich Engels ist voll von Details über Zahlungen, die dieser an ihn leistete, und über deren Modalitäten. War Marx der raren Substanz dann aber endlich teilhaftig geworden, blieb ihm meist nichts, als den größten Teil gleich wieder seinen ebenso unermüdlichen Gläubigern zu opfern.
Für die theoretische Seite der Ökonomie dagegen hatte Marx eine ungleich glücklichere Hand. Was liegt da näher, als auch seinen Auffassungen über das Geld Aufmerksamkeit zu schenken, wie es Heerke Hummel im Blättchen angeregt hat? Und abgesehen von den damals eher seltenen Ländern mit Silberstandard war Geld für Marx zunächst einmal ausschließlich Gold.
Im Wirtschaftsleben nahm dieses Gold die normierte, staatlich garantierte Form von Münzen an. Besonders vertraut waren Marx die britischen „Sovereigns“, Pfundmünzen mit dem Bild des Herrschers, von denen eine Unze Gold nicht ganz vier Stück ergab. Kleinere Rechnungen wurden mit Silber- und Kupfermünzen beglichen; Marx bezeichnet diese trotz ihres erheblichen Materialwerts als bloße Marken, die denn nach dem Gesetz auch nur in beschränktem Umfang als Zahlungsmittel angenommen werden mussten.
Marx beschäftigte sich auch mit dem stets schwankenden Wertverhältnis der Münzmetalle Gold und Silber; alle Versuche, sie auf einen festen Kurs zu fixieren, hielt er für illusionär. Auf dem Weltmarkt hingegen fungierten nach seiner Auffassung beide Metalle gleichermaßen als Geld: „[…] wenn nationale Münzen, wie russische Imperialen, mexikanische Taler und englische Sovereigns im Ausland zirkulieren, wird ihr Titel gleichgültig und gilt nur ihr Gehalt.“ Wir werden sehen, dass dieser Begriff des „Weltgelds” sich auch auf die heutigen Zustände anwenden lässt.
Für all die verschiedenen Münzen war der Umlauf im wahrsten Sinne des Wortes ein aufreibendes Geschäft. Durch Abnutzung verringerte sich ihre Substanz nach und nach immer mehr; manche Münzen wurden aber auch „in den Händen gewissenloser Besitzer chirurgischen Operationen unterworfen, und künstlich an ihnen vollbracht, was der Umlauf selbst natürlich an ihren leichten Brüdern vollzog“. Das „überschüssige“ Material ließ sich dann recht gewinnbringend vermarkten. Ein gewisses Maß an Inflation liegt also in der Natur des Geldumlaufs selbst begründet, und Marx zeigte, dass die meisten Münznamen wie Mark, Lira, Pfund ursprünglich ein bestimmtes Quantum des wertvollen Metalls bezeichneten, ehe dieses auf einen oft sehr kleinen Bruchteil zusammenschrumpfte.
Das Problem der Abnutzung ließ sich lösen, indem man „Papierzettel“ ausgab, die einen Anspruch auf eine bestimmte Menge Gold verkörperten. Dabei konnte es leicht geschehen, dass mehr derartige Anweisungen ausgegeben wurden, als Gold vorhanden war. Nach Marx verkörperten sie dann auch nur noch einen entsprechenden Bruchteil des nominellen Wertes. Die Bedeutung der Geldmenge erkannte er also durchaus schon eine Weile vor den heutigen Monetaristen.
In Zeiten knapper Metallvorräte halfen sich die Staaten, indem sie „Papiergeld mit Zwangskurs“ ausgaben; in China etwa war es schon hunderte Jahre zuvor in Umlauf gekommen. In Kriegszeiten – etwa gegen Ende des 18. Jahrhunderts in England, Frankreich und den USA – wurde solches Geld oft ohne genügende Deckung in Umlauf gebracht. Aber solche „Geldfälschungen durch die Regierungen” waren nichts Neues; schon die spätrömischen Imperatoren, Wallenstein und Friedrich II. von Preußen hatten ihre Kriege mit minderwertigen Münzen finanziert.
Als also zu Beginn des Ersten. Weltkriegs Münzen aus Edelmetall aus dem Umlauf verschwanden und durch Papiergeld ersetzt wurden, war dies keinesfalls ein neues Phänomen. Innovativ war im 20. Jahrhundert nur die Praxis, diesem Zustand Permanenz zu verleihen und Anweisungen nur noch mit neuen Anweisungen zu bezahlen. Immerhin führte Winston Churchill in seiner Zeit als britischer Finanzminister den Goldstandard wieder ein; angesichts der verheerenden wirtschaftlichen Folgen ließ dieser sich aber nur für wenige Jahre halten.
Nur die USA, die durch ihre Wirtschaftskraft den Rest der Welt zu ihren Schuldnern gemacht hatten, konnten es sich leisten, am Goldstandard festzuhalten. Nach dem Zweiten. Weltkrieg wurde dieses System institutionalisiert: nicht gerade Privatleute, aber doch Notenbanken konnten ihre Dollars zum festen Kurs von 35 pro Unze in Gold umtauschen. Sie konnten damit ihren „Kunden“ einreden, ihre Banknoten seien auf dem Umweg über die Devisenbestände in Dollar weiterhin durch Gold abgesichert. Diese eher theoretische Möglichkeit bestand über Jahrzehnte; solange wie niemand ernsthaft praktisch davon Gebrauch machte.
Das änderte sich, als Charles de Gaulle begann, die absolute Vorherrschaft der USA eher durch Gesten als durch Taten in Frage zu stellen; dazu gehörte die Einlösung von Dollarbeständen, die sich daneben auch als recht profitables Geschäft darstellte. Vollends unhaltbar wurde das ruinöse Zahlungsversprechen der USA in der inflationären Phase der 60er und 70er Jahre.
Seitdem hat das Geld eine abstraktere Gestalt angenommen. Das „Weltgeld“ besteht weiterhin zu einem erheblichen Teil aus Gold, Silber und anderen Edelmetallen, die von den Zentralbanken in immensen Mengen gehortet werden. Erweitert man die Liste um andere geeignete Waren, bekommt man einen Begriff davon, welche Tauschwerte unsere heutigen Zahlungsmittel verkörpern. Ihr Wert ist nicht mehr an eine bestimmte Ware gebunden, drückt sich aber weiterhin in all den vielfältigen Waren aus, die dafür käuflich sind.
Und zu diesen Waren gehören selbstverständlich weiterhin auch Gold und Silber. Die Unze Gold etwa ist in Form recht ansehnlicher Münzen verschiedener Staaten erhältlich. Allerdings kommt man dafür nicht mehr mit dem früheren Einheitspreis aus, sondern kann je nach Tagespreis durchaus den vierzigfachen Betrag benötigen – zuzüglich Spesen und Steuern. Umgekehrt haben 35 Dollar noch immer ihr Äquivalent in Gold: bei einem derart hohen Preis sind es genau 0,775 Gramm. Daraus ließe sich eine Kugel mit einem Durchmesser von 4,2 Millimetern formen; als Requisit etwa für eine Aufführung des Märchens „Froschkönig“ wäre sie allerdings wohl auch für das winzigste Puppentheater zu klein.
Es ist daher kein Wunder, dass Gold endgültig aus dem alltäglichen Zahlungsverkehr verschwunden ist: Münzen, die sich nur noch unter dem Mikroskop erkennen lassen, wären vermutlich nicht unbedingt praxistauglich.