von Erhard Crome
Der präsumtuose Friedensnobelpreisträger Barack Obama hat in Den Haag getönt, Putin solle für die Krim bezahlen. Ist er jetzt Grundstücksmakler? War die Ukraine, so auch die Krim, auf die USA bereits grundbuchlich eingetragen? Er meint das drohend in einem übertragenden Sinne und spricht, als vertrete er die „Weltgemeinschaft“. Als solche sieht sich der Westen ja immer wieder gern. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. März heißt es, der Westen wolle Russland „weiter isolieren“. Das sei der Sinn der Veranstaltung des „G 7-Gipfels“ in Den Haag gewesen. Damit ist diese „Weltgemeinschaft“ schon sehr deutlich kleiner geworden – bezieht man China, Indien, die ASEAN-Staaten, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Südafrika, Iran oder Ägypten in eine Betrachtung der großen weiten Welt mit ein. „G 7“ ist nur noch ein –wenngleich folgenreicher – Akteur in den internationalen Beziehungen in diesem denkwürdigen Jahr 2014.
Der Friedensnobelpreisträger hat dann noch grinsend hinzugefügt, Russland sei „eine Regionalmacht, die einige ihrer direkten Nachbarn bedroht – nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche“. Dies war als eine weitere verbale Demütigung Russlands gemeint, im Gefolge all des Hohns, den der Westen seit der vermeintlichen Niederlage der Sowjetunion über Russland ausgeschüttet hat. Russland hatte aber keinen Krieg verloren, sondern Gorbatschow hatte eine andere, friedliche Welt gewollt und gewähnt, der Kampf der Systeme im Kalten Krieg sei die Ursache gewesen, und der Westen würde an einer solchen Welt mitwirken wollen. Tatsächlich hat dieser seinen „Sieg“ zelebriert, und die spätestens seit dem Krimkrieg (1853-56) praktizierte antirussische Ausrichtung der Politik der Westmächte feierte fröhliche Urständ. Alle ausgestreckten Hände aus Moskau wurden zurückgewiesen; so auch, als die russische Regierung Ende der 1990er Jahre im Falle Jugoslawiens zum Zwecke der Friedenserhaltung vermitteln wollte. So war in Moskau dann analytisch klar, dass der Westen immer nur dem russischen Bären einen Ring durch die Nase ziehen wollte. Es hatte nicht an der Mütze mit dem Roten Stern gelegen, die er siebzig Jahre lang auf dem Kopf hatte, es ging gegen den Bären.
Aber war das der angeblich so nette, vermittlungsbereite Präsident Obama, der da gesprochen hatte? Oder war es eher Zbigniew Brzezinski, einer der einflussreichsten außenpolitischen Vordenker des US-Imperialismus seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der durch ihn sprach? Als Obama in den Präsidentschaftswahlkämpfen 1998 plötzlich und unerwartet aufgetaucht war und zu einer nationalen, dann internationalen Größe wurde, hatte es in eher kritischen, linken Medien in den USA kurzzeitig einige Hinweise gegeben, Obama hätte auch bei Brzezinski ein paar Semester gehört und sei von diesem und seinen Netzwerken dann für die höheren politischen Weihen ausersehen worden. Auf den ersten Listen der Berater des Präsidentschaftskandidaten von 1998 stand denn auch sein Name. Von Brzezinski stammte bereits Mitte der 1990er Jahre die Position, die Abtrennung der Ukraine von Russland sei Bedingung dafür, dass Russland keine große Macht mehr sein könne. Das schwingt mit, wenn Obama sagt, „Russland ist eine Regionalmacht“ – und auch der Hochmut des polnischen Adligen, sein Berater gehört zur weitverzweigten Familie der von Spiczak Brzeziński, deren Ahnen schon gegen den Deutschen Orden fochten, gegenüber den Russen.
Weiter hatte Obama festzustellen beliebt: „Wir haben beachtlichen Einfluss auf unsere Nachbarn. Üblicherweise müssen wir bei ihnen nicht einmarschieren, um eng mit ihnen zusammenzuarbeiten.“ Diesen Einfluss mussten die USA sich auch erst „erwerben“: Texas wurde 1845 annektiert, mit dem Krieg gegen Mexiko (1846-48) kamen Kalifornien, Arizona, New Mexico, Utah, Nevada und ein Teil von Colorado und Wyoming hinzu. Seither haben die USA in den Nachbarländern Mexiko und Kanada tatsächlich Einfluss, ohne einzumarschieren. Das aber taten sie allein in diesem 21. Jahrhundert in Afghanistan, Irak, und Libyen; gegen Iran und Syrien hatten sie es angedroht. Ob das ihren Einfluss dort vergrößert hat, darf aber bezweifelt werden.
Insofern ist diese Aussage von Obama sachlich einfach falsch, erlogen, auf die Vergesslichkeit der Öffentlichkeit gemünzt. Danach folgte der Satz: „Die Tatsache, dass Russland unter Verletzung internationalen Rechts militärisch eingriff, zeigt, dass es weniger und nicht mehr Einfluss hat.“ Grundlage der Aufnahme der Krim in die Russische Föderation ist nicht das Militär, sondern das Ergebnis des dortigen Referendums am 16. März 2014 und das war sehr eindeutig: 93 Prozent für den Beitritt bei 75 Prozent Wahlbeteiligung. (Dass das völkerrechtlich „irrelevant“ sei, wäre nach den zu erwartenden Referenden in Katalonien, Schottland und Quebec weiter zu diskutieren.) Militär jedoch hat Russland patrouillierend eingesetzt, um den friedlichen Verlauf des Referendums und die im Wesentlichen friedliche Übergabe der Halbinsel abzustützen.
