16. Jahrgang | Nummer 17 | 19. August 2013

Fußballkultur

von Ulrich Busch

Am 10. August begann die 51. Saison der Bundesliga. Über alle Spiele wird im Fernsehen ausführlich berichtet werden. Die Berliner Zeitung titelte aus diesem Anlass: „Fußball auf allen Kanälen“ und im Text ist von „Grundversorgung“ mit Fußball die Rede, von „Live-Fußball“ und ausführlichen „Spielberichten“, von Fußball im Internet, welcher in den Stunden nach Mitternacht sogar kostenlos angeboten wird, von regelmäßigen Fußball-Übertragungen, Sportschau-Sendungen, Fußball-Nachrichten und so weiter. Schaltet man an Wochenenden den Fernseher ein, so hat man das Gefühl, es gäbe nichts Wichtigeres als Fußball. Selbst innerhalb der regulären Nachrichtensendungen gibt es ausführliche Fußballnachrichten, und das mitunter sogar an vorderster Stelle.
Dabei bekommt der Zuschauer nicht nur Tore zu sehen, stürmende Spieler und jubelnde Fans, sondern auch die mehr oder weniger ausdrucksvollen Gesichter der Spieler, Trainer und Manager und deren Kommentare zu den Vorgängen auf dem Rasen, auch wenn diese selten von Esprit, Eloquenz und sprachlicher Brillanz zeugen, sondern meist eher dröge und einsilbig daherkommen. Ob die eigentlich nichts sagenden Bemerkungen über die Aufstellung einer Mannschaft, die Tagesform eines Spielers oder die Alpträume eines Trainers zwischen einer Erklärung der Bundeskanzlerin und einer Eilmeldung aus dem Kreml oder dem Weißen Haus immer richtig platziert sind, wage ich zu bezweifeln. Zudem nehmen die Fußballmeldungen in den Nachrichten mitunter mehr Platz ein als alle Meldungen über Außenpolitik, Innenpolitik, Umwelt und Kultur zusammen. Nur die Wirtschaft beansprucht ähnlich viel Raum. Aber dafür gibt es für Wirtschaftsthemen auch kaum eigene Sendungen. Ganz im Unterschied zum Fußball, wofür es gesonderte Sportsendungen, Fußballnachrichten, Spielübertragungen und so weiter gibt. Dass der Fußball trotzdem auch noch zentraler Bestandteil der Nachrichten ist, sagt etwas über die Kultur einer Nation aus, über deren Informationspräferenzen und kulturelle Ansprüche.
Ob Fußball ein eminenter Bestandteil von Kultur ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber möglich ist es, vorausgesetzt man legt dafür einen extrem weit gefassten Kulturbegriff zugrunde und lässt zudem bestimmte geografische und zeitliche Restriktionen gelten: Fußball als Teil der Alltags- und Massenkultur in großen Teilen der Welt seit dem 20. Jahrhundert – das mag so zutreffen. Andererseits aber kommen einem da doch gewisse Zweifel, insbesondere wenn man den Fußball nicht nur als Sportart betrachtet, sondern darüber hinaus als Event, als Medienereignis, als „Ventil“ für alle möglichen Gefühlsäußerungen, Aggressionen und Ressentiments. Wie erklären sich sonst die Alkoholexzesse und Ausschreitungen nach fast jedem Spiel von einiger Bedeutung, die tätlichen Übergriffe auf gegnerische Mannschaften und Fans, die enormen, aber offensichtlich notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze der Spieler und Zuschauer?
Eine Bewertung des Fußballs als „Kulturphänomen“ kann die Umstände, unter denen Fußball gewöhnlich stattfindet, nicht ausklammern. Und diese sind schon ziemlich speziell: Ich kenne jedenfalls kein anderes „Kulturereignis“, zu dessen Absicherung jeweils einige Hundertschaften Polizei, ausgerüstet mit Schlagstöcken und Hundestaffeln, notwendig sind, wo bei der Bahn regelmäßig der Notstand ausgerufen wird, wo ganze Stadtviertel vorübergehend zu No-Go-Areas erklärt werden, wo zwischendurch, bei jedem Tor, Feuerwerkskörper detonieren und worüber zu allem Überfluss dann auch noch alle Nachrichtensender und Zeitungen euphorisch berichten.
Das Fußball-Publikum ist natürlich „gemischt“ und es mag hier auch von Club zu Club und von Stadt zu Stadt beachtenswerte Unterschiede geben. Die überlauten Fans jedoch, die nach jedem Spiel angetrunken, grölend und Fahnen schwenkend durch die Straßen ziehen, dabei ungeniert in jeden Hausflur pinkeln, S-Bahn-Züge beschädigen, Scheiben einschlagen und weniger fußballbegeisterte Mitbürger belästigen, und sei es nur durch den Lärm und den hinterlassenen Schmutz, gibt es überall. Wer solche Fans zu seinem Publikum rechnen muss, darf sich nicht wundern, wenn dadurch Zweifel am Fußball als Kulturereignis aufkommen. Vieles spricht hier eher für „Unkultur“. Wahrscheinlich zu viel. Aber das ist eben Fußball!
Fußball hat auch etwas mit Geld zu tun. Sogar sehr viel: Die Spieler beziehen Gagen, von denen so mancher Vorstandschef eines Industrieunternehmens oder Handelskonzerns nur träumen kann. Und auch Trainer und Manager gehören zu den Top-Verdienern der Nation. Für den Wechsel eines Spielers werden Transfer- und Ablösesummen in Millionenhöhe gezahlt. Einige Fußballclubs schwimmen geradezu im Geld, so zum Beispiel der FC Bayern München, andere dagegen wie der Verein Hansa BSC Berlin drohen in ihren Schulden zu ertrinken. Ohne Geld läuft beim Fußball gar nichts. Allein für die Fernsehübertragungen kassieren die Vereine in der gerade angelaufenen Saison über 2,5 Milliarden Euro. Das sind Ausgaben öffentlicher Mittel, die den Akteuren des Fußballs zufließen. Mit ökonomischer Wertschöpfung hat das wenig zu tun, aber viel mit Umverteilung – aus öffentlichen Kassen in private Taschen. Die Umsätze vor allem in der ersten Liga steigen kontinuierlich an. So wurden in der Bundesliga zuletzt Gesamteinnahmen in Höhe von 2,082 Milliarden Euro erwirtschaftet, jeweils mehr als ein Viertel davon durch Werbung und aus Medieneinnahmen. Das ist beachtlich und spricht eher für den Fußball als Wirtschaftsbranche denn als Kulturphänomen!
Gleiches gilt für den derzeit prominentesten Funktionär des Fußballs, den Präsidenten des FC Bayern München und Aufsichtsratsvorsitzenden Uli Hoeneß. Gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft München inzwischen Anklage wegen Steuerhinterziehung, immerhin einem Straftatbestand, erhoben. Zudem gibt es den Vorwurf illegaler Finanzgeschäfte und Geldtransaktionen über Nummernkonten in der Schweiz in dreistelliger Millionenhöhe. Jeder Aufsichtsratsvorsitzende eines Industrieunternehmens oder einer Bank wäre angesichts dieser Vorwürfe längst zurückgetreten. Das gebieten einfach der Anstand und die Unternehmenskultur – in der Wirtschaft, aber nicht beim Fußball!