von Erhard Weinholz
Ein Sandkasten und eine Tischtennisplatte, zwei Mülltulpen und drei Bänke, drum herum ein Drahtzaun vielleicht, fertig war der DDR-Spielplatz der siebziger, achtziger Jahre. Saßen junge Frauen damals auf den Bänken, die Kinder im Blick, die sich im Sande balgten? Wohl fast nur am Wochenende. Werktags saßen sie an der volkseigenen Näh- oder Schreibmaschine oder im Konsum an der Kasse, immer da, wo man flinke Finger brauchte. Ihre Kinder spielten derweil im Kindergarten, da hatten sie Platz genug. Die öffentlichen Anlagen aber wurden nachmittags und vor allem bis spät in den Abend zum Ort anderer Spiele. Von Spielen, die Vergnügen waren und Abenteuer zugleich: Vertrug man Bier und erste Zigaretten? Ließ Nicole sich nach einigen Knutschereien endlich in den Ausschnitt fassen, oder hieß es: „Pfoten weg, du Pisser“? So trafen sich Dreizehn- bis Sechzehnjährige fast jeden Tag an den Tischtennisplatten, um fürs Leben zu lernen.
Einen dieser Plätze, Liebknecht-, Ecke Keibelstraße, hatte ich bei meinen Spaziergängen manches Mal besucht. Die DDR war schon mehr als anderthalb Jahrzehnte verschwunden, doch er hatte die Zeiten unverändert überdauert. Wie ein großes, karg möbliertes Zimmer kam er mir vor. Diese Kargheit hatte etwas Beruhigendes an sich; den Raum zu entlasten hatte ja Lothar Kühne einst geraten. Auch war ich hier dem Leben ringsum ein wenig entrückt; Relikt einer verheißungsvollen Vergangenheit schien er mir zu sein. Vor zwei oder drei Jahren wurde er überbaut. Nun wollte ich ähnliche dieser Art ausfindig machen, am besten, dem Wanderer Fontane zu Ehren, fünf. Sie konnten Ort der Ruhe, des Rückzugs sein, wenn ich in der Stadt unterwegs war; ich wollte aber auch erkunden, was heute dort vor sich geht.
Ein Stück südlich der Frankfurter Allee hatte es noch so einen Spielplatz gegeben, gleich neben den Ringbahngleisen. Aber der war schon vor längerem verschwunden; ein Parkplatz wurde wohl daraus. Ein anderer, an der Singerstraße gelegen, war vor einigen Jahren modernisiert worden. Allerlei Holzbauten sollten nun zu Abenteuern einladen. Der kam also nicht mehr in Frage. Und die in meinem Wohnviertel waren sowieso alle neueren Datums. Irgendwann in den Achtzigern, so fiel mir schließlich ein, hatte ich auch einen draußen an der Lichtenberger Rhinstraße entdeckt, nahe der Kaufhalle an der Ecke zur Allee der Kosmonauten. Eines Vormittags fuhr ich mit der Straßenbahn hinaus, fuhr vorbei am einstigen Werkgelände des VEB Elektrokohle, an Häusern mit verrammelten Fenstern, an leer stehenden, verfallenden Baracken und zuletzt am Königin-Elisabeth-Krankenhaus, ehemals Krankenhaus Herzberge. „Dem Geisteslicht zum Schutze, gemeinem Wohl zum Nutze“, den Spruch am Hauptgebäude hatte ich oft genug gelesen. Die Kaufhalle ein Stück weiter stand noch. Früher hatten sich hier, neben dem Eingang, polnische Bauarbeiter nach der Arbeit still und ohne Hast mit Schnaps und Bier befüllt. Jetzt gehört sie zur Fressnapf-Kette. Kunden waren keine zu sehen. Auf der Rasenfläche zwischen Halle und Rhinstraße hatte eine kleine Metallskulptur gestanden, über flachem Sockel drei oder vier spitze Dreiecke, zwischen denen es sich gut sitzen ließ. Davon war nichts mehr übrig. Der Anbau rechterhand, stand der damals schon? Tropicana-Bar ist an der Glastür zu lesen. Der Raum dahinter ist leer. An der Längsseite zwei farbige Wandgemälde: eine Wüstenlandschaft mit Kakteen, in der Ferne Gebirge, und eine Küste, palmenbestanden, nahebei wieder Berge. Am Tropicana vorbei führt ein Weg hinter die Zehngeschosser zur Rechten, hin zu einem hoch umzäunten Sportgelände, das niemand zu nutzen scheint – überall auf der roten Sandfläche wächst Moos. Daneben der eigentliche Spielplatz: zwei Bänke, zwei Tischtennisplatten, auf dem Ziegelpflaster zwei leere Flaschen, Wermut und Fruchtschaumwein, dazu eine leere Tüte Erdnussflips. Ein Ort des Vergnügens war der Platz also noch immer. Nur sah er ganz anders aus als in meiner Erinnerung. Hatte ich ihn verwechselt? Und was hatte ich eigentlich gesucht? Auf alle Fälle war es auch hier nicht zu finden.
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