17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

Ein für alle Mal!

von Uri Avnery, Tel Aviv

In diesem Krieg haben beide Seiten dasselbe Ziel: der Situation, die vor dem Krieg bestand, ein Ende zu machen. Ein für alle Mal!
Dem Raketenbeschuss nach Israel vom Gazastreifen her ein Ende zu machen. Ein für alle Mal.
Der Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten ein Ende. Ein für alle Mal.
Warum kommen die beiden Seiten nicht ohne ausländische Einmischung zu einander und stimmen in dem „wie du mir, so ich dir“ überein? Sie können nicht, weil sie nicht mit einander reden. Sie können einander töten, aber sie können nicht mit einander reden. Um Himmels willen nicht!
Das ist kein Krieg gegen Terror. Der Krieg als solcher ist ein Terrorakt. Keine Seite hat eine andere Strategie, als die zivile Bevölkerung der andern Seite zu terrorisieren.
Die palästinensischen Kampftruppen in Gaza versuchen, durch das Raketenwerfen auf israelische Städte und Dörfer ihren Willen durchzusetzen und hoffen, dass dies die Moral der Bevölkerung bricht und die israelische Regierung zwingt, die Blockade, die den Gazastreifen in ein Open-Air-Gefängnis verwandelt, aufzuheben.
Die israelische Armee bombardiert die Bevölkerung des Gazastreifens und zerstört ganze Stadtteile in der Hoffnung, dass die Bewohner (die, die überleben) die Hamas-Führung abschütteln.
Beide Hoffnungen sind natürlich töricht. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass die Terrorisierung einer Bevölkerung sie dahin bringt, sich hinter ihren Führern zu einigen und den Feind noch mehr zu hassen. Dies geschieht jetzt auf beiden Seiten.
Wenn man in einem Krieg über beide Seiten spricht, kann man kaum den Eindruck der Symmetrie vermeiden. Aber dieser Krieg ist von Symmetrie weit entfernt.
Israel hat eine der größten und wirksamsten Militärmaschinerien der Welt. Hamas und ihre lokalen Verbündeten kommen auf etwa ein paar Tausend Kämpfer. Wenn überhaupt.
Am besten kann man es mit der mythologischen Geschichte von David und Goliath vergleichen. Aber diesmal sind wir Goliath, und sie sind David.
Die Geschichte wird im Allgemeinen missverstanden. Es stimmt, Goliath war von riesiger Gestalt und David war ein kleiner Hirte. Aber Goliath war bewaffnet mit altmodischen Waffen – mit schwerer Rüstung, Schwert und Schild – und konnte sich kaum bewegen, während David eine moderne Überraschungswaffe hatte: die Schleuder, mit der er aus der Entfernung töten konnte.
Hamas hoffte, dasselbe mit seinen Raketen zu erreichen, deren Reichweite eine Überraschung war. Auch die Zahl und die Wirksamkeit ihrer Tunnel, die unter die israelische Grenze reichen. Doch dieses Mal war auch Goliath erfinderisch, und die „Eiserne Kuppel“-Raketenbatterien fingen praktisch alle Raketen aus Gaza ab. Sie hätten sonst die Bevölkerungszentren, einschließlich meines Tel Aviver Stadtviertels, schädigen können.
Jetzt wissen wir, dass keine Seite die andere Seite zur Kapitulation zwingen kann. Es ist ein Unentschieden. Warum also weiter töten und zerstören? Da liegt der Hase im Pfeffer. Wir können nicht mit einander reden. Wir benötigen einen Vermittler.
Eine Karikatur in Haaretz zeigte in dieser Woche, wie Israel und Hamas miteinander kämpfen und eine Schar Vermittler in einem Kreis um sie herumtanzen. Sie wollen alle vermitteln. Sie kämpfen mit einander, weil jeder von ihnen vermitteln will, wenn möglich alleine. Ägypten, Katar, die USA, die UN, die Türkei, Mahmoud Abbas, Tony Blair und andere mehr. Vermittler in Hülle und Fülle. Jeder will etwas von dem Elend des Krieges gewinnen. Eine traurige Bande. Beinahe alle von ihnen sind bemitleidenswert, einige von ihnen rundweg abstoßend.
