von Günter Hayn
Wahlabende haben inzwischen eine fast pornografische Komponente: Die Sieger zerren ihre Gattinnen zum Abküssen und für rührselige Danksagungen in das Kameralicht. Mediengeübte Ehemänner wie der linke Spitzenkandidat Bodo Ramelow geben noch eine Liebeserklärung ab. Außerdem scheint es ein Gesetz der Serie zu geben: Wo immer die Linke (beziehungsweise die PDS) sich einer Regierungsbeteiligung aussetzte, flog sie nach spätestens zwei Wahlperioden unter Verlust von gut der Hälfte ihrer Wählerschaft aus den Kabinetten und landete auf den harten Oppositionsbänken.
In Mecklenburg-Vorpommern startete 1998 das erste rot-rote Projekt. Die PDS erzielte 24,4 Prozent (264.299 Stimmen), 2002 sackte sie dramatisch ab auf 16,4 Prozent (159.065 Stimmen). 2006 verlor sie weitere 20.000 Wähler, landete aber bei 16,8 Prozent (137.253). Rot-Rot wäre mit einer Stimme Mehrheit im Landtag weiter möglich gewesen. Die SPD winkte ab. Ein ähnliches Fiasko erlebte die hauptstädtische Linke: Von 22,6 Prozent 2001 (366.292 Stimmen) stürzte sie fünf Jahre später auf 13,4 Prozent (185.185), um bei den Abgeordnetenhauswahlen 2011 mit FDP-reifen 11,7 Prozent (171.050) unsanft aufzuschlagen. 2006 durfte sie noch mit an den Senatstisch… Dasselbe passierte fast deckungsgleich in Brandenburg: 2009 fuhren die „richtig Roten“ (Eigenbezeichnung) 27,2 Prozent ein (377.112 Stimmen). Jetzt brachen sie mit 18,6 Prozent (183.172) dramatisch ein.
Man könnte das alles auf die Regierungsbeteiligung als „kleinerer Koalitionspartner“ schieben – eine der Lieblingsausreden der Partei-Wahlanalytiker – wenn nicht die sächsischen Wahlergebnisse eine ähnliche Sprache sprächen: 2009 erhielt die Linke im Freistaat 20,6 Prozent (370.359 Stimmen), 2014 rutschte sie auf 18.9 Prozent (309.581). In Thüringen wurde allerdings ein kleinerer Koalitionspartner, die SPD, richtig abgewatscht – was die Ausgangsthese zu bestätigen scheint. 2009 stimmten noch 195.363 (18,5 Prozent) Wählerinnen und Wähler aus dem „grünen Herzen Deutschlands“ für die Partei, 2014 waren es nur noch 116.889 (12,4 Prozent). Die SPD wurde hauptsächlich abgestraft, weil sie sich 2009 – die Wähler erwarteten rot-rot, mindestens rot-rot-grün; von der durch Dieter Althaus heruntergewirtschafteten CDU hatte man die Nase voll – den Christdemokraten andiente und sich zu deren Mehrheitsbeschafferin machte, um Bodo Ramelow zu verhindern. Der ZEIT-Autor Matthias Geis gebrauchte angesichts der Lage, in die sich die Partei manövriert hat, die Formulierung „Selbstverzwergung mit bundesweiter Ausstrahlung“. Damit nähern wir uns des Pudels Kern. Natürlich gibt es in Koalitionen stärkere und schwächere Partner. Die Frage ist nur, was treibt die an – und was treiben die dann im Amte… Es lohnt die Erinnerung an die Schweriner rot-roten Zeiten.
Harald Ringstorff (SPD) wollte eigentlich schon 1994 mit der PDS koalieren. Dazu kam es nicht, weil Parteichef Rudolf Scharping sich quer stellte. Ringstorff vertrat die Auffassung, man müsse die PDS – die sich in den 1990er Jahren eines kontinuierlichen Stimmenzuwachses erfreute und im Osten der Republik den Sozialdemokraten die Luft zum Atmen nahm – durch Einbeziehung „entzaubern“. Dies gelang ihm mit seinem ersten Kabinett. Schon die Koalitionsverhandlungen gingen für die von Helmut Holter geführte PDS kläglich aus. Substanzielle Forderungen bekam sie nicht durch, erhielt aber drei Ministerposten. Allerdings kein Schlüsselressort. Am Ende der Wahlperiode lag die Arbeitslosenquote in Mecklenburg-Vorpommern bei 20 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt sank kontinuierlich. Angelastet wurde dies dem Arbeitsminister, also Holter. Das SPD-geführte Wirtschaftsministerium wurde kaum hinterfragt. Die PDS hatte allerdings, um den Kahlschlag in der Arbeitsplatzförderung seitens der Bundesanstalt (42.000 Stellen!) wenigstens ansatzweise zu kompensieren, 5.000 Stellen in einem „öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ versprochen. Realisiert wurden 872. Aber auch dafür wurde Holter angegriffen und verspottet – so ließ er Langzeitarbeitslose Seegras an den Stränden zur Herstellung von Dämmmaterial einsammeln. Desaströser wirkte sich die Unterstützung der rot-roten Landesregierung für die Hartz-IV-Politik der Bundesregierung aus. Während die Bundes-PDS Sturm gegen Schröders „Agenda 2010“ lief, wurde in Mecklenburg-Vorpommern das bundesweit erste Durchführungsgesetz verabschiedet. Der Entwurf kam aus dem Hause Holter.
