17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

Altmeisterlich im Hier und Heute

von Alfons Markuske

Wen die seit langem allseits evidente sinnentleerte Beliebigkeit eines Großteils der modernen Malerei des Westens – ein Kollateralschaden des nun schon Jahrzehnte vorherrschenden Dogmas der Abstraktion und einer selbst unter Künstlern wie auch im Kulturbetrieb weit verbreiteten Geringschätzung des malerischen Handwerks – anödet, der mache sich jetzt rasch auf nach Rostock.
Die dortige Kunsthalle – durch Bürgerengagement vor der kommunal bereits beschlossenen Schließung bewahrt – zeigt mit „Werner Tübke – Michael Triegel: Zwei Meister aus Leipzig“ einen opulenten Querschnitt aus dem Œuvre der beiden Ausnahmekünstler, deren altmeisterliches Können den Vergleich mit den Großen der italienischen und der deutschen Renaissance offen herausfordert – und nicht zu scheuen braucht.
Für Triegel, der seine Bilder souverän im Stile Albrecht Dürers zu signieren pflegt, bietet die jetzige Ausstellung zwei besonders beeindruckende Belege für diese Bewertung. Da ist zum einen sein „Stillleben mit Ente (für Dürer)“ und zum anderen das Gemälde „Anthropisches Prinzip (Ecce Homo)“, auf dem der geschundene Leib des vom Kreuz genommenen Christus – horizontal über das gesamte unteren Ende des Bildes hingebreitet wie für die Predella eines Altars – dargestellt ist, als hätte Matthias Grünewald dem Maler den Pinsel geführt.
Im Katalog zu dieser Ausstellung, der der Exposition in Tiefgang und Opulenz nicht nachsteht, würdigt Eduard Beaucamp, bis 1992 der Kunstkritiker der FAZ und seit vielen Jahren auch intellektueller Begleiter des Werkes von Michael Triegel, Tübkes solitäre künstlerische Stellung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Werner Tübkes Werk hebt sich aus dem Panorama der europäischen Nachkriegskunst durch beispiellose Extravaganz heraus.“ Seine „wohl größte Leistung ist die Wiedergewinnung einer komplexen Ikonografie“. Die aber war, wäre zu ergänzen, vor allem bei zahlreichen, eine unfigürliche Moderne und später Postmoderne zelebrierenden Kollegen westlich des Eisernen Vorhangs verloren gegangen. Tübkes Kollegen der Leipziger Schule etwa (Heisig, Mattheuer, Hachulla, Rink und anderen) sowie nicht zuletzt Willy Sitte, um nur einige wichtige Vertreter der figürlichen Malerei der DDR zu nennen, verfügten und verfügen durchaus über vergleichbar anspruchsvolle Ikonografien.
Dass Tübke immer noch durch „die kunstkritische Literatur […] fälschlicherweise als Akademiker, als Traditionalist, Eklektiker oder Historienmaler [geistert]“, weist Beaucamp zu Recht nachdrücklich zurück, denn Tübke war keineswegs aus der Zeit gefallen, sondern sein gesamtes Schaffensleben lang ein wacher Beobachter und kritischer Kommentator derselben – bis hin zu seinem alle Rahmen sprengenden opus magnum, dem Bauernkriegspanorama auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen.