Sehen wir uns Ägypten an: beherrscht von einem blutbefleckten militärischen Diktator. Er ist ein Fulltime-Kollaborateur von Israel, wie es Hosni Mubarak vor ihm war, nur wirkungsvoller. Da Israel alle Land- und Meergrenzen des Gazastreifens beherrscht, ist Ägyptens Grenze Gazas einzige Verbindung mit der Welt – falls sie geöffnet ist. Aber Ägypten, der frühere Führer der arabischen Welt, ist jetzt ein Subunternehmer Israels, noch entschiedener als Israel selbst, den Gazastreifen auszuhungern und die Hamas auszurotten. Das ägyptische Fernsehen ist voller „Journalisten“, die die Palästinenser in vulgärsten Tönen verfluchen und die vor ihrem neuen Pharao kriechen. Aber Ägypten besteht jetzt darauf, der einzige Makler der Feuerpause zu sein.
Der UN-Generalsekretär eilt durch die Welt. Er wurde für diesen Job von den USA gewählt, weil er nicht außergewöhnlich klug ist. Jetzt sieht er bemitleidenswert aus.
Aber nicht bemitleidenswerter als John Kerry, eine pathetische Figur, die hier- und dorthin fliegt, um jeden davon zu überzeugen, dass die USA noch immer Weltmacht ist. Vergangen sind die Tage, in denen Henry Kissinger die Führer Israels und der arabischen Länder kommandierte, was sie tun oder lassen sollten (Besonders sagte er ihnen, nicht miteinander, sondern nur mit ihm zu reden.)
Welches ist die genaue Rolle von Mahmoud Abbas? Offiziell ist er auch der Präsident des Gazastreifens. Aber er macht den Eindruck, als versuche er, zwischen der de facto Gaza-Regierung und der Welt zu vermitteln. Er ist viel näher an Tel Aviv denn an Gaza.
Und so geht die Liste weiter. Die lächerliche Figur Tony Blair. Die europäischen Außenminister versuchen eine Fotogelegenheit mit ihrem neo-faschistischen israelischen Kollegen zu bekommen. Alle zusammen eine widerliche Ansicht.
Ich möchte meiner Regierung und den Hamas-Führern zuschreien: Um Gottes willen, vergesst die ganze traurige Bande, redet mit einander!
Die palästinensischen Kampffähigkeiten überraschen jeden, besonders die israelische Armee. Statt jetzt um eine Waffenpause zu bitten, weigert sich Hamas, bis alle seine Forderungen erfüllt sind, während Benjamin Netanjahu eifrig zu sein scheint, den Krieg zu stoppen, bevor er noch tiefer im Gazaer Morast versinkt – ein Alptraum für die Armee.
Der letzte Krieg begann mit der Ermordung des Hamas-Militärkommandeurs Ahmad al-Jaabari. Sein Nachfolger ist ein alter Bekannter – Mohammed Deif, den Israel schon mehrfach versuchte, umzubringen, ihm aber nur schwere Verletzungen zufügte. Es scheint jetzt, dass er weit fähiger ist als sein Vorgänger – das Tunnelgewebe , die Produktion von viel wirksameren Raketen, die besser trainierten Kämpfer – all dies zeigt einen kompetenteren Führer.
(Dies geschah schon vorher. Wir ermordeten einen Hisbollah-Führer, Abbas al-Mussawi, und bekamen einen weit talentierteren: Hassan Nasrallah.)
Am Ende wird eine Art Feuerpause kommen. Es wird nicht „das Ende ein für alle Mal“ sein. Das ist niemals so.
Der Hass zwischen beiden Seiten ist gewachsen. Er wird bleiben.
Der Hass vieler Israelis auf Israels arabische Bürger ist beträchtlich gewachsen, und das kann lange Zeit nicht verbessert werden. Israels Demokratie hat einen harten Schlag bekommen. Neo-faschistische Gruppen, einmal am Rande, sind nun vom Mainstream akzeptiert worden. Einige Kabinettminister und Knesset-Mitglieder sind vollständige Faschisten geworden.