Gefährlich aber wird es, wenn man Obamas Aussagen als Lageeinschätzung nimmt. Russland war unter Jelzin tatsächlich schwach und wurde vom Westen in der internationalen Politik ignoriert. Seit Putins Machtübernahme ist es wieder gestärkt, auch militärisch. Die Tatsache, dass die USA und die NATO ein militärisches Vorgehen des Westens gegen Russland von vornherein ausschlossen, hängt selbstverständlich mit dem fortbestehenden nuklear-strategischen Patt zusammen. Stattdessen wurde ständig von Sanktionen geredet. Das meint die Wendung vom „Bezahlen“: „Wenn Russland nicht klein beigibt, werden eine zweite und dritte Stufe der Sanktionen folgen…“ Russland antwortete mit Gegenschritten, in der Diplomatie „Retorsionsmaßnahmen“ genannt, da war schon die Zarenregierung Meister. Die Sowjetregierung hat sie ebenfalls stets gepflegt: Du weist einen Diplomaten von mir aus, ich weise zwei von dir aus; du setzt zwölf hochrangige Politiker meines Landes auf eine Liste von Einreiseverboten und Kontensperrung, ich setze zwölf hochrangige Politiker deines Landes auf eine solche Liste. Sowohl führende Politiker in Moskau wie in Washington erklärten sich jeweils „stolz“, auf der Liste der Gegenseite zu stehen. Außer symbolischer Politik nichts gewesen.
Am Donnerstag, dem 20. März, schien sich die Eskalation weiter hochzuschrauben. Kanzlerin Merkel führte im Deutschen Bundestag das harte Wort, um anschließend nach Brüssel zum EU-Gipfel zu fahren. Mit der dritten Stufe sollten härtere Wirtschaftssanktionen gegen Russland folgen. Aus Moskau verlautete derweil, man müsse darüber nachdenken, ob Russland sich wie bisher an den Verhandlungen der Sechs (Ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates plus Deutschland) mit dem Iran beteiligen könne. Außerdem hieß es, es werde geprüft, U-Boote einer größeren Klasse, atomgetrieben und mit Raketen bestückt, an China zu liefern. Diesem Wunsch der Volksrepublik sei Russland bisher aus Rücksichtnahme auf den Westen nicht nachgekommen. Zugleich wurden Agenturmeldungen verbreitet, es lägen Erkenntnisse vor, Alexei Nawalny – der derzeitige Favorit westlicher Oppositionsförderung in Russland – stünde auf einer CIA-Gehaltsliste. Damit hatte Russland gedroht, den Konflikt mit dem Westen von der Krim zu lösen, ihn nicht länger lokalisiert zu lassen, sondern ihn auf Bereiche auszudehnen, die den Westen treffen, und ihn in der Tendenz zu globalisieren. Und zugleich im Innern eine härtere Gangart einzulegen.
Andererseits hatte es vor dem EU-Gipfel Informationen gegeben, dass Bulgarien nicht an Wirtschaftssanktionen gegen Russland teilnehmen werde (nebenbei gesagt, hatte sich Bulgarien, obwohl mit Hitlerdeutschland verbündet, auch im Zweiten Weltkrieg nicht am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt). Auch die tschechische Regierung verbreitete verdruckst, dass dies dem Lande schwerfallen werde. Am Freitag teilte Frau Merkel dann frohgemut mit, es werde keine weiteren Sanktionen geben, solange Russland die Ukraine in ihrem Bestand (ohne die Krim) unangetastet lasse, und es sei schön, dass die EU so einheitlich agiere. Damit war die Eskalationsdynamik angehalten.
Und Obamas Redereien von Regional- und anderen Mächten, von Stärke und Schwäche sind das Pfeifen im Walde einer absteigenden Weltmacht, deren Führung der einheimischen Bevölkerung weismachen will, alles sei in alter Pracht und Herrlichkeit. Das einzig Beruhigende dabei ist: Die Vorbereitung des Großen Krieges sieht anders aus. Wenn man den Weg der „Schlafwandler“ von 1914 vom 28. Juni (Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand) bis zum 1. August (Kriegserklärung Deutschlands an Russland) zum Maßstab nimmt, waren die des Jahres 2014 jetzt ungefähr bis zum 10. Juli gekommen. Dann haben sie innegehalten und sind ein Stückweit wieder zurückgewandelt.
Allerdings: Sollte es, wie auch von den bürgerlichen Medien hierzulande inzwischen befürchtet, nun zu einem Bürgerkrieg in der Ukraine kommen, stellen sich die Fragen der Einwirkung der äußeren Mächte neu. Werden sie zu der Fähigkeit finden, bei der Stabilisierung der Lage zu kooperieren? Oder werden sich neue Widersprüche eines internationalen Konflikts aufschichten?
Schlagwörter: Erhard Crome, Krieg, Krim, Obama, Russland