Ganz Ähnliches gilt für Michael Triegel, der sich vor einigen Jahren einmal in einem kleinen Essay zu seiner künstlerischen Arbeit geäußert hat, insbesondere auch zu Aspekten der Form beziehungsweise Methode sowie der Herangehensweise an die Findung von Inhalten. Darin zwei Bekenntnisse. Zunächst dieses: „Ich bin überzeugt, dass die technische Arbeitsmethode eines Künstlers kein Zufall ist und Aufschluss über sein Denken und Fühlen, sein Verhältnis zu Welt und Menschen geben kann.“ Und dann dieses: „Der Künstler […] singt im Flusse der Zeit, er kündet von Vergänglichkeit, von seinem und anderer Leben, selbst von den Toten […]. Indem er sich und die Menschen, von denen er singt, seine Welt dem Vergessen entreißt und die Erinnerung bewahrt, erreicht er über den leiblichen Tod hinaus eine Art Auferstehung, die keine des Fleisches sein muss. Er sublimiert Schmerz und Krankheit, Verlust und Todesfurcht und spricht so von der Fülle des Lebens aus seiner Liebe heraus. Das mag wohl mein credo sein.“
Dieser Essay ist auch im jetzigen Ausstellungskatalog enthalten – ergänzt um eine Nachschrift, in der der Maler uns – gemeint sind hier nicht die hoch gelehrten Fachleute, sondern das interessierte breitere, in Sachen Ikonografie gleichwohl nicht unbedingt sattelfeste Publikum – eine Handreichung zum Verständnis seines Denkens, seiner Weltsicht und von deren gestalterischer Umsetzung mit den künstlerischen Mitteln der Malerei der Renaissance gibt: „Auf meinem 2013 gemalten Bild Deus absconditus […] ist eine Rumpelkammer der Geschichte zu sehen, eine tote Bühne der Kunst vor der Dunkelheit eines ewigen Nichts. Die Schwärze und Leere des Hintergrunds wird zugestellt mit Dingen und Bedeutungen: ein Abendmahlstisch, doch ohne versammelte Gemeinde; ein Zettel mit dem abstrakten Erklärungsversuch der dreieinigen Gottheit – doch verbirgt gerade dieser Zettel die Präsenz der Wunden des Erlösers; auch Christi Auferstehung ist nur noch Symbol – eine in einem kippenden Holzkasten eingesargte gotische Holzskulptur, kostbar zwar, doch tot. Das Menschliche ist aus den prunkenden Gewändern gewichen; die Schreibmaschine der Marke Ideal produziert keine Texte mehr; das Leben ist geopfert und die Überbleibsel dieser Schlachtung stehen im Pappkarton unter dem Tisch. Während sich der Horror vacui bemüht, die saugende Leere zu füllen und zu überblenden, verstellt er gerade dadurch den Blick auf das Zentrum des Bildes. So scheint mir das Gemälde kritische Selbstbefragung und Kritikversuch an der gegenwärtigen Gesellschaft gleichermaßen. Werden wir nicht täglich versucht, durch die Produktion, die Anhäufung, den Konsum von Dingen eine innere Leere zu füllen? Indem wir diese Leere mit Gegenständen verstellen, erzeugen wir eine Enge, die uns unbeweglich macht. Archimedes lehrt, dass da, wo ein Körper ist, kein zweiter sein kann. Heute lernen wir, dass durch die Übermacht toter Dinge kein Raum bleibt für die immateriellen Werte der Menschlichkeit.“
Dem Kurator Richard Hüttel ist mit diesem Doppelporträt eine Ausstellung gelungen, zu deren Charakterisierung ein Wort genügt – allerdings nicht das noch zum Aufblasen des flachsten Events geeignete, alleweil zu hörenden Highlight, sondern das ebenso umfassende wie seltene einmalig.

„Werner Tübke – Michael Triegel: Zwei Meister aus Leipzig“. Kunsthalle Rostock (Hamburger Straße 40, 18069 Rostock); bis 14. September 2014; Dienstag – Sonntag 11 – 18 Uhr (Donnerstag bis 20 Uhr); Eintritt: 8,00 Euro, ermäßigt 6,00 Euro.
Katalog – Richard Hüttel (Herausgeber): Werner Tübke. Michael Triegel. Zwei Meister aus Leipzig, Hirmer Verlag GmbH, München 2014, 192 Seiten, 34,90 Euro.
Vom 24. Januar bis 19. April wird die Ausstellung in der Kunsthalle Jesuitenklirche in Aschaffenburg zu sehen sein.