16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Bemerkungen

Der andere Bayreuther

Bayreuth feiert in diesem Jahre den 200. Geburtstag Richard Wagners unter widrigen Umständen. Das Wagner-Museum ist nicht fertig. Das Festspielhaus ist Baustelle und hinter einer Plane verborgen. Zu allem Überdruss inszeniert auch noch Frank Castorf den „Ring“ – Gründe genug, einen Bogen um die Stadt zu machen. Aber da ist noch der andere Bayreuther, der unbekanntere. Am 21. März jährte sich sein Geburtstag zum 250. Male. Die Rede ist von Johann Paulus Friederich Richter aus Wunsiedel, das gehörte damals zur Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth. Der Name steht so im Wunsiedeler Kirchenbuch, bekannt wurde der Jubilar allerdings als Jean Paul. Heinrich Heine vermerkte von ihm, dass er „ganz isoliert in seiner Zeit“ stehe, „eben weil er […] sich ganz seiner Zeit hingegeben und sein Herz davon erfüllt war. Sein Herz und seine Schriften waren eins und dasselbe.“ Das war ein Hieb gegen die „romantische Schule“ und die „Goethesche Kunstschule“, ein wenig ungerecht – aber auf Jean Paul zutreffend. Als der am 14. November 1825 in Bayreuth starb, galt er dem Wunsiedler Pfarrer „als der größte Gelehrte Deutschlands“. Auch das steht im Kirchenbuch.
Jean Pauls Werk gilt als sperrig, man muss sich Mühe geben, aber die Mühe wird belohnt. Für diejenigen, die einen kundigen Wegbegleiter in dessen titanenhaftes Werk brauchen – und das dürften die meisten sein – hat der Jean-Paul-Kenner Dieter Richter eine „Reise-Biographie“ geschrieben. Sozusagen Jean Paul von Aalen bis Zwickau. Nein, das ist kein Reiseführer. Man erfährt zum Beispiel nicht, wo an welcher Stelle im Hildburghausener Schlosspark der Dichter mit der schönen – und einige Jahre jüngeren… – Karoline von Feuchtersleben „tieffühlende“ Gespräche über die „Wunden des Schicksals“ führte. Man erfährt aber, was ihn nach Hildburghausen trieb und man erfährt von den Wirkungen seines dortigen Aufenthaltes.
Das gilt auch für 99 weitere Orte seines Reiselebens zwischen Berlin und dem Starnberger See. Fremde Länder wie die Niederlande, Frankreich oder Italien hat er nie bereist. Die haben ihn auch nie besonders interessiert. Bei seinem Besuch in Wörlitz hätte er sicher Georg Forsters Mitbringsel aus der Südsee bewundern können – wäre er nicht mit der „Burgunder Bouteille“, wie der Dichter seinen weinseligen Zustand umschrieb, durch den Park spaziert. Den jungen Dichter allerdings trieb die pure Not von Ort zu Ort. Als der mit 41 Jahren berühmte und gut verdienende Autor 1804 in Bayreuth seine Zelte für immer aufschlug, reiste er von dort zwar immer noch viel herum. Aber selbst dann überschritt er die imaginären deutschen Grenzen nie. Italien blieb immer ein Traum. Warum dies so war? „Man sollte ordentlich verreisen, bloß um anzukommen“, meinte Jean Paul selbst. Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Dieter Richter lässt die Quellen sprechen, um dem „Reise-Hypochonder“ auf die Spur zu kommen. Und die wichtigste Quelle zu Jean Paul ist Jean Paul selbst.
Berlin, warum blieb er eigentlich nicht in Berlin? Die Stadt (mit ihr Königin Luise) vergötterte ihn – „und Weiber die Menge“, schrieb er seinem Freund Christian Otto. Aber Berlin war ihm zu teuer und das Bier zu schlecht, und dass er in Bayreuth landete, war auch des Bieres wegen. An seiner Seite war allerdings eine Berlinerin: die 14 Jahre jüngere Caroline Mayer, die er 1801 heiratete, und die ihm die treue (er wohl weniger) Gefährtin bis an das Ende seiner Tage sein sollte.
Dieter Richter verfällt nicht in Lobhudelei. Er lässt auch kritische Zeugen zu Wort kommen. Mit Georg Forster traf Paul nicht zusammen, aber mit dessen Ex-Gespons, Therese Huber. Die, inzwischen Redakteurin bei Cottas Morgenblatt für gebildete Stände sieht ihn durchaus kritisch: „… noch nie nahm ich in einem homme de lettres den Stubengelehrten und die unangemessenste Eitelkeit wahr!“ Christiane Vulpius, Goethens Christiane, macht es kürzer: „unter uns gesagt, er ist ein Narr…“ Dennoch – alle legten Wert auf seinen Umgang.
Ein wundervolles Büchlein! Es macht Lust auf Jean Paul.

