von Frank-Rainer Schurich
Otto Prokop, der weltberühmte DDR-Wissenschaftler mit österreichischem Pass, wurde Ende 1956 auf den Lehrstuhl und in das Direktorat des Instituts für Gerichtliche Medizin der Charité berufen. Ein halbes Leben bis zur planmäßigen Emeritierung 1988 stand er der Einrichtung vor. Was wie ein fast normaler wissenschaftlicher Werdegang aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als „Frontwechsel“: Der Österreicher Prokop aus Bonn nimmt den Ruf an die Ost-Berliner Universität an!
Die Lehr-, Forschungs- und Gutachtertätigkeit des Instituts unter Prokop gestaltet sich außerordentlich vielfältig. Er lässt es sich nicht nehmen, die großen Kollegs für Humanmediziner und Direktstudenten der Kriminalistik selbst zu halten. Seine Vorlesungen, eine Symbiose von hohem wissenschaftlichen Anspruch, Faszination des Vortrages, legendärem Esprit und überraschenden Dicta, werden zu einer Institution: „Prokop liest!“
Otto Prokops grundlegende Erkenntnisse über die postmortale Entstehung von Blausäure, zur Todeszeitbestimmung, zum Tod im Wasser und zur Beschaffenheit von Schusswunden gehören zur klassischen Gerichtsmedizin. Ungefähr 50.000 Leichen hat er begutachtet. Die Entdeckung der antikörperähnlichen Wirkung bestimmter Schnecken- und Fischrogenextrakte hielt er für seinen größten wissenschaftlichen Erfolg. Seine Lehrbücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Er hat nicht nur die Gerichtsmedizin, sondern auch die Humangenetik und die Immunologie in der DDR entscheidend vorangebracht.
Die „Wende“ war für ihn ein Einschnitt. Otto Prokop wird der Vorwurf gemacht, als „Staatsnaher“ dem internationalen Prestige der DDR gedient zu haben. Folgerichtig bekam er als langjähriger Ordinarius und Institutsdirektor zunächst eine bescheidene Straf-Rente. Er musste sich in vielen Gesellschaften, in denen er Ehrenmitglied war, wie er einmal schrieb, „manch dummes und ‚kaltes‘ Gerede anhören – von einigen Leuten in den alten Bundesländern, die mir Ehren und hohe akademische Positionen verdanken“. Seine Bilanz für die Zeit nach der Wende: „Wir sind jetzt eine Kolonie, die ausgebeutet und geknechtet wird.“
1969 hatte Otto Prokop, der „Diener des Unrechtsstaates“, im berühmten Fall Hetzel (siehe Das Blättchen 19/2013) den führenden Gerichtsmediziner der BRD, einen Alt-Nazi, fachlich niedergerungen – ein Politikum, das erklärt, warum Otto Prokop nach der „Wende“ derart gehasst und angefeindet wurde. Um wissenschaftliche Wahrheit ging es nicht mehr.
Unter dem Titel „Erlebnisse eines Charité-Professors“ veröffentlichte die Zeitschrift Ärztliche Praxis am 23. März 1993 einen Leitartikel von Otto Prokop über seine „Wende“-Erfahrungen: „Noch bevor mein Kraftwagen eine ‚B‘-Nummer (Berlin) hatte, wollte ein Fahrer mit seinem Wagen trotz ‚stop and go‘ von rechts einrangieren, aber ich konnte ihn nicht einrangieren lassen. Er stieg aus und riss meine Tür auf: ‚Wenn du Ostschwein mich nicht reinlassen willst, hau‘ ich dir eine in die Schnauze!‘“
Am 20. Januar 2009 ist Otto Prokop in einem Pflegeheim in der Nähe von Kiel gestorben. Er ruht jetzt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte, an der Mauer zu seiner geliebten Gerichtsmedizin in der Hannoverschen Straße, die es aber nur noch als Gebäudesubstanz gibt. Obwohl eine weltbekannte, traditionsreiche Stätte rechtsmedizinischer Praxis und Forschung, befanden die Verantwortlichen, dass die Berliner Gerichtsmedizin im Westen der Stadt besser aufgehoben ist. Die Angst, dass Otto Prokop mit seiner enormen internationalen Reputation in den alten Gemäuern der Gerichtsmedizin wieder auferstehen könnte, geht bei Politikern wie Fachleuten immer noch um.
