von Stephan Wohanka
Wenn man meint, sich in der Höhe – auch einer Wissenschaft – verstiegen zu haben, ist es gut, wieder den Grund zu suchen…
Zu den ersten ökonomischen Schriften zählt „Oikonomikos – Ein Gespräch über die Haushaltsführung” von Xenophon (zirka 430 v. Chr. – 355 v. Chr.). Dort ist zu lesen: „Es scheint uns doch, auch wenn jemand zufällig kein Vermögen habe, dennoch ein Fachwissen von der Haushaltsführung zu geben.“ Ökonomie, zusammengesetzt aus oikos – Haus und nomos – Gesetz, war so ursprünglich die Lehre und die Kunst der rechten Haushaltsführung. Ich denke, immer noch vermag dieser auf den ersten Blick simple Zusammenhang für eine moderne (Wissenschaft) Ökonomie fruchtbar sein!
Selbst heutzutage bedarf es noch aller menschlichen Fähigkeiten, um einen Haushalt zu führen; man denke an eine(n) alleinerziehende(n) Mutter oder Vater: Sie, respektive er, muss trösten können, mit Geld umgehen, Schlaflieder singen können und auch mal den Kinderwagen tragen. Der „Haushalt“ wird zur modernen Ökonomie dadurch, dass er die nationalstaatliche respektive globale Dimension annimmt. Auch für diese Ökonomie gilt, dass wenn schon nicht „alle“ Fähigkeiten, sprich Wissenschaften, so jedoch ein breites Spektrum moderner Wissenschaften wiederum deren Sein als Wissenschaft und gesellschaftliche Praxis begründet! So kann es nicht angehen, von vornherein irgendwelche „Ausschlüsse“ zu postulieren: So ist Ökonomie weder nur Mathematik, aber auch, weder Psychologie und Soziologie, aber auch, weder Philosophie, aber auch und so weiter. Um nur eine Frage aufzugreifen – zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie wird seit Langem ein Disput darüber geführt, ob Wohlstand oder breiter – ob ökonomisches Wachstum wirklich glücklicher mache; wissen Sie´s? Und natürlich ist Ökonomie auch Politik und Ideologie, wenn auch wiederum von ihnen geschieden. Es geht grundsätzlich um Integration aller dieser Wissenschaften und Tätigkeitsfelder.
In der Wissenschaft Ökonomie spielen – wie in anderen Wissenschaften auch – Formales, Formeln, Denkfiguren wie beispielsweise der berühmt-berüchtigte „homo economicus“ eine wichtige Rolle. Erst unsere Fähigkeit, in derartigen Modellen zu denken, respektive die Realität darüber wahrzunehmen, ermöglicht den Zugang zu ebendieser Realität. Diese Konstrukte – ob mathematische Formel, Gesetz und so weiter – befinden sich nicht in der Realität, sondern in unseren Köpfen; wir „unterwerfen“ die – auch ökonomische – Realität unseren Vorstellungen, Theorien und so weiter. Infolge dessen werden die Modelle der Realität, werden diese wissenschaftlichen Theorien selbst zu Bestandteilen ebendieser Realität! Auf die Ökonomie angewandt heißt das, dass sie letztlich zur Ansichtssache, zur – nicht negativ konnotierten – Ideologie wird. Denn wie sonst wäre zu erklären, dass Ökonomen, die sich auf das gleiche „objektive“ Datenmaterial stützen, daraus ganz unterschiedliche, ja diametral entgegengesetzte Urteile ziehen? Die Debatte um den Euro beweist das jeden Tag!
Zum Nachweis dessen, wie begrenzt wiederum Erkenntnisgewinne aus formal richtigen Ableitungen, mathematischen Formeln sein können, bedurfte es nicht erst der Spekulationskrise; selbst einfache Experimente zeigen das. Eine Person kann sich in einem von vier Schlössern – eines davon ist golden – verstecken; der Suchende kann nur eines der Schlösser auswählen. Die Mathematik sagt, dass die Chance des Suchenden, den Versteckten zu finden, 1: 4 (25 Prozent) beträgt. Von Probanden, die das virtuelle Versteckspiel spielten, wählten 40 Prozent der Spieler das Schloss Nr. 3, etwa 25 Prozent entschieden sich für das goldene Schloss Nr. 2; und der Rest (35 Prozent) verteilte sich auf die an den beiden Enden gelegenen Schlösser 1 und 4. Es zeigte sich also, dass der Suchende eine signifikant höhere Chance hatte, den Versteckten zu finden, als die von der Logik „vorausgesagten“ 25 Prozent. Warum, irritiert das goldene Schloss? Offenbar spielt hier die Psychologie eine überaus wichtige Rolle! Reinhard Selten, bis dato einziger deutscher Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften (1994), leitete unter anderem ein Laboratorium für experimentelle Wirtschaftsforschung, in dem spieltheoretische Theoreme getestet wurden. Das Fazit: Die Ökonomie hätte demzufolge nicht so sehr Mathematik als vielmehr Psychologie zur Grundlage. Ein Widerspruch? Nein, denn siehe oben – ohne den Beitrag der Mathematik kämen wir der ökonomischen Realität nicht auf die Spur! Ihre formalisierte Sprache verlangt und bringt Präzision in Analyse und Beweisführung und unterzieht Aussagen einer strengen Prüfung. Wir müssen uns nur davor schützen, der Mathematik zu stark zu trauen, denn die Ökonomie oszilliert zwischen strengster mathematischer Form und menschlicher Unwägbarkeit. Anders gesagt – in der Ökonomie ist häufig mit Ungewissheiten umzugehen.
Nehme ich das alles zusammen, dann zeigt sich, dass die Ökonomie weiterhin die Aufgabe hat, Theorien zu wirtschaftlichen Phänomenen zu entwickeln, also solider Forschungsgegenstand einer genuinen Wissenschaft zu sein; des Schweißes der Edlen wert. Gleichzeitig und gleichwertig gilt auch, dass nach Jahren eines eher reduktionistischen Blickes des ökonomischen Mainstreams auf die wirtschaftspolitische Realität dieser Blick geweitet werden sollte, dass der „ökonomische Mensch“ wieder als ein Geschöpf aus Fleisch und Blut, aus Geist und Mythos gesehen werden sollte und nicht als „theoretische Sonde“, als reines Rollenkonstrukt. Diese dann praktisch zu nennende Ökonomie hätte mit – auch theoretischen – Fragen der Förderung von Industrie, Handel und Gewerbe, der Bevölkerungsentwicklung, dem Aufbau und Erhalt von Infrastrukturen, der Kontrolle von Gesundheit, Hygiene und so weiter zu tun. Sie wäre so zugleich Bestandteil von Industrie- und Bevölkerungspolitik, Sozialstatistik und so weiter bis hin zum Zoll- und Polizeiwesen – alles Vorhaben, die der nachhaltigen Vermehrung und dem Erhalt der physischen und psychischen Kräfte eines Landes dienen. Joseph Vogl, von dem die fulminante Kritik der Ökonomie „Das Gespenst des Kapitals“ stammt, blickt auf ebendiesen Konnex von der anderen Seite und sagt: „Kluge Politik ist zu einer ökonomischen Frage im weitesten Sinne geworden“. Schließt sich hier nicht der Kreis, trifft sich hier nicht die Ökonomie mit der „Lehre und Kunst der rechten Haushaltsführung“ – diesmal nur als „rechter Staatsführung“?
Schlagwörter: Ökonomie, Stephan Wohanka, Wirtschaftspolitik