WB

Dieter Richter: Jean Paul. Eine Reise-Biographie, TRANSIT Buchverlag, Berlin 2012, 144 Seiten, 16,80 Euro.

Film ab

Bern: Als der schon im reiferen Alter stehende, offenbar polyglotte Lateinlehrer Raimund Gregorius – er ist auch des Portugiesischen mächtig; eine persische Grammatik hat er bei einem Antiquar geordert – eines sehr regnerischen Morgens auf dem Weg zu seinem ziemlich gleichförmigen Tagwerk eine junge Frau vor dem Sprung von einer Brücke bewahrt, fällt ihm das Buch eines portugiesischen Autors und Lebenssinnsuchers namens Amadeu de Prado in die Hände, zusammen mit einem Ticket für den nächsten Nachtzug nach Lissabon. Schon nach Lektüre weniger Zeilen des Buches ist Gregorius dermaßen gefesselt und fasziniert von der Geschichte und den philosophischen Gedanken des Verfassers beziehungsweise von deren Kontrast zu seinem eigenen farb- und ereignislosen, ja öden Leben, dass er im Wortsinne alles stehen und liegen lässt und den Zug besteigt, um vor Ort nach dem Autor zu suchen und dessen Geschichte auf den Grund zu gehen.
Ich muss gestehen, dass mir dieser Plot und seine Ausmalung beim Lesen von Pascal Merciers gleichnamigem Roman vor einigen Jahren nicht recht überzeugend schien, obwohl Merciers „roter Faden“, dass das Leben, das man führt, und damit auch der Mensch, der man dabei wird, ganz wesentlich vom Zufall geprägt sind, und dass man, will man kein durch und durch fremdbestimmtes Leben führen, aktiv und immer wieder gegen Anpassungszwänge rebellieren muss, durchaus auch eigenen Erfahrungen entspricht.
Trotzdem hatte ich jetzt keine rechte Lust, die Gefährtin meiner Tage, die schon dem Buch sehr viel mehr hatte abgewinnen können als ich, nun auch noch in die Verfilmung zu begleiten. Ich habe es aber nicht bereut. Das lag schon mal an der filmischen Wiederbegegnung mit der bezaubernden Altstadt von Lissabon, an die sich besonders stimmungsvolle Reiseerinnerungen knüpfen, und ihrem Cemitério dos Prazeres mit seiner opulenten Sepulkralarchitektur. Das lag auch an der herausragenden Besetzung bis in die Nebenrollen – die von mir über die Maßen geschätzte Aktrice Charlotte Rampling als Schwester des Amadeu de Prado sei hier zuvorderst genannt, aber auch Bruno Ganz als gealterter Widerstandskämpfer gegen die Salazar-Diktatur, Burghart Klaußner als Vater des Amadeu de Prado oder der schönste Vampir der Filmgeschichte, Christopher Lee, als lebensweiser Pater und Lehrer. Die sehr einfühlsame Filmmusik tat ein Übriges.
Dass der Streifen insgesamt die philosophische Tiefe von Merciers Roman komplett verfehlt habe, wie der Kritiker einer Berliner Tageszeitung meinte, mag stimmen. Wer aber literarische Vorlagen und danach gedrehte Filme als jeweils eigenständige Kunstformen und -werke betrachtet, muss sich daran nicht unbedingt stören.

Clemens Fischer

„Nachtzug nach Lissabon“, Regie: Bille August; derzeit noch in manchen Kinos und bereits in Videotheken.