Am 29. September 2013 wäre Otto Prokop 92 Jahre alt geworden. Wir, seine Kollegen, Freunde und Schüler, wollen uns mit Dankbarkeit an ihn erinnern.
Studenten der Sektion Kriminalistik sammelten in Vorlesungen und Seminarveranstaltungen fleißig Bonmots und Aphorismen, und auch der Nachlass von Otto Prokop ist in dieser Hinsicht beträchtlich. Seine Einfälle und Gags befanden sich dann, neben denen anderer Dozenten, in Sammelbänden, die die Absolventen traditionell zum Beispiel unter dem Titel „Forum der Kriminalistik“ anlässlich der Beendigung des Studiums herausgaben. Hinzugefügt werden muss, dass Otto Prokop alle diese Bände überreicht bekam und sich immer sehr freute über die unverhoffte Veröffentlichung seiner Geistesblitze.
Hier das Beste vom Besten aus den 1980er Jahren:
Dass Schwachsinnige oft hervorragende Leistungen vollbringen, ist nicht nur von Universitäten bekannt.
Es gehört zu den großen Misserfolgen in meinem Leben, dass ich oft nichts gegen die Dummen machen konnte.
Kommen wir nun zum Alkohol, meine Damen und Herren. Das Wort bedeutet übrigens auf Arabisch: Das Beste. Die wussten schon, warum sie ihn so nennen.
Da sehen Sie, was Sie vom Trinken haben. Man trinkt Alkohol und sieht Helenen in jedem Weibe.
Es gibt die Vorstellung, dass rothaarige Frauen besonders sinnlich sind – glauben Sie mir, meine Damen und Herren, ich habe da meine ganz konkreten Lebenserfahrungen, es stimmt nicht.
Meine Herren, wenn Sie mal nach Zürich kommen, müssen Sie Acht geben – dort werden alle Bordelle mit Infrarotkameras überwacht.
Es gibt welche, die mit dem Gewehr fischen wollen – nun ja, nach meinen Erfahrungen geht es mit Handgranaten viel besser.
Ich kann natürlich in meinen Sonntagsvorlesungen nicht sagen, wie man Bomben baut, aber Ihnen muss ich es ja erzählen.
Da kam doch mal so ein reicher Amerikaner, der partout den Ritter Kahlbutz kaufen wollte. Er hat dafür 10.000 Dollar geboten. Ich sagte dem Herrn Minister: Verkaufen Sie, verkaufen Sie – ich mache Ihnen in ein paar Stunden einen neuen!
In der Regel wird rechts rangefahren, der Motor abgestellt und dann gestorben.
Entsetzlich diese Feiertage – man lebt zwischen Volltrunkenheit und Ehescheidung!
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. (1987! – der Autor)
Wenn das Herz klopft, steht der Verstand still.
Eine Zahlenspielerei: 20 Prozent aller Verkehrsunfälle passieren unter Alkohol. 80 Prozent aller Verkehrsunfälle passieren ohne Alkohol. Wenn die 80 Prozent aus dem Verkehr genommen werden, erreicht man eine Steigerung der Verkehrssicherheit um 400 Prozent.
Gold 585 oder 750 ist das, was ein ordentlicher Mensch trägt. 333er ist ja kein Gold. In Österreich wird das als Fälschung eingezogen.
Halten Sie sich an die Gesetze der Naturwissenschaften. Die ändern sich nicht.
Wenn man die Geschichte nicht kennt, versteht man die Gegenwart nicht. Wer die Gegenwart nicht versteht, wird die Zukunft nicht verstehen. Wer die Zukunft gestalten will, muss die Vergangenheit kennen.
Das Leben bringt jedem von Ihnen früher oder später eine Komplikation, „so“ oder „so“. Wenn Sie dann meinen, es ginge nicht mehr weiter, kommen Sie zu Ihrem alten Lehrer – wenn er noch lebt; und vielleicht weiß er einen Weg – der „alte Prokop“.
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