17. Jahrgang | Nummer 12 | 9. Juni 2014

NSA-Ermittlungen vergeblich, aber sinnvoll

von Christian Bommarius

Das ist ein Zeichen, nicht mehr, nicht weniger. Der Generalbundesanwalt wird nun doch ein Ermittlungsverfahren zumindest zum Lauschangriff des US-Geheimdienstes NSA auf das Handy der Bundeskanzlerin einleiten. Das ist einerseits selbstverständlich aussichtslos, andererseits – mit einem Wort Angela Merkels – „alternativlos“.
Es ist aussichtslos, weil die Bundesanwälte bei ihren Ermittlungen – wie schon bisher – auf eine Wand des Schweigens stoßen werden, die die US-Regierung um den gesamten Komplex der NSA-Spionage errichtet hat. Verglichen mit den Bemühungen der deutschen Ermittler, nun Licht ins Dunkel der Spionage-Aktion zu bringen, war die ewig vergebliche Arbeit des Sisyphos eine Manifestation der Effizienz.
Das war der Grund, weshalb der Generalbundesanwalt bisher zögerte, die „Vorermittlungen“ in ein Ermittlungsverfahren münden zu lassen und weshalb er es jetzt nur zum Lauschangriff gegen Merkel eröffnet, nicht hingegen zu den ungleich schwerer wiegenden millionenfachen, systematischen Spähaktionen gegen die Bundesbürger: Warum sich mit der US-Regierung anlegen, wenn von Anfang an feststeht, dass keine Frage beantwortet, kein Dokument geöffnet, kein möglicher Täter ermittelt wird?
Die Antwort lautet: Weil ein Rechtsstaat, der es widerspruchslos hinnimmt, dass die Bundeskanzlerin, dass seine Bürger von einer fremden Macht ausgespäht werden, sich selbst preisgibt. Der demokratische Rechtsstaat dankt ab, wenn er der Totalerfassung aller Kommunikationsteilnehmer, die seine Substanz nicht nur verletzt, sondern vernichtet, wort- und tatenlos zusieht.
Natürlich werden die Karlsruher Ermittler keine Anklage gegen einen verantwortlichen Mitarbeiter der NSA erheben, noch weniger gegen den Chef der Behörde, schon gar nicht gegen ein Mitglied der US-Regierung. Doch werden sie nicht mit leeren Händen dastehen. Denn je weniger sie am Ende vorzuweisen haben, desto deutlicher sollte das Bedrohliche ins Bewusstsein treten. Nichts kann es klarer artikulieren als das beredte Schweigen der US-Regierung. Das macht das Ermittlungsverfahren „alternativlos“.
Es ist naiv, vom Generalbundesanwalt die Aufklärung auch nur eines Details der NSA-Spionage zu erwarten. Aber es wäre unverantwortlich, es nicht zu tun. Denn wenn die Justiz der Totalüberwachung mit demselben Desinteresse begegnet wie die Bundesregierung, wenn sie die Totalüberwachung der Bürger genauso achselzuckend registriert, die Ausschaltung der Grundrechte auf Kommunikationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung kommentarlos zur Kenntnis nimmt, ist das Grundgesetz das Papier nicht mehr wert, auf das es geschrieben ist.
Denn das ist der Skandal neben dem sogenannten NSA-Skandal – die provozierende Untätigkeit der Bundesregierung, die nichts zum Schutz der Bürger unternimmt.
Soweit bekannt, ist die Bundesrepublik das am stärksten überwachte Land der Europäischen Union. Es wird überwacht durch US-amerikanische, britische und etliche andere ausländische Geheimdienste, es wird überwacht durch die informationelle Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit westlichen Geheimdiensten und es wird überwacht durch die Totalausforschung der Telekommunikation, die US- und britische Geheimdienste rund um den Globus betreiben mit Hilfe der Glasfaser-, Unterseekabel- und Satelliten- Infrastruktur, von Software-Sicherheitslücken und der Nutzerdaten der Internetkonzerne.
Zur Realität der Überwachungsgesellschaft gehört, dass die Kontrolleure der Gesellschaft keine Kontrolle befürchten müssen. Wären Bundesregierung und Regierungsfraktionen nur im Geringsten am Datenschutz, also am Schutz der Menschenwürde der Bürger interessiert, würden sie mit der Kontrolle der Kontrolleure beginnen: Sie würden die Kompetenzen des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Arbeit der deutschen Nachrichtendienste überwachen soll, erheblich erweitern und seine personelle Ausstattung verbessern, und sie würden den – 1968 mit der „Notstandgesetzgebung abgeschafften – Rechtsweg für Betroffene von Überwachungen ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs wieder uneingeschränkt garantieren.
Und was den Schutz der Bürger vor Ausforschung durch die US- und britischen Geheimdienste betrifft, wäre ein erster Schritt die Offenlegung aller vertraglichen Vereinbarungen mit den westlichen Siegermächten, die das Ausspähen bisher ermöglichen. Ohne das ist das Verfahren des Generalbundesanwalts nur ein Zeichen der Ohnmacht.

Aus: Berliner Zeitung, 04.06.2014. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.