Blätter aktuell

Das dilettantische Vorgehen der europäischen Eliten bei der „Rettung“ Zyperns hätte um Haaresbreite zu einer weiteren, dramatischen Zuspitzung der Eurokrise geführt. Sieht man davon – vorerst – einmal ab, kennzeichnen die neue Etappe jedoch auch mutige Tabubrüche. Insofern kann man durchaus von einem Lernprozess sprechen, wenn auch von einem pathologischen, meint Rudolf Hickel in seinem Beitrag „Pathologisches Lernen: Zypern als Exempel“ in der jüngsten Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik.
„Offshore-Leaks“ war ein Paukenschlag: Durch die Enthüllung des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten wurde einer breiten Öffentlichkeit förmlich über Nacht die Dimension der in Steuerparadiesen geparkten Gelder bekannt. Die untersuchten Daten liefern Angaben über 130.000 Personen, die ihr Geld mit Hilfe von 120.000 Briefkastenfirmen verbergen. Laut einer Studie der britischen Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network waren 2012 bis zu 32 Billionen US-Dollar in Steueroasen gelagert. Mehr in einem Beitrag von Wieslaw Jurczenko.
Im vergangenen Jahr, so Bernd Parusel in seinem Beitrag „Schweden: Migration für Markt und Menschenrechte“, hat Schweden so viele Zuwanderer aufgenommen wie noch nie zuvor: Die schwedischen Behörden erteilten ganze 111 000 Aufenthaltsgenehmigungen – das sind rund 19 Prozent mehr als im Vorjahr. Die größte Zuwanderungsgruppe bildeten dabei mit rund 37 Prozent die nachgezogenen ausländischen Angehörigen schwedischer Staatsbürger oder bereits in Schweden lebender Migranten. Weitere 23 Prozent der Einwanderer kamen im Rahmen der Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Staaten stellten mit rund 18 Prozent die drittgrößte Gruppe, gefolgt von Flüchtlingen und anderen Schutzbedürftigen (16 Prozent) sowie von Studierenden (sechs Prozent).
Weitere Beiträge widmen sich unter anderem folgenden Problemkreisen: „Auf dem rechten Auge blind: Wo steckt der Antisemitismus?“, „Slowenien am Ende des Sonderwegs“, „Nordkorea und der ungewollte Krieg“ sowie „Syrien und die iranisch-israelische Koalition“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Mai 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Kurze Notiz zu Bad Lauchstädt

Das Café trägt den Namen von Goethes „Bettschatz“, es ist überheizt, dämmerig und eng. Aber der hausgemachte Kuchen schmeckt und der Kaffee scheint auch ungesüßt so zuckersüß, dass schon der erste Schluck sofort auf Sonntagnachmittag bei Oma einstimmt, obwohl draußen gerade die Welt untergeht.
Natürlich nicht wirklich, nur sieht es vor dem Café Christiane Vulpius halt so aus. Weil der See inmitten der Kuranlage grau trägt. Und der Himmel darüber auch. Und selbst wenn die Fontänen im Wasser angeschaltet wären und die Sonne tatsächlich einmal rauskäme, strahlten die alten, eierlikörfarbenen Kurgebäude nur matt zurück. Hier also traf sich der Dresdner Barockhof zur Sommerfrische mit dem Merseburger und Weimarer Barockhöfen, hier flanierten Goethe und Schiller umher, zockte die Vulpius …
Das Theater bietet ein reiches Sommerprogramm. Goethe natürlich, aber auch Abituriententage. Im Winter ist das vom Geheimrat gegründete Spielhaus geschlossen, mangels Heizung und zwecks Sanierung: Zuletzt wurden nicht nur Kupferschienen vom Dach gestohlen, sondern auch die Vulpius-Büste aus dem Park.
Im Winter fällt Bad Lauchstädt augenblicklich in seinen Dornröschenschlaf, denn wegen der hiesigen Heilquelle kommen weitaus weniger Gäste hierher als wegen des Theaters. Möchte man meinen, weil die Stadt dann trotz Glätte endlich einmal gemütlich begehbar ist.
Also geht es im Frühling dazwischen über nasse Wege im Park, der Kies knirscht angenehm unter den Sohlen, da steht ein Badehaus, man möchte sich glatt um zweihundert Jahre zurück träumen, sich hineindenken in die Geniezeit …
„Miiieschell, jeh nich bei die Vöchel, ich sach’s dir nich nochema!“
Ach ja, wir sind ja in Bad Lauchstädt und nicht in der Goethezeit. Der Blick zur Voliere ist beinah überflüssig, denn Michelle fängt sich hörbar eine Patsche auf die Hand und jammert augenblicklich los. Da hat sie wohl doch wieder die Fingerchen durch das Vogelgitter gesteckt, das dumme Ding!
Und der Weg geht weiter, zurück zum Café, aus dem Park und zur Straße. Und dieser Weg macht schwermütig, weil Bad Lauchstädt, so schön es auch sein mag, ein ganz furchtbar ausgeschildertes Straßennetz hat. Und so tritt der Besucher spätestens mit dem Schritt ins Auto aus der Geniezeit endgültig wieder heraus.

