16. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2013

Dieter Hildebrandt – kein Abschied

von Heinz Jakubowski

Wenn du und das Laub wird älter,
und du merkst, die Luft wird kälter,
und du fiehlst, daß du bald sterbst,
dann is Herbst.

Dieter Hildebrandt
„Schlesischer Jahreszeiten-Zyklus

Dieter Hildebrandt …
… was bleibt zu sagen über ihn in einer Zeitschrift, die erscheinungsbedingt nicht sofort darauf reagieren konnte, dass er uns verlassen hat? Wo doch alles, was es über ihn zu sagen gibt, mittlerweile bereits gesagt worden ist? Auch eben alles Richtige, unbeschadet der Frage, inwieweit das Richtige in diesem oder jenem Fall auf-richtig war.
Zweimal bin ich ihm begegnet. Beim ersten Mal, 2003, zum 50. Geburtstag der Distel, zu dem Hildebrandt eine – natürlich ausverkaufte – Lesung beisteuerte. In der Pause habe ich Dieter Hildebrand aufgesucht, um nichts anderes zu tun, als einem langgehegten Bedürfnis nachzukommen: ihm für das zu danken, was er (auch) mir, über viele Jahre war. Eine unverzichtbare Orientierungsmarke für politische Hellsichtigkeit, für einen unbestechlichen Intellekt, für eine Moral, die gegenüber alltäglichen Zersetzungsbemühungen durch das gesellschaftliche Umfeld stets gewappnet blieb, und für leibhaftig gewordene Lauterkeit.
Wiewohl als eingeborener Ossi nicht die vornehmliche Zielgruppe des westdeutschen Kabaretts und also auch nicht Dieter Hildebrandts, waren seine „Notizen aus der Provinz“ und dann der „Scheibenwischer“ eine Konstante meines Fernsehkonsums und eine Denkhilfe für die Beurteilung gesellschaftlicher Zustände. Der in Westdeutschland, dessen Entwicklung er Zeit seines Kabarettistenlebens kritisch begleitet hat und dessen braune Einsprengsel seinen Zorn von Anfang an erregten. Auch der der DDR, die mit anderen, nicht minder strukturellen Webfehlern ihre Jahre sammelte.
Hildebrandts intellektuelle Hellsichtigkeit, Schärfe, Präzision und natürlich sein Witz vermochten dem, der dafür offen war, zum Nachdenken gebracht zu werden, den Weg zu neuen Einsichten zu weisen. Und sie waren immer – immer! – von einer Redlichkeit und menschlichen Wärme begleitet, die wohl nur jene nicht für ihn einnehmen konnten, die Gegenstand seiner Satire waren; über die Jahrzehnte waren das nicht wenige.
Eine zweite Begegnung mit Dieter Hildebrandt hatte ich gemeinsam mit meinem Kollegen Wolfgang Schwarz im Januar 2012. Dieter Hildebrandt hatte sich zu unserer Freude die Zeit genommen, dem Blättchen für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Was auf gut 30 Minuten vor einem Auftritt im Saal der Zehlendorfer Moorlake geplant war, währte, trotz des fingertrommelnden Veranstalters, mehr als doppelt so lang. Und wurde mehr als ein Abfragen Dieter Hildebrandts, es wurde ein Gespräch, ein sehr schönes und in unserer Erinnerung bleibendes. Eines, bei dem man das Gefühl hatte, mit einem nahen Verwandten – wenn auch nach langer Zeit der räumlichen Trennung – zusammenzusitzen.
„Manchmal allerdings denke ich, man hat gar keine Chance“, hat Dieter Hildebrandt seinerzeit auf unsere beklommene Frage nach der unübersehbaren Vergeblichkeit jenes politischen Kabaretts geantwortet, dem er und andere unerschütterlich die Treue halten. „Man kann in die Leute hineinreden, ihnen die Wahrheit sagen, man hat sogar meist die Lacher auf seiner Seite. Aber dann stehen die Leute auf und wählen trotzdem falsch. Da komme ich gar nicht darüber hinweg, wenn Menschen das Fünkchen Intelligenz fehlt, das es braucht, nicht auch noch das eigene Unheil zu wählen.“
Und: „Vieles, was ich sehe, nötigt mir die Verpflichtung auf, mich nicht gehen zu lassen – im Gegenteil, die, die sich engagieren, schreiben und so weiter, die müssten mehr werden. Da kann man doch nicht einen weniger machen, indem man keine Lust mehr hat. Aber ich will ehrlich sein: Da gibt es auch etwas, das mir die Sache leicht macht – ich habe nach wie vor Spielfreude und führe mich gern auf.“
Nach der Veröffentlichung des Gesprächs hat Dieter Hildebrandt, in dessen Bücherregalen auch die komplette „Weltbühne“ beheimatet war, uns einen Brief geschrieben, sich seinerseits bedankt und dem Blättchen „richtig großen Erfolg“ gewünscht. Einer Zeitschrift, von der er überzeugt meinte, dass sie gebraucht würde – in eben jenem Geiste der Vernunft, für die sich gar nicht genug Menschen engagieren können. Wir haben uns ebenso geehrt gefühlt wie bestätigt.
Noch mit Mitte 80 hat sich Dieter Hildebrandt als maßgeblicher Mitbegründung des digitalen „Störsenders“ im vergangenen Jahr auch den neuen Medien gegenüber offen gezeigt. Für das aber, was er für Sketche und Bücher auf Manuskriptpapier brachte, ist er zeitlebens der Schreibmaschine treu geblieben. Hinter jedem Buchstaben vor einem Komma hat Dieter Hildebrandt dabei ein Leerzeichen gelassen – eine Marotte vielleicht, aber irgendwie auch an den Raum für geistvollen und oft genug satirisch ätzenden Hintersinn erinnernd, dem er auch beim Sprechen via innehaltender Pausen wirkungsmächtigen Raum ließ. Die Leerzeichen Dieter Hildebrandts zeugten jedenfalls nie von Leere. „Dieser Kabarettist hat den Halbsatz, das Komma, den Doppelpunkt und den Gedankenstrich zu vier Musketieren geschmiedet, die ihre Gefechte, unbelehrbar durch Vergeblichkeit, wider den politischen Zeitgeist führten“, hat Hans-Dieter Schütt darüber geschrieben. Und: „Ja, man kann ein Komma aussprechen, als habe darin eine Welt Platz – oder einen Gedankenstrich so sagen, als sei man Herr aller Zwischenräume, in denen sich Wahrheit zu verstecken sucht.“
„Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe Angst vor der Beerdigung, und zwar vor der Zeremonie“, hat Dieter Hildebrandt einst dem Rundfunk gesagt. „Und ich weiß ganz genau, dass die Nachkommen immer die falsche Musik auswählen, dass es viel zu lang ist. Dass man an so einer Zeremonie streichen muss, dass man nicht die falschen Redner hat. Ich fürchte Menschen, ich weiß jetzt schon fünf, die würde ich sofort eliminieren, wenn sie wagen sollten, über meinem Grab etwas zu sagen. Ich würde den Sargdeckel aufmachen, ein letztes Mal, und würde mit dem Finger drohen und dann zuschlagen.“ Ein Glück für jene gewiss mehr als fünf, die nun amtliche Trauer tragen, dass dies nur ein Hildebrandtscher Traum bleibt …
Konstantin Wecker hat von seinem engen Freund gesagt, was kürzer und treffender wohl nicht zu fassen ist: Dieter träume unbeirrt „den großen Traum: den vom Verstand“.
Mit unseren bescheidenen Mitteln wollen wir mit ihm träumen.