16. Jahrgang | Nummer 23 | 11. November 2013

Antworten

Gerhard Wagner, Kulturwissenschaftler mit einem breitgefächerten Werk, langjähriger Blättchen-Autor: Du, der kurz vor dem Abschluss einer großen Walter-Benjamin-Monographie stand, bist mit gerade einmal 65 Jahren von uns gegangen. Wir sind traurig.

Brigitte Fehrle, Chefredakteurin der Berliner Zeitung In einer Kolumne zum Thema „Snowden und wir“ schreiben Sie: „Edward Snowden ist der wichtigste Zeuge, den Deutschland zum Schutz seiner eigenen Integrität hat und braucht. Ein gutes Verhältnis zu den Amerikanern, an dem diesen erwiesenermaßen nichts liegt, kann nicht höher wiegen als unsere eigene Integrität. Die Kanzlerin ist dazu da, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Sie wurde nicht gewählt, um die Amerikaner nicht zu verärgern.“ Wir haben dieser Essenz nichts hinzuzufügen.

Ulrich Nußbaum, Berliner Kassenwart Wenn man etwas sowieso nicht bekommen kann, tut man am besten so, als wolle man es auch gar nicht haben. Diesen Verhaltensreflex haben Sie jüngst in einer kurzen TV-Einlassung zum Thema Länderfusion Berlin-Brandenburg zum Vortrag gebracht. Mit Hinweis darauf, dass Berlin ja ab 2015 (vermutlich) einen ausgeglichenen Haushalt habe (woran Sie unbestritten Verdienste haben werden), haben Sie tapfer erklärt, dass Berlin eine solche Fusion weder brauche noch wolle. Dass Brandenburg eine solche allein schon der 63 Milliarden Euro Berliner Schulden heute ebenso wenig will wie beim negativ ausgegangenen Volksentscheid 1996, ließ Ihr Statement offen. Wir haben herzlich gelacht.

Lou Reed, Vonunsgegangener – Ihre Ehefrau Laurie Anderson hat Ihnen, den von vielen Menschen in aller Welt geliebten und nun verstorbenen Singer-Songwriter und Gitarristen, eine berührende Traueranzeige gewidmet. „Lou war ein Prinz und ein Kämpfer und ich weiß, dass seine Songs über den Schmerz und die Schönheit in der Welt viele Menschen mit der unglaublichen Freude erfüllen, die er für das Leben empfand. Es lebe die Schönheit, die uns alle ereilt und durch uns hindurch geht.“ Man muss nicht Reeds komplettes Œuvre verehren, aber sein unverwechselbares musikalisches Genie wird der Szene anspruchsvoller Rockmusik schmerzlich fehlen.

Angela Kolb, sachsen-anhaltische Justizobere – Eine bei den Koalitionsverhandlungen in Rede stehende Strafverschärfung für Wirtschaftskriminalität begründen Sie folgendermaßen: „Strafen sollen wehtun und dürfen keine Peanuts für große Unternehmen sein.“ Dass das bundesdeutsche Recht zu dieser Erkenntnis nun auch bei den Großen kommt, wo man sie bei Otto (und natürlich auch Ottilie!) Normalverbraucher längst praktiziert, ist ein bemerkenswerter Beleg für die Flexibilität politischen Denkens und Handelns.

Rüdiger Grube, Bahnchef – Sie warnten soeben vor den Folgen der chronischen Unterfinanzierung der Deutschen Bahn, der einen Investitionsstau bei Gleisen, Weichen und Stellwerken von über 30 Milliarden Euro zur Folge habe, der im Falle bisherigen Weitermachens bis 2020 auf 50 Milliarden anwachsen würde und gegebenenfalls Streckenstilllegungen zur Folge hätte. Nun haben wir die von Ihnen geforderten Milliarden nicht in der Redaktionskasse, denken aber daran, dass Sie gerade dabei sind, fünf Milliarden Euro in Stuttgarts Untergrund zu versenken. Über diesen Tiefbahnhof könnten dann ja die Züge stillgelegter Strecken locker umgeleitet werden, denn die Auslastung der Tunnelstrecke war dem Vernehmen nach eh nicht gesichert. Das könnte doch ein Anfang sein, oder?

