17. Jahrgang | Nummer 1 | 6. Januar 2014

Iran-Schwenk

von Peter Petras

Die US-Regierung verändert ihre Iran-Politik offenbar nachhaltig. Zeigte Präsident Obama schon beim Libyen-Krieg nur wenig Eifer, dem Drängen Großbritanniens und Frankreichs zu folgen, so sagte er den angekündigten Krieg gegen Syrien am Ende ab, nachdem Russland in Gestalt der Vereinbarung über Chemiewaffen eine gesichtswahrende Operation angeboten hatte. Blieb in der unruhigen Großregion des Nahen und Mittleren Ostens immer noch das Problem Iran.
Mit dem hatten die USA seit dem Sturz von Schah Mohammad Reza Pahlavi 1979 eine Rechnung offen. Die iranische Revolutionsregierung forderte 1979 die Auslieferung des geflüchteten Pahlavi, die Rückgabe der von diesem illegal ins Ausland verbrachten über 56 Milliarden US-Dollar und seine Bestrafung für die begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Auch sollte die Rolle der US-Botschaft in Teheran bei dem Putsch gegen die Regierung Mossadegh im Jahre 1953 untersucht werden. Die USA gewährten dem geflüchteten Schah jedoch Unterschlupf. In Teheran besetzten revolutionäre Studenten die Botschaft der USA und nahmen über sechzig US-Diplomaten als Geiseln. Befreiungsversuche schlugen fehl. Die US-Regierung hatte ihr Gesicht verloren.
Die Geiselnahme war ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Gleichwohl hätte es eine Verhandlungslösung geben können. Die USA setzten jedoch auf Druck, lieferten Pahlavi und sein geraubtes Vermögen nicht aus, brachen die diplomatischen Beziehungen zu Iran ab und animierten den Irak unter Saddam Hussein dazu, den irakisch-iranischen Krieg vom Zaune zu brechen (erster Golfkrieg 1980-1988), der allein auf iranischer Seite mindestens eine halbe Million Tote zur Folge hatte. Es wurden Wirtschaftssanktionen verhängt und die Verbündeten der USA sowie die internationalen Organisationen gedrängt, diesem Konfrontationskurs zu folgen.
Die Feindschaft der USA gegenüber dem Iran hatte eine kontinuierliche Linie seit 1979 und zielte letztlich immer auf die Beseitigung der „islamischen Revolution“, den sogenannten Regimewechsel. Es änderten sich nur die Argumentationsmuster – von der Geiselnahme über die Unterstützung des „internationalen Terrorismus“ (Iran auf der Liste der „Schurkenstaaten“, die der frühere US-Präsident Bush jun. kreiert hatte) und die Unterstützung der Hisbollah in Libanon sowie der Hamas in Palästina bis zur Rückendeckung für Assad in Syrien; Und seit der Jahrtausendwende der Dauerbrenner – das iranische Atomprogramm, das angeblich auf den Bau der Atombombe zielt. Gleich blieben die Mittel: diplomatischer Druck, Sanktionen, geheimdienstliche Aktionen in Iran und gegen den Iran im Ausland. Hinzu kam, dass israelische Politiker und Einflussagenten immer neue Farbkleckse auf das Gemälde der angeblichen iranischen Atom-Drohung tupften, die einen zweiten Holocaust heraufbeschwöre.
Doch Barack Obama blieb zögerlich. Er hatte zwar immer mal wieder erklärt, „alle Optionen“ lägen auf dem Tisch, was stets meinte: Verhandlungen hin oder her, es könne auch zu einem Militärschlag kommen. Aber die Lage ist ambivalent. Auf der einen Seite ist der Iran geschwächt. Die Wirtschaftssanktionen, insbesondere die weitgehende Unterbrechung des internationalen Geld- und Finanzverkehrs, zeigen Folgen und verschlechtern nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die soziale Lage innerhalb des Landes. Auf der anderen Seite ist der Iran stärker geworden – als Regionalmacht, weil die Kriege des Westens den Irak weitgehend ausgeschaltet und Afghanistan weiter destabilisiert haben, und als Militärmacht, weil die iranische Regierung immense Mittel nicht nur in das Atomprogramm, sondern auch in die Streitkräfte, die Waffenproduktion, inklusive der Entwicklung eigener ballistischer Raketen investiert hat. Letztere haben derzeit eine Reichweite von mindestens 1.800 , nach anderen Angaben von über 2.200 Kilometern – sie erreichen also den Mittelmeerraum und die US-Stützpunkte in der weiteren Region. Auch an der Entwicklung eigener Drohnen wird in Iran gearbeitet, für Aufklärungszwecke und zum Waffeneinsatz. Insgesamt wäre ein Militärschlag gegen den Iran aus USA-Sicht strategisch sicherlich möglich, praktisch aber militärisch sehr aufwendig und politisch schwer zu vermitteln. Die Kriegsmüdigkeit in den Vereinigten Staaten nach den beiden verlorenen – oder vergeblichen – Kriegen in Afghanistan und Irak tut ein Übriges.
Am 24. November 2013 wurde das „Interimsabkommen“ zwischen den sechs Mächten (den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland) und dem Iran unterzeichnet. Es gilt für (zunächst) sechs Monate und sieht vor, dass der Iran die Urananreicherung über fünf Prozent stoppt. Im Gegenzug werden die Sanktionen teilweise aufgehoben.
Es gibt viele Einwände. Aber ein Interimsabkommen ist kein Schlussdokument. Viele Sachfragen müssen weiter verhandelt, was offen geblieben ist, muss geklärt werden. Das Abkommen sieht nur Sieger. Der neugewählte iranische Präsident Hassan Rohani machte deutlich, dass sein (im Vergleich zu seinem Vorgänger) veränderter Kurs dies möglich gemacht habe, und erklärte zugleich, die USA hätten mit dem Abkommen das Recht des Iran auf Urananreicherung anerkannt. Barack Obama dagegen betonte, der Iran habe eingelenkt und auf die Fortführung seines Atomprogramms verzichtet. Der russische Präsident Wladimir Putin sah einen „Durchbruch“.
Die Frage ist nur: Wohin? Serge Halimi kommentiert in Le Monde diplomatique: „Nach dreißig Jahren direkter oder über Drittstaaten ausgetragener Konfrontation schicken sich die USA und der Iran an, ihre Beziehungen zu normalisieren.“ Das Ereignis wird hier verglichen mit der „Begegnung zwischen US-Präsident Richard Nixon und Mao Tse-tung im Februar 1972, mitten im Vietnamkrieg. Das hat die Geopolitik verändert.“ Robert M. Cutler von der Carleton University, Kanada sieht ebenfalls einen breiteren Zusammenhang: Das Anhalten des Syrien-Krieges und die zunehmenden Konflikte in der nahöstlichen Region führten tendenziell dazu, dass die USA an Macht und Einfluss verlören, während Staaten wie Saudi-Arabien und Israel dazu neigten, eine von den USA unabhängigere Politik zu betreiben. Zugleich verstärkten sich die Anzeichen eines „transnationalen Bürgerkrieges zwischen Sunniten und Schiiten“, der nicht nur den Nahen Osten weiter destabilisieren würde, sondern Auswirkungen weit darüber hinaus hätte. Deshalb gelte es, eine „neue Triple Entente“ zu schaffen, die den Nahen und Mittleren Osten auf neue Weise stabilisiere – zwischen den USA, Russland und Iran.