Kurze Notiz zu Magdeburg

In Magdeburg gibt es viele schöne Ecken – sagen die Magdeburger. Und das mag ja auch stimmen, wenn man das heutige Magdeburg mit dem vor zehn oder gar zwanzig Jahren vergleicht. Aber wenn man Magdeburg mit irgendeiner anderen Stadt vergleicht – braucht man schon einen ordentlichen Schwips oder eben eine noch ordentlichere Jugendliebe, um Magdeburg etwas abgewinnen zu können.
Dann aber, an die Hand einer jungen-hübschen-fröhlichen Frau geschlenkert, ist die Stadt eine Wucht. Jede Schrebergartenkolonie wird zum Elbauenpark, jede Betonplatte zum Hundertwasserhaus. Die breitgewalzten Stalin-Alleen bekommen fast schon etwas Intimes, wenn sie verträumt von einer der zahlreichen Eisdielen aus betrachtet werden. Geradezu erhaben schweift der Blick vom frisch herausgeputzten Domviertel über die Elbe, und selbst bei dem verfallenen Schuppen am Bahnhof Südost kommt plötzlich eine kleine romantische Stimmung auf.
Der Platz vorm Bahnhof heißt Willy Brandt wie in Leipzig. Etwas weiter gibt es einen Alex wie in Berlin. Und doch entfaltet Magdeburg plötzlich so etwas wie einen ganz eigenen Charme. Erwischt!
Aber halt – das sei verliebt überall so? Dieser kindlich-doofe Blick durch die rosa Brille? Jaja, aber ist es nicht ein Wunder, dass die Liebe so was auch in Magdeburg schafft?

Thomas Zimmermann

Selbstporträt

von Arno Holz

Nur wenigen bin ich sympathisch,
denn ach, mein Blut rollt demokratisch,
und meine Flagge wallt und weht:
Ich bin nur ein Tendenzpoet!

Auf Reime bin ich wie versessen,
drum lob ich plötzlich die Tscherkessen,
und wüst durch mein Gehirn scherwenzen
Verrückt gewordene Sentenzen.

Mein Blut rollt schwarz, mein Herz schlägt matt,
mein Hirn hat noch nicht ausgegoren,
denn meine gute Mutter hat
mich hundert Jahr zu früh geboren!

(aus: Buch der Zeit, 1886)