Sie werden jetzt von fast allen Weltführern anerkannt und wiederholen wie ein Papagei Netanyahus abgedroschene Propagandaslogans. Aber Millionen in aller Welt haben Tag für Tag die schrecklichen Bilder der Zerstörung und des Todes im Gazastreifen gesehen. Das wird nicht durch eine Feuerpause aus ihrem Gedächtnis verschwinden. Israels bereits unsichere Position in der Welt wird sogar noch tiefer sinken.
Innerhalb Israels selbst fühlen sich anständige Leute immer ungemütlicher. Ich habe viele Äußerungen von einfachen Leuten gehört, die plötzlich an Auswanderung denken.
Die schockierende Atmosphäre innerhalb des Landes, der schreckliche Konformismus all unserer Medien (mit einer leuchtenden Ausnahme – Haaretz), die Sicherheit, dass ein Krieg ständig auf den andern folgt – all dies führt junge Leute dazu, von einem ruhigen Leben mit ihren Familien in Los Angeles oder Berlin zu träumen.
In der arabischen Welt werden die Konsequenzen noch schlimmer sein. Zum ersten Mal waren fast alle arabischen Regierungen im Kampf gegen die Hamas auf Israels Seite. Für junge Araber überall ist dies ein Akt beschämender Demütigung. Der arabische Frühling war ein Aufstand gegen die korrupte, unterdrückerische und schamlose arabische Elite. Die Identifizierung mit dem Elend des verlassenen palästinensischen Volkes war ein Teil davon.
Was jetzt geschehen ist, ist vom Standpunkt der heutigen jungen Araber noch schlimmer, viel schlimmer. Die ägyptischen Generäle, die Saudi-Prinzen, Kuweits Emire und ihre Kollegen in der ganzen Region stehen nackt vor der jungen Generation und verachtenswert, während die Hamas-Kämpfer wie leuchtende Beispiele aussehen. Leider kann diese Reaktion zu einem noch radikaleren Islamismus führen.
Während ich in einer Anti-Kriegs-Demonstration in Tel Aviv stand, wurde ich von einem netten jungen Mann gefragt: „OK, nehmen wir an, dass dieser Krieg schlecht ist, was würden Sie um sechs Uhr nach diesem Krieg tun?“ (Das war der Name eines berühmten sowjetischen Films währen des 2. Weltkriegs.)
Nun, ich würde damit beginnen, alle Vermittler zu vertreiben, um direkt mit den Kämpfern auf beiden Seiten zu sprechen.
Ich wäre damit einverstanden, der Blockade des Gazastreifens zu Lande und zu Wasser sofort ein Ende zu bereiten und den Gazaern erlauben, einen bescheidenen Hafen und Flughafen zu bauen. Auf allen Straßen müssten wirksame Kontrollen dafür sorgen, dass keine Waffen hereinkommen.
Ich würde verlangen, dass die Hamas, nachdem sie internationale Garantien erhalten hat, in vernünftigen Zeitabschnitten alle Raketen entfernt und alle Tunnel unter der Grenze zerstört.
Ich würde sicher sofort alle Shalit-Austauschgefangenen freilassen, die zu Beginn dieser Krise wieder verhaftet worden waren. Eine übernommene Verpflichtung unter Druck bleibt eine Verpflichtung – von einer Regierung betrogen zu werden ist nicht schön.
Ich würde die palästinensische Einheitsregierung anerkennen und die Welt dazu aufrufen, sie anzuerkennen und nichts zu tun, sie daran zu hindern, palästinensische Präsidenten und ein Parlament frei zu wählen – unter internationaler Aufsicht. Ich würde die Ergebnisse respektieren, egal wie sie ausfallen.
Ich würde sofort mit ehrenhaften Friedensverhandlungen mit der vereinten Palästinensischen Führung anfangen, und zwar auf der Grundlage der all-arabischen Friedensinitiative. Jetzt, wo so viele arabische Regierungen Israel zustimmen, scheint es eine einmalige Chance für eine Friedensinitiative zu geben.
Kurz gesagt: Macht ein Ende mit dem Krieg.
Ein für alle Mal.