16. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2013

Militär und Politik – „jähe Wendungen“ inklusive

von Korff

Der politische Wind dreht sich keineswegs, weht aber doch demonstrativ „umlaufend“ in Kairo und Umland. Zweifel an der Fortsetzung eines Frühlings, der – wieder – kein Sommer wird, jedenfalls nicht in Ägypten, nähren sich nicht nur mehr selbst, sondern auch aus Betroffenheit infolge unerfüllter Erwartungen bei Journalisten und Politikern. Aber insgesamt ist das Thema aus den Schlagzeilen.
Deshalb zur Erinnerung: Am Dienstag, dem 09. Juli, 17.09. Uhr, wurde nach anfänglich belobigenden Worten zur heldenhaften Machtübernahme durch die Militärs von Spiegel Online gegen die neuen Machthaber in Kairo so zurückgeschrieben: „Quasi über Nacht haben Ägyptens Medien die gestürzten Muslimbrüder umbenannt: Plötzlich ist die bisher stärkste Fraktion im Parlament eine ‚Terrortruppe’, das Militär diktiert die öffentliche Meinung. […] Denn geht es nach dem Wunsch der neuen Herrscher in Kairo, wird fortan, bitteschön, nur noch eine Version für die Ereignisse erzählt: die, in der das glorreiche Militär einem um Schutz flehenden Volk zur Seite eilt.“
Die von manchen begrüßte Verbrüderung von Aufständischen gegen das bislang herrschende, freilich in Wahlen legitimierte Regime mit einer offenbar als „Volks“-Armee missdeuteten Militärmacht fand und findet allerdings nicht statt. Die einen rufen verhalten „keine Gewalt“, die anderen schießen bei Bedarf. Da muss es sich wohl um unterschiedliche Interessen handeln.
Und das ist keineswegs nur das innerpolitische Problem Ägyptens. Die Funktion von Militär als „Ordnungsmacht“, als ultima ratio, erfreut sich heutigen Tages wieder erhöhten Gebrauchs und wird – vor allem von außen und je nach ideologischer Position – entweder mit Abscheu oder begeistert bewertet. Zur internationalen Duldung oder gar offenen Akzeptanz trägt, ob gewollt oder nicht, der über die Jahre gehäufte demonstrative Einsatz fremder Truppen mit – von Fall zu Fall auch fragwürdiger – Legitimation der UN das seine bei. Begleitendes „bedauerndes“ Hintergrundrauschen, Militär sei immer problematisch, eingeschlossen.
Wohl wahr, auch in Ägypten.
Die Außenminister der 28 EU-Staaten hatten auf allgemeine Empörung hin zunächst menschenfreundlich reagiert und beschlossen, die florierende Lieferung von Waffen und Spezialtechnik, „sofern diese für innere Repressionen eingesetzt werden können“, einzustellen. Betroffen waren davon insbesondere Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien Belgien, Tschechien und Bulgarien als Lieferanten.
So geschehen am Mittwoch, den 21. August, wobei es zusätzlich hieß, auch die „Sicherheits-Hilfen“ (Was ist das? – Korff) würden auf Eis gelegt.
Nur einen (!) Tag später ruderte laut EUobserver der EU-Botschafter in Kairo, James Moran, zurück: Die Waffenverkäufe würden wieder aufgenommen, sobald „die Dinge  zur Normalität zurückgekehrt“ seien. Wobei zwei Fragen reizvoll wären: Was gilt nach einem Militärputsch als „normal“? Und wer legt das gegebenenfalls – und nach welchen Kriterien – eigentlich fest?
Vielleicht aber hat sich die Sache ja doch etwas hingezogen. Und auch die USA manövrierten in dieser Frage. Doch was dem eine sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall. Am 15. November meldete RIANOVOST: „Russland und Ägypten (Wer mag damit wohl gegenwärtig gemeint sein? – Korff) verhandeln über mehrere Waffendeals im Gesamtwert von mehr als zwei Milliarden Dollar […] Nach der Entmachtung des Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer stoppten die USA ihre Militärhilfe. Ägypten sieht sich deshalb gezwungen, sich nach neuen Lieferanten umzuschauen. […] Saudi-Arabien könnte als Geldgeber für die Anschaffung einspringen.“
Welch ein „Reigen“! Aber zu Neid auf die Gegenwart besteht kein Anlass. Ähnliche Pirouetten konnten in Deutschland bereits in den 20er Jahren beobachtet werden: Johannes Friedrich Leopold von Seeckt, zuletzt im Range eines Generaloberst, war von 1920 bis 1926 der Chef der Heeresleitung der Reichswehr – der „oberste Soldat“ also, wie man das in diesen Kreisen demonstrativ bescheiden nennt. Wikipedia informiert über den Herrn: „Angesichts der chaotischen politischen Verhältnisse der Weimarer Republik entwickelte Seeckt das Konzept einer Überparteilichkeit der Reichswehr. Damit war er entscheidend verantwortlich für die Ausbildung der Funktion der Reichswehr als Staat im Staate. Die damalige Stellung der Reichswehr kann gut durch ein Gespräch zwischen Reichspräsident Friedrich Ebert und Seeckt dargestellt werden. Auf die Frage Eberts, wo die Reichswehr stehe, antwortete Seeckt: ‚Die Reichswehr steht hinter mir‘ und auf die Frage, ob die Reichswehr zuverlässig sei: ‚Ob sie zuverlässig ist, weiß ich nicht, aber mir gehorcht sie‘. […] Am 11. März 1923 begegnete er erstmals Adolf Hitler in München. Später sagte er: ‚Im Ziel waren wir uns einig, nur in den Wegen dorthin unterschieden wir uns.‘“
Um aber auf den Ausgangspunkt, mithin Ägypten zurückzukommen: Jähe Wendungen sind nie ausgeschlossen, wie es ein deutscher Protagonist der Zeitläufte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formuliert hatte. Aber immer, so wäre zu ergänzen, die Möglichkeit zur Verschlimmbesserung derselben inklusive. Darauf hatte ja bereits Mephisto Fausten gegenüber hingewiesen, als er sprach: „[…] die Menschen sind nicht besser dran; / den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.“