Berlin und der Hundekot

Als Vater einer Tochter, die nach dem Ende der Schule unbedingt „diese blöde Kleinstadt“ (Gotha) verlassen und in die große weite Welt, sprich: Berlin, will, kommt das erste Buch von Kristjan Knall gerade im richtigen Moment. Nach dem manchmal recht schwierigen Durchlesen ist man sich allerdings nicht mehr so sicher, ob die Tochter wirklich das sehr derbe und niemals feinhumorige Buch „Berlin zum Abkacken“ wirklich in die Hände bekommen soll. Nimmt sie sich dann der oft genannten Ausdrücke an und will möglichst jetzt sofort und unbedingt in die Hauptstadt, um sich vom Wahrheitsgehalt zu überzeugen?
Berlin ist für uns Provinzler schon eine eigenartige Stadt. Da werden wegen eines freien Blickes auf irgendwas gar Teile der East-Side-Gallery abgerissen und dafür entstehen Unisex-Toiletten, damit sich der mündige Bürger nicht für ein Geschlecht entscheiden muss. Zugezogene Schwaben schimpfen schon nach kurzer Zeit gemeinsam mit Alteingesessenen, die nie aus ihrem Kiez herauskommen, über Touristenströme, die sich Tag für Tag über Straßen und Wege quälen, die mit Hundekot bestückt sind und dem Buch den Namen gaben. Einfach mal die Hauptstädter mit ihren vielen Problemen und dem tussigen Oberbürgermeister, der gerade die Monarchie einführen und somit auf Lebenszeit Chef sein will, alleine lassen. Das Geflenne wäre groß und der Flughafen dann immer noch nicht eröffnet.
Zurück zum Buch: Knall, der in Wirklichkeit nicht so heißt, aber wohl Angst hat, seinen Klarnamen zu nennen, da er mit Repressalien rechnen muss oder gar ausgewiesen wird, macht sich über jeden Bezirk her und lässt an diesen kein gutes Haar, nur Schimpf und Schande. Die Bewohner werden mit allen Mitteln „bespuckt“ und auf das Schönste beleidigt. Als Urberliner schaut der Autor hinter jede Dreckecke, zerrt Unbotmäßiges ans Tageslicht und nennt alles öde, großkotzig und durchkommerzialisiert. So isses halt. Die braunen Haufen (Hundedreck, Nazis) sind leider in Berlin überall zu finden, wie auch die, die „mit Kunst machen“ und „gerade einen großen Auftrag bekommen könnten“.
„Berlin zum Abkacken“ enthält leider nur wenige Spitzfindigkeiten, keinen feinen Humor und schon gar keine Satire. Es wird mit dem Vorschlaghammer auf die Betonköpfe von Lichtenberg und Grünau gehauen. Ein Messer steckt tief im Berlin-Mitte-Yuppie und die allermeisten heißen für Knall Arschlöcher, sind strunzdumm und sollten ständig eins in die Fresse bekommen.
Übrigens hat Neukölln den längsten … äh, Text bekommen, und dieser ist am besten gelungen.
Damit sich erst gar nicht die Touristen über diesen „Reiseführer“ freuen dürfen, bekamen sie ebenfalls ihr dickes Fett weg: „Der Berlintourist von der übelsten Sorte shoppt in der Gegend vom Brandenburger Tor. Herangekarrt in Busladungen, verseucht er Berlin mit ländlicher Beschränktheit. Natürlich bringt er locker sitzendes, mit ehrlicher Arbeit verdientes Geld mit, weswegen ihn der durchschnittliche Berliner geil findet.“
Wer eine gute Erziehung genossen hat und schlimme Ausdrücke, für die man in der Kindheit von den Eltern den „Arsch versohlt“ bekam, nicht mag, sollte „Berlin zum Abkacken“ nicht lesen, alle anderen können ja das Motzen ignorieren (oder gar mitmachen) und somit ein bitterböses Berlin-Buch in den Händen halten, das viel Wahrheit enthält, da alle schönen Entdeckerecken mit Dreck beschmissen werden.
Falls der verantwortliche Verlag mit anderen Gegenden Fortsetzungen plant, will ich mich hier gleich für Thüringen bewerben.

Thomas Behlert

Kristjan Knall: Berlin zum Abkacken, Eulenspiegel Verlag Berlin, 160 Seiten, 9,99 Euro.

Wirsing

Die frühere Programmansagerin Babette Einstmann ist eine wirklich nette Moderatorin im ZDF. Sie soll sogar Publizistik studiert haben. Das möchte gar nicht meinen, wer kürzlich in der drehscheibe Deutschland folgenden von ihr geschriebenen und vorgetragenen Satz hörte: „Auch knapp siebzig Jahre nach dem 2. Weltkrieg gingen in den letzten Kriegsmonaten täglich rund 300 Tonnen Bomben auf Deutschland nieder – doch nicht alle sind explodiert.“ Auch gut 50 Jahre nach Gründung des ZDF sah sie uns so treuherzig an, daß ihr niemand böse sein kann!

Fabian Ärmel

Aus anderen Quellen

Regelmäßig stößt die Redaktion bei Ihrer Arbeit in anderen Medien auf interessante, auch weiterführende Beiträge zu Themen, die das Profil des Blättchens direkt betreffen oder zumindest flankieren.
Bisweilen werden diese Beiträge dann übernommen, etwa als XXL. Weit häufiger allerdings erweitern sie lediglich den Horizont der Redaktion. Das soll künftig durch Annotationen unter dem Rubrum „Aus anderen Quellen“ sowie Links zu den Voll-Texten zumindest partiell geändert werden. Das Ganze in loser zeitlicher Abfolge und natürlich nur für Beiträge, die im Internet frei zugänglich sind. Zugleich richten wir ein zweites Archiv mit Verweisen auf die betreffenden Beiträge ein, das über die Startseite des Blättchens zu erreichen ist.
Die Redaktion