Vor den Wahlen 2002 führte dieser ein Pressegespräch mit internationalen Medienvertretern durch. Toralf Staud berichtete in der ZEIT darüber: „Als Erstes fällt Holter ein, dass keines der Krankenhäuser im Land geschlossen wurde. Am zweitwichtigsten ist ihm, dass der Umweltminister viele Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiete bei der EU meldete. Und dass das Land jetzt ein Moorschutzkonzept hat. Die PDS ist bescheiden geworden. […] Nach einer Weile fragt ein Schweizer: ‚Wo ist ihre Politik sozialistisch?’“
Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern wurde abgewählt, weil sie sich nicht nur in den Augen ihrer Wähler lediglich als Mehrheitsbeschafferin der SPD erwies. Dasselbe wiederholte sich 2001 bis 2011 in Berlin. Da verhalf die Partei einer heruntergewirtschafteten SPD auf die Füße. Dass diese derzeit dieses Pfund wieder verspielt ist ein anderes Thema. Die Linkspartei-Protagonisten der gescheiterten Berliner Koalition schmieden inzwischen wieder Pläne für eine Neuauflage dieser Nummer. In einem „Diskussionspapier“ lassen sich die Autoren zu einem folgenschweren Satz hinreißen: „Wenn wir auf Landesebene eine Machtoption haben wollen, sind wir auf eine Zusammenarbeit mit der SPD angewiesen.“ Glücklicherweise, ist man beinahe geneigt zu sagen, dümpelt die Linke in den Berliner Umfragewerten derzeit bei 14 Prozent herum.
Und Brandenburg? Als Absturzursache wurde von der Partei die Tumbheit der Wählerschaft genannt: Man habe es nicht hinreichend geschafft, die Erfolge der rot-roten Landespolitik und vor allem den Anteil der Linken daran zu vermitteln. In dieser gewohnten Interpretation – auch in Berlin beschwor man „Kommunikationsprobleme“ – leistete ihr jetzt der Potsdamer Verwaltungswissenschaftler Jochen Franzke Schützenhilfe: „Als Erfolge der LINKEN nennt er einen ausgeglichenen Haushalt, das Ende des Schuldenmachens und die Wirtschaftsentwicklung.“ So Wolfgang Hübner am 17. September in neues deutschland. Und weiter: „Das allerdings sind Stichworte, die ganz in der Nähe von Schuldenbremse und Sparplänen siedeln. Kernkompetenzen einer linken Partei sind eigentlich andere: soziale Gerechtigkeit etwa, Arbeitsmarktpolitik, öffentliche Daseinsvorsorge.“ Hübner spricht angesichts der hilflosen Erklärungen von „glattem Selbstbetrug“. Man muss auch in Brandenburg genauer hinsehen.
Während die Umweltpolitiker der Partei die Bürgerinitiativen gegen die CCS-Speicher-Technologien unterstützten, erklärte Wirtschaftsminister Ralf Christoffers der Märkischen Oderzeitung, dass Brandenburg „als Braunkohle-Land […] Hoffnungen in CCS“ setze. Mit der Gegenposition, dem hartnäckigen Widerstand gegen die CO2-Speicherung im Oderbruch, konnte der erzkonservative Hans-Georg von der Marwitz (CDU) 2013 der Linken Dagmar Enkelmann das lange als sicher geltende Direktmandat für den Bundestag abjagen. Der 2013er Stimmeneinbruch von sechs Prozent landesweit hätte der Linken ein Alarmsignal sein müssen. Statt dessen kippten ihre Minister in Sachen Ausbau des Tagebaues Welzow II um. „Die Glaubwürdigkeit der Linkspartei, die eigentlich für einen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2040 plädiert, hat gelitten“, kommentierte neues deutschland. Entsprechend sind die Ergebnisse in der Niederlausitz. Woanders sind es Großmastanlagen. Kein Wunder, dass „links“ gerade bei jungen Leuten nicht mehr punkten kann. „Die Politik gibt sich gar keine große Mühe zu behaupten, dass es für die Wähler am Sonntag um weitreichende Alternativen geht“, schrieb Uwe Kalbe am Wahlvortag im nd. „Selbst Ramelow wirbt mit dem Spruch, den schon Kanzlerkandidat Gerhard Schröder für sich nutzte – dass es nicht alles anders, aber einiges besser zu machen gelte.“ In Brandenburg durften erstmals junge Leute ab 16 mitwählen. Die wählten kaum extrem rechts, nur fünf Prozent gingen an die NPD. Allerdings fielen 20 Prozent ihrer Stimmen an die CDU, gefolgt von SPD und Grünen. Die Linke gewann nur 15 Prozent des „Wählernachwuchses“. Brandenburgs Justizminister Helmuth Markov erklärte der Märkischen Allgemeinen am 18. September: „Die Linke ist stabil. Daran gibt es keinen Zweifel.[…] Wir sind noch lange nicht am Ende.“ Es ist unklar, was er mit „stabil“ meint. 2007 hatte sein Landesverband 9.319 Mitglieder, Ende 2013 nur noch 7.171. Aber eine Konstante hat die Linke offenbar: Sie ist die einzige Partei, die nicht die Kraft aufbringt, gescheitertes Führungspersonal durch neue Leute zu ersetzen. Die radikalen Erneuerer der SED des Jahres 1989 sind alt geworden und klammern an ihren Stühlen. Das hat Folgen für den Politikstil der Partei und die Inhalte ihrer Politik.
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