von Horst Möller
Wer zur Uniform Hölderlin im Tornister trug, um das inselgesegnete Griechenland heimzusuchen, dem waren hinterher als Heimkehrer wohl am ehesten diese Verse im Gedächtnis haften geblieben: „Attika, die Heldin, ist gefallen; / Wo die alten Göttersöhne ruhn, / Im Ruin der schönen Marmorhallen / Steht der Kranich einsam trauernd nun; / Lächelnd kehrt der holde Frühling nieder, / Doch er findet seine Brüder nie / In Ilissus heilgem Tale wieder – / Unter Schutt und Dornen schlummern sie.“ Sind es die Tränen über das verlorene Land der Sehnsucht, die fortdauernd den Blick auf Unabgegoltenes trüben? Anlässlich seines Griechenlandbesuchs in diesem Frühjahr ist über Martin Walser, den Griechenfreund und deutschen Kulturbotschafter, in der ZEIT zu lesen: „Und die Frage nach der deutschen Reparationsschuld war dem Schriftsteller bis vor wenigen Tagen noch neu“.
Wie verheerend Krieg, Okkupation und Bürgerkrieg der Jahre 1940 bis 1950 sich in Hellas ausgewirkt haben, darüber informiert, die Diskussion über den aktuellen Forschungsstand zusammenfassend, Heft 10 der Choregia. Horst-Dieter Blume und Cay Lienau, die beiden Herausgeber der Münsterschen Griechenland-Studien, nennen dieses Jahrzehnt bewusst finster und nicht dunkel, weil hierunter Zeiten fallen, über die wenig bekannt ist, was in diesem Fall mitnichten zutrifft. Dieses Jahrzehnt sogar als das finsterste zu bezeichnen wäre sicherlich nicht falsch. In ihm beherrschte der Tanz von Zalongo, die Unerbittlichkeit von „Freiheit oder Tod“, die Szene. Allerdings blieben auch spätere Jahre nicht von verhängnisvollen Geschehnissen unbehelligt. So wurde am 31. Mai 1957 der damals 66-jährige Stefanos Sarafis aus dem Weg geräumt, eine Lichtgestalt, die prädestiniert war, Griechenland zu einer solideren Verfassung zu verhelfen und der heutigen Katastrophe vorzubeugen.
Den aus dem genannten Jahrzehnt herrührenden Ursachen für die derzeitige desaströse Situation nachzugehen war das 16. Griechenland-Seminar im März 2011 in Münster gewidmet. Die jetzige Publikation der dort gehaltenen Vorträge ist dazu angetan, das folgenschwere Auseinanderklaffen von Fachwissen und öffentlicher Wahrnehmung zu verringern. Anestis Nessou erklärt, worin die griechischen Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland bestehen. Sie betreffen nicht nur bisher ausgebliebene Reparationsleistungen, sondern auch die Rückerstattung eines von Nazideutschland erhobenen Zwangskredits. Und im Abgleich dieses Sachverhaltes mit den spitzfindigen privat-, staats- und völkerrechtlichen Klauseln der Rechtslage kommt er zu der eindeutigen Feststellung, dass die „Frage, ob die griechischen Reparationsansprüche erledigt seien, mit Nein zu beantworten ist.“ Schuldabweisung ist ebenfalls Thema des Vortrags „Blutspur in Hellas. Die lange verdrängten deutschen Kriegsverbrechen im besetzten Griechenland 1941-1944“ von Eberhard Rondholz, dessen Resümee lautet: „die bundesrepublikanische Justiz hat nichts zur Aufklärung über die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland beigetragen“. Denn mit Beginn des Kalten Krieges sei es darum gegangen, in der Bundesrepublik gute Stimmung für die Wiederbewaffnung zu machen, und da sollte möglichst bald Gras wachsen über das, was anfänglich durch die Nürnberger Prozesse geahndet worden war. „Die offizielle Bundesrepublik hatte Frieden mit den Tätern geschlossen“, lautet das Schlusswort des Vortrages von Arn Strohmeyer, der den historischen Kontext darstellt, in dem der Mord an den griechischen Juden innerhalb der Gesamtpolitik des NS-Regimes stand. Mit dem Schicksal der Juden aus Joannina und mit der Justizakrobatik, mittels der in Bremen Beschuldigte außer Strafverfolgung gesetzt worden waren, hatte sich Christoph U. Schminck-Gustavus beschäftigt, dessen Vortrag auf seinem Buch „Winter in Griechenland. Krieg, Besatzung, Shoah 1940-1944“ Göttingen 2010 fußt. Bei seiner Anamnese der heutigen politischen Gemengelage setzt Heinz A. Richter ein bei der sowohl deutscher- als auch britischerseits betriebenen Spaltung der griechischen nationalen Widerstandsbewegung, beim das Nachkriegsgriechenland betreffenden Arrangement der Großmächte und bei der bereits im Dezember 1944 von Churchill ausgelösten militärischen Intervention der Briten zur Abwehr einer angeblich drohenden kommunistischen Machtübernahme. Hellas blieb im Kampf um Interessensphären dann weiterhin ein Objekt der Interventionspolitik, deren Folgen nun das Land bedrücken. Dem Los der Bürgerkriegskinder, einem der bittersten Themen in diesem Kontext, ist der Beitrag von Barbara Spengler-Axiopoulos gewidmet. Der Frage, ob in diesen finsteren Zeiten auch gesungen wurde, geht Niki Eideneier in ihrem souveränen Überblick darüber nach, dass und von wem in diesen und von diesen finsteren Zeiten gesungen worden ist. Sie schließt mit Manolis Anagnostakis: „Doch der Krieg ist noch nicht vorbei. / Denn kein Krieg ist je vorbei!“ Dem ist kein weiteres Wort hinzuzufügen, außer man hofft im Sinne von Friedrich Hölderlins „Der zürnende Dichter“, dass der hier versammelte Geist möglichst viele Geister lebendig mache.
Horst-Dieter Blume und Cay Lienau (Herausgeber): Griechenlands finsteres Jahrzehnt (1940-1950). Krieg, Okkupation und Bürgerkrieg, Choregia Heft 10, Münster 2012, 176 Seiten, 14,00 Euro.
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