von Peter Will
In meiner Erinnerung: Das kleine Atelier des Malers Manfred Böttcher in der Kastanienallee, Ecke Fehrbelliner Straße, Berlin-Mitte. Zwei Räume, ein größerer unten und über eine kleine Treppe erreichbar ein schmaler, kleinerer oben. Vom oberen Raum ging der Blick in den Park am Weinbergsweg. Es gibt ein kleines Ölbild von Manfred Böttcher, 15 x 19,6 Zentimeter, mit diesem Ausblick aus dem Fenster. Eine winterliche Stadtlandschaft von sensibler Farbigkeit, deren Entstehung ich miterlebt habe. Das Atelier war das erste eigene, das Manfred Böttcher bezog.
Ich lernte ihn 1963 kennen, als er die Leitung des Mal- und Zeichenzirkels im Kreiskulturhaus Weißensee übernahm und war einer seiner Schüler. Als er nach etwa fünf Jahren die Leitung aufgab, besuchte ich ihn weiter in seinem Atelier. Ich hatte fast immer eines meiner neuentstandenen Bilder bei mir. Er sah er sich die Bilder sehr aufmerksam an, machte auf Mängel aufmerksam, gab Hinweise zur Korrektur und manchmal freute mich ein Lob. Bei einem meiner Besuche zeigte er mir seine Diplomarbeit, ein Ölbild, bei dem ein Mädchen auf einem weißen Stuhl dargestellt ist.
Manfred Böttcher wird vor 80 Jahren, am 28. Oktober 1933, im thüringischen Oberdorla, bei Mühlhausen, geboren. 1945 erhält er ersten Malunterricht bei Professor H. Figge, der ihm empfiehlt, unbedingt eine künstlerische Ausbildung zu beginnen. Nach Internat und Oberschule in der freien Schulgemeinde Wickersdorf, 1950, beginnt er im gleichen Jahr an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden ein Studium der Malerei. Seine Lehrer sind die Professoren Wilhelm Lachnit und Heinz Lohmar.
Der bedeutende Maler Wilhelm Lachnit wird an der Hochschule und in der Öffentlichkeit wegen seiner Kunstauffassung angegriffen und 1954 entlassen. Er hat als Lehrer und Künstler großen Einfluss auf seine Studenten gehabt. Es ist die Zeit der „Formalismusdebatte“. Mit Manfred Böttcher zusammen studieren auch Werner Stötzer, Harald Metzkes, Dieter Goltzsche, spätere Freunde. Nach dem Studium zieht er von Dresden nach Berlin und wird Meisterschüler an der Akademie der Künste. Er studiert dort von 1955 bis 1958. Sein Lehrer ist der bekannte Maler Heinrich Ehmsen, der ihm, wie mir Manfred Böttcher erzählte, viel Freiheit in seiner künstlerischen Entwicklung lässt. 1956 beteiligt er sich an der Jahresausstellung der Akademie mit dem Ölbild „Männerporträt“. Für dieses Bild erhält er einen Preis für Malerei. Das „Männerporträt“ wird in der internationalen Ausstellung junger Künstler anlässlich der IV. Weltfestspiele der Jugend in Moskau gezeigt. Er reist nach Moskau und Leningrad und sieht dort er zum ersten Mal Arbeiten von Cézanne, Picasso, Matisse und van Gogh.
1964 erhält Manfred Böttcher im von Lothar Lang geleiteten Kunstkabinett am Institut für Lehrerweiterbildung in Berlin-Weißensee seine erste eigene Ausstellung. Es ist eine eher kleine Ausstellung, aber mit Bildern, die eine große malerische Qualität zeigen. Darunter sind frühe, strenge „schwarze Bilder“ und Bilder, die sich auf eigene Art an Cézanne orientieren.
In der Folgezeit bekommt er weiter Ausstellungen in Berlin und in anderen Städten der DDR. Und er beteiligt sich an Gruppenausstellungen in der DDR, in Rumänien, in der ČSSR. Trotz jahrelanger Kritik an seiner künstlerischen Auffassung wird er zunehmend anerkannt. 1978 wird ihm der Goethe-Preis der Stadt Berlin verliehen und 1982 erhält er den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste.
Im Atelier in der Kastanienallee stapelten sich die Bilder, wuchsen langsam zur Mitte des Raumes, türmten sich die Zeichnungen. 1977 bezog Manfred Böttcher dann ein größeres Atelier im achten Stock eines Hauses am Frankfurter Tor. In diesem Atelier breitete sich das Licht großzügiger aus, war viel Platz – vorerst.
1992 veranstalten die beiden Akademien der Künste der Stadt im Berliner Marstall eine große Retrospektive der Bilder und Zeichnungen Manfred Böttchers. Zum ersten Mal ist seine künstlerische Entwicklung umfassender zu betrachten: Die frühen Stadtlandschaften, das „Männerporträt“, die „Serviererin“. Gesichter, in denen noch immer die seelischen Wunden sichtbar sind, die ihnen der vergangene Krieg, die finsteren Zeitläufte geschlagen haben. Das Schwarz, das gebrochene Weiß der Häuser, zwar unzerstört, doch auch in ihnen der Krieg spürbar. Die Stillleben, alltägliche Dinge – Krüge, Gläser, Vasen, Teller, Flaschen, Fische . . ., die schwarz-grau-braun-weiße Farbigkeit, eine herbe Poesie. Das alles hat nichts zu tun mit dem „sozialistischen Menschenbild“, mit dem geforderten oberflächlichen Optimismus der fünfziger und auch späterer Jahre.
Und dann die Bilder aus den sechziger, siebziger Jahren. Wieder Stadtlandschaften, Stillleben, Akte, Ostseelandschaften, Porträts. Die Farben sind heller geworden: ein Grün, vielfach gebrochen, taucht auf, bildet einen großartigen Klang mit dem Böttcherschen Braun. Die Farbigkeit dieser Bilder ist von nobler Art, wie auch bei den späteren der achtziger, neunziger Jahre.
Manfred Böttcher ist ein bedeutender Maler und ebenso ein wichtiger Zeichner. Als Beispiel seien seine Federzeichnungen erwähnt, Selbstporträts, die etwa ein Jahr vor seinem Tode entstanden sind.
Ab etwa 1980 wird die Form in seiner Malerei unruhiger, nervöser. Die sensible Farbigkeit bleibt. Manches geht, insbesondere bei den Zeichnungen von der einfachen ausdrucksstarken Linie bis nahe an die Abstraktion.
Am 4. November 1989 traf ich Manfred Böttcher auf dem Alexanderplatz nach dem Abschluss der Demonstration von 500 000 Menschen für Presse und Meinungsfreiheit. Anfang der neunziger Jahre sagte er zu mir: Ich wusste gar nicht, wie links ich bin.
Meine Begegnungen mit Manfred Böttcher haben mich künstlerisch bereichert. Er hat mein Interesse auf mir unbekannte Maler und Zeichner gelenkt. Jetzt fehlt etwas: Sein Zuhören, seine Hinwendung, kritische Begleitung, menschliche Wärme … Manfred Böttcher stirbt – viel zu früh – nach schwerer Krankheit am 2. Januar 2001 mit 67 Jahren in einem Berliner Krankenhaus. Er wird auf dem Friedhof in Berlin-Kaulsdorf begraben. Wenige Stunden vor seinem Tode hat er seine letzte Zeichnung beendet.
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