Klaus Bellin erinnert – 100 Jahre nach Erscheinen der spektakulären Erstausgabe – an Bernhard Kellermanns heute fast vergessenen Welt-Bestseller „Der Tunnel“, von dem schon binnen eines halben Jahres 100.000 Exemplare verkauft waren. Übersetzungen in 24 Sprachen folgten.
Das Buch handelt vom Bau einer unterirdischen Transatlantikverbindung, um Europa und Nordamerika in Zeiten, in denen der zivile Luftverkehr noch in den Windeln lag, näher zusammenzurücken: „Die Idee verändert alles. Eine müde, erstarrte Welt wird aufgerüttelt und gefesselt von einer ungeheuren, so noch nie gedachten Aktion, fortgerissen von dem sausenden Treibriemen, der um den Erdball fegte, und wer das Zittern bekam und den Atem verlor, stürzte ab und zerschmetterte und niemand kümmerte sich um ihn … Das Leben war heiß und schnell, wahnsinnig und mörderisch, leer, sinnlos. Tausende warfen es fort. Eine neue Melodie, wenn wir bitten dürfen, nicht die alten Gassenhauer!“
Bellins Beitrag ist zugleich eine Laudatio auf den heute zu Unrecht fast vergessenen Autor Bernhard Kellermann.
Klaus Bellin: Die Schlacht unter dem Meer, neues deutschland, 20.04.2013. Zum Volltext hier klicken.

Gibt es in der Bundesrepublik nach den Trümmermenschen der Nachkriegszeit und der Generation Golf inzwischen eine dritte, die Generation Y (gesprochen „why“ wie englisch „warum), die alles hinterfragt, wie Kerstin BundUwe Jean Heuer und Anne Kunze meinen? Die Autoren kennzeichnen die Vertreter dieser Generation folgendermaßen: Sie hätten immer schon die Wahl gehabt, wären von Geburt an von ihren Eltern gefördert und gefeiert worden. „Die volle Aufmerksamkeit ihrer ,Helikopter-Eltern‘ war ihnen gewiss. Schon als Hosenmatze durften sie mitentscheiden, wohin die Familie in Urlaub fährt oder welches Auto angeschafft wird. Sie sind daran gewöhnt, sich entfalten und verwirklichen zu dürfen. Und all das, was sie in der Kindheit erfahren haben, erwarten die Neuen nun auch vom Arbeitgeber: Aufmerksamkeit, Fürsorge, Mitsprache. Ständiges Feedback. Sie wollen Chefs, die wie Eltern sind und auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Es könnte sein, dass sie ihre Erwartungen auch durchsetzen. Denn diese Generation hat eine Macht, die ihren Eltern und Großeltern vorenthalten war. Es ist die Macht der Demografie, die Macht der Knappheit […]. Vielen Branchen gehen die Fachkräfte aus.“ Und: „Die Neuen wollen Spaß haben, schnell vorwärtskommen und dabei weniger Zeit in ihrem Job verbringen. Und nebenbei wollen sie auch noch die Welt retten.“ Der Beitrag breitet ein ganzes Spektrum individueller Beobachtungen und konkreter Beispiele aus.
Genau das sei seine Schwäche, setzt Simon Kerbusk dagegen. Wie bei allen „Generationenlabels“ würden „die Erfahrungen einiger zur Beschreibung aller“ aufgebläht. Vor allem: „Die Arbeitgeber haben bislang wenig von ihrer Macht auf dem Arbeitsmarkt eingebüßt.“ Fazit: „Vieles von dem, was der Generation Y zugeschrieben wird, würde die Arbeitswelt zum Guten verändern: der Wunsch nach flexibler und selbstbestimmter Arbeit. Mehr im Team und mit weniger Hierarchien. Die Forderung nach Sinn statt nach Status und nach mehr Zeit für Familie und Freizeit. Doch als Beschreibung eines Zustands oder als Charakterisierung einer Altersgruppe ist das Etikett ,Generation Y‘ untauglich.“

Kerstin Bund / Uwe Jean Heuer / Anne Kunze: Generation Y: Wollen die auch arbeiten?, Die Zeit, 07.03.2013. Zum Volltext hier klicken.
Simon Kerbusk: Unter Druck, 
Die Zeit, 14.03.2013. Zum Volltext hier klicken.