Kurt Tucholsky, Nicht-vorgestellt-zu-werden-Brauchender – Zu Ihren Zeiten existierten weder NSA noch CIA noch waren die rechten Republikaner bereits so meschugge, die USA mal eben an den Rand des Staatsbankrotts zu intrigieren, um den Präsidenten zu erpressen. Was mag Sie also zu Ihrem Urteil veranlasst haben? Das da lautete: „Mir erscheinen Amerikaner, wenn sie losgelassen sind, immer wie fremde, böse Tiere. Die Europäer machen doch gewiß alles, was Gott verboten hat, und noch Schlimmeres – aber bei denen da habe ich stets das Gefühl: die sind von einem andern Stern. Und von keinem bessern.“

Josef Hecken, Wunderheiler – Als Vorsitzender jenes Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), das die zugelassenen Therapien und Medikamente für Krankenversicherte aushandelt, haben Sie psychisch Kranken empfohlen, statt zu einem Therapeuten doch zu einer Flasche Bier zu greifen, da dieser es manchmal ja auch tue. Dieser überfällig pragmatische Vorschlag ist richtungweisend, aber – wie das bei Revolutionärem oft so ist – wohl aus ängstlicher Übervorsicht – inkonsequent. Erheblich Zielführender wäre es in diesen wie in anderen Fällen die, freilich rezeptgebundene, Ausgabe von Primasprit zu empfehlen. Der ist in der Herstellung spottbillig, in den mentalen Folgen aber sehr viel effizienter und nachhaltiger als Bier, und satte Steuereinnahmen brächte seine Verabreichung auch noch. Für die qualifizierte Eintreibung dieser Abgaben ließen sich ja die frei werdenden Therapeuten umschulen. 

Angela Merkel, Belauschte – „Merkel knöpft sich Produktpiraten vor“ lauteten vor nicht allzu langer Zeit bundesdeutsche Schlagzeilen, da Sie avisiert hatten, sich bei den Chinesen gegen die ausspionierte und also illegale Nutzung geistigen Eigentums anderer Staaten, in diesem Falle also Deutschlands, zu verwahren. Das haben Sie mit dem Ihnen eigenen Brachialcharme auch getan. Man stelle sich in Sachen NSA und somit USA nun Ihre unerschrockene Konsequenz vor, wenn deren Abhöraktion von den Chinesen oder gar Russen getätigt worden wäre…

Berliner Jäger, Irrender – Sie haben dank dämmriger Lichtverhältnisse ein Islandpony mit einem Wildschwein verwechselt und ersteres per Blattschuss erlegt. Dafür wird Ihnen nun der Waffenschein entzogen, weil – wie es in der Urteilsbegründung heißt – ein Jäger, der nicht sicher weiß, auf was für ein Tier er gerade zielt, sei „waffenrechtlich unzuverlässig“ sei. Man stelle sich vor, solch konsequente Rechtauffassung würde auch bei internationalen Konflikten obwalten. Dann zum Beispiel hätte George W. Bush seine unselige Staats- und Kriegsführung aufgeben müssen, als er erwiesener Maßen technische Anlagen im Irak mit Produktions- und Lagerstätten von Massenvernichtungswaffen „verwechselt“ hatte. Aber ach, es ist halt wie im richtigen Leben: Immer trifft es nur die Kleinen.

Ronald Pofalla, Politikdarsteller – Gäb es einen Preis für Wortäquilibristik, Sie wären ein heißer Anwärter auf seine Verleihung. Damit ist freilich nicht ihr allzu knappes Diktum gemeint, mit dem Sie unlängst die Abhöraffaire für beendet erklär hatten. Vielmehr favorisiert Sie Ihr jüngstes Statement zur Preisträgerschaft, mit dem Sie die alles in allem erfolglosen Gespräche in Washington zu diesem Thema in diese unvergesslich schönen Worte gefasst haben: „Ich glaube, dass wir eine gute Chance haben, die Arbeit zwischen Deutschland und den USA im Bereich der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit auf eine neue Basis zu stellen, und dass wir damit die einmalige Chance haben, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.“ Chapeau, Sie bringen es noch zum Kanzler.