16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Emil Noldes zeitweilige Rückkehr nach Halle

von Wolfgang Brauer

1913 erwarb der junge Museumsdirektor Max Sauerlandt für das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle/S. Emil Noldes Gemälde „Abendmahl“ (1909). Es war der erste Ankauf eines Nolde-Bildes durch eine öffentliche Sammlung. Für Nolde bedeutete das den Durchbruch. Für den Gottvater der preußischen Kunstinstitute, Wilhelm von Bode, war es der Anlass zu einer heftigen Attacke nicht nur auf die junge Kunst dieser Zeit, sondern auch auf Sauerlandt. Dessen Gegenreaktion war heftig – er verteidigte mit Bravour das Recht der jungen Museumsdirektoren (1908 übernahm er mit 28 Jahren die Leitung des Halleschen Museums!), die zeitgenössische Kunst mit eigenen Augen zu sehen und zu bewerten. 20 Jahre später versuchte derselbe Sauerlandt, seit 1919 Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, die Kunst der von ihm favorisierten Expressionisten „ns-kompatibel“ zu argumentieren. Er scheiterte damit kläglich. Bereits am 17. Mai 1933 forderte ein gewisser Hans Hering in der Mitteldeutschen National-Zeitung die „Reinigung der Moritzburg“ und zumindest „in Kürze eine Zusammenstellung alles undeutschen, artfremden ‚Schlawinertums’ in Plastik, Malerei und Graphik und der dafür gezahlten Preise“. 1937 gipfelte das in der Aktion „Entartete Kunst“. Das Hallesche Museum richtete schon vorher eine „Schreckenskammer“ ein, in der einem ausgewählten Publikum die „Verfallskunst“ der „Verfallszeit“ zugänglich gemacht wurde. Das Besucherbuch ist erhalten und wird von der Stiftung Moritzburg derzeit in der Sonderausstellung „Emil Nolde. Farben heiß und heilig“ gezeigt.
Vordergründig geht es natürlich um Noldes Arbeiten jener Jahre zwischen 1908 und 1922, als „Nolde zu Nolde wird“, wie die Kuratorin Katja Schneider im vorzüglichen Katalog der Ausstellung schreibt. „Farben, das Material des Malers: Farben in ihrem Eigenleben, weinend und lachend, Traum und Glück, heiß und heilig wie Liebeslieder und Erotik…“ So Emil Nolde in seiner Autobiographie. Die Ausstellung beginnt denn auch konsequenterweise mit dem Farbenrausch der auf der Ostseeinsel Alsen entstandenen Blumenbilder (siehe Klaus Hammer im Blättchen 9/2009), legt ihren Schwerpunkt aber auf die religiösen Bilder jener Zeit. Von den ausgestellten 23 Gemälden befindet sich heute nur ein einziges als Dauerleihgabe im Bestand der Stiftung Moritzburg. Im Bildersturm der Nazis verlor das Museum 162 Werke, allein 18 Nolde-Arbeiten, davon neun Gemälde. In Deutschland wurden 1.052 Werke des Künstlers aus Museen und öffentlichen Sammlungen entfernt! Dennoch: „Geblendet von einem kompromisslosen Idealismus, […] lebte und malte Nolde im Einvernehmen mit der politischen Führung. Selbst nach seiner offiziellen Verfemung lassen sich Zweifel am System, das ihm bei aller Ablehnung auch Zuspruch und Nähe bot, bislang weder belegen noch auch nur erahnen.“ So stellt es Isgard Kracht nüchtern im Katalog fest. Emil Nolde war Nazi, und er war es aus Überzeugung…
In Halle gelang es, einige Bilder der alten Sammlung wieder zusammenzuführen. Das erwähnte „Abendmahl“ befindet sich heute im Statens Museum for Konst in Kopenhagen, „Blumengarten mit Figuren“ (1908) ist Privatbesitz, „Akte und Eunuch“ (1912) hängt im Indiana University Art Museum und auch der ehemals in Max Sauerlandts Privatsammlung befindliche „Missionar“ (1912) ist Privatbesitz. Sauerlandt, der 1934 starb, hatte das Bild der Stadt Halle vermacht. Seine Witwe hintertrieb jedoch – offenbar aus Sorge um die Zukunft des Bildes – die Übergabe. Die Moritzburg zeigt es mit drei weiteren Südsee-Bildern der Nolde Stiftung Seebüll in einem separaten, der Südsee-Reise 1913 bis 1914 gewidmeten Raum. Die Schau bietet Gelegenheit, über die merkwürdigen Wege deutscher Kunst im 20. Jahrhundert nachzudenken. Ärgerlich ist allerdings das dümmliche Geschwätz der PR-Abteilung des Museums von den „Turbulenzen zweier Kunstdiktaturen“. Damit redet die Moritzburg ihren eigenen bedeutenden Beitrag zur Rehabilitierung der expressionistischen Kunst in der späten DDR klein. Es ist geradezu paradox, ausgerechnet ein  Kunstmuseum daran erinnern zu müssen: Die Nazis schmissen die Werke der „entarteten Kunst“, die sie nicht ins Ausland verhökern konnten, ins Feuer.

Emil Nolde. Farben heiß und heilig, Stiftung Moritzburg Halle/Saale, bis 28. Juli 2013, Dienstag 10-19 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10-18 Uhr; Katalog 19